: Mathematische Formel: Schuldenzuwachs und Wirtschaftswachstum
Diese mathematische Formel ist eine Bedingung, unter der sich der Schuldenzuwachs eines Landes positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Im Diskussionspapier 24/1988 der Weltbank preßt der Ökonom Farzin die wirtschaftlichen Daten Sudans in diese Formel und stellt fest, daß sich das nordafrikanische Land in den Jahren 1975-1984 zu hoch und zu teuer verschuldet hat.
Doch was hat die Formel mit der Realität zu tun? Sudan 1988. Überschwemmungen machen Tausende obdachlos. Heuschreckenschwärme vernichten den Teil der Ernte, der dem Wasser noch nicht zum Opfer gefallen ist. Im Süden des Landes kämpfen christliche Stämme gegen die islamische Regierung in Khartum. Flüchtlinge ziehen in Städte und Sammellager. Von geregelten Produktionsverhältnissen kann in dem hochverschuldeten Agrarland nicht gesprochen werden.
Angesichts dieser Realität ist die modellhafte Analyse der Verschuldung blanker Hohn, meinen manche Kritiker der Politik vom IWF und Weltbank. Sie ärgern sich über mathematisch-theoretische Papiere, die in diesen Institutionen produziert werden. Allein im IWF schreiben 650 Ökonomen aus aller Welt an Statistiken, Studien und Programmempfehlungen en masse.
Die Entscheidungen fallen jedoch nicht am Schreibtisch der Ökonomen, sondern am Verhandlungstisch der Regierungen, Institutionen und Banken. Und da zählt Macht mehr als theoretische Stringenz. Fragt sich, für welche Funktion die Spitzenökonomen bezahlt werden. Der Verdacht liegt nahe, daß die professionellen Modellbauer nur das Gewissen der Institutionen bilden, indem sie die potentiellen Erfolge der IWF-Programme und Weltbank-Projekte herausstellen und scheinbar objektive Argumente für Verhandlungen liefern. Können Studien wie die über den Sudan getrost als ideologischer Rechtfertigungsmüll in den Papierkorb wandern? Weltbankforschung kann auch praxisnah sein. Prof. Rainer Tetzlaff, kritischer Weltbankexperte und Professor an der Universität Hamburg, möchte zumindest einen Teil der Forschung nur ungern im Papierkorb sehen: „Es gibt ernsthafte Versuche, den Problemen auf den Grund zu gehen. Nur scheitert die Umsetzung der klugen Erkenntnisse meist an politischen Widerständen.“ Die Weltbank leiste sich durchaus manchmal ein schlechtes Gewissen, besonders in Diskussionspapieren von Mitarbeitern, die keine Institutionsmeinung darstellen.
Werfen wir einen kleinen Blick in den Modellbaukasten der Ökonomen neoklassischer Prägung, die in der westlichen Wirtschaftswissenschaft vorherrschend sind, und nehmen die Sudan-Studie als Beispiel: Zunächst suchen sie sich alle Bauteile zusammen, die sie für wichtig halten. In der Ungleichung oben werden beispielsweise auch die Produktionsstruktur, Exporte und Importe, Transfers und Schulden berücksichtigt. Über den Zusammenhang der Bauteile macht man sich eine vereinfachte Vorstellung, etwa, daß nur ein einziges Gut produziert wird, wozu in festen Anteilen Arbeit, Kapital und importiertes Material benötigt werden. Eine Gleichung für ein Gleichgewicht der Zahlungsströme mit dem Ausland gibt an, welchen Einfluß Preise, Zinsen und Wechselkurs haben. Die mathematische Schreibweise ist dabei nur eine Frage der Ausdrucksform.
Mit der „ceteris paribus„-Formel wird die Modellmaschine in Gang gebracht. Der Grundgedanke ist, nur einen einzigen Faktor „unter gleichen Umständen“ zu verändern und zu beobachten, was dann mit den übrigen passiert. Was wäre zum Beispiel, wenn alles gleich bliebe und sich nur der Zins auf Auslandsschulden änderte? Auf diese Frage spuckt die Formelmaschine gemäß ihrer Konstruktion eine Antwort aus. Zum Beispiel: Das Wirtschaftswachstum eines Landes geht zurück, wenn der Zins eine kritische Grenze übersteigt. Im Fall Sudan überstiegen die IWF-Kredite diesen Zinssatz und hemmten deshalb das Wirtschaftswachstum, stellt der Konstrukteur des Modells fest, nachdem er seine Formelmaschine mit Durchschnittsdaten aus den Statistiken des Landes gefüttert hat. Wenn man sie zu bedienen versteht, kann die Modellmaschine helfen, komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge zu durchdenken. Sie versucht, Einflüsse zu gliedern und planbar zu machen. Unplanbares wie Überschwemmungen kann sie aber nicht erfassen. Doch auch Vorhersehbares kann verdeckt werden. So kann man der Formel nicht ansehen, ob sinkendes Wirtschaftswachstum Elend und Hungertod bedeutet. Dann ähnelt die Realität eher einem Chemielabor, in dem die Elemente durcheinander geraten sind, als einem mechanistischen Modellbaukasten. Und dann kann die Veränderung eines einzigen Faktors die Mischung zur Explosion bringen.
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