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"Bitte wühlen Sie mit Gefühl"

■ Ein Besuch bei Onkel Abu-Dabou auf dem Krempelmarkt

Flohmarkt, Reichpietschufer: Im offenen Laderaum eines LKW schlägt ein schwarzgelockter Mann auf die Trommel und singt dazu auf Deutsch und Arabisch. Sein Publikum wühlt währenddessen in einem chaotischen Ensemble von Umzugskartons. Eine ältere Frau mit schütterem Haar tritt an die Rampe und zeigt auf die Waage. „Schöne Frauen kriegen immer Rabatt. Nur fünf Mark“, sagt der Mann und fährt im Gesang fort. Die Frau lächelt verstohlen, schüttelt den Kopf und kehrt wenig später mit zwei Waagen zurück. Der Mann grinst breit: „Na gut. Sieben.“ Nicht mit allen KundInnen wird er so schnell handelseinig. Einen Türken, der ihm drei Mark für ein guterhaltenes Jackett bietet, schickt er fort mit der Bemerkung: „Du kriegst heute Platzverbot.“ Onkel Abu -Dabou, wie sich der 41jährige Araber nennt, hat immer einen passenden Spruch auf den Lippen. Wo andere Kollegen nur gebetsmühlenhaft „eine Mark, eine Mark, eine Mark“ herunterleiern, entzückt Onkel Abu-Dabou mit einem Feuerwerk von Einfällen. „Bitte besuchen Sie unsere Bücherabteilung im Erdgeschoß“ - das ist eine Einladung, sich über unappetitlich vollgestopfte, in Staub oder Matsch halb versunkene Bücherkisten zu beugen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Tatsächlich kann es einem dabei passieren, daß unter Readers-Digest-Schichten eine Goethe-Ausgabe von 1876 zum Vorschein kommt und zu einem Preis den Besitzer wechselt, bei dem Antiquare vor Neid erblassen. Da leuchtet dann die Bitte ein: „Nicht so viel kaufen, die anderen Leute wollen auch noch was haben.“ Manchmal ruft er ganz direkt, mit gespielter Leutseligkeit über den Platz: „Leute, ihr müßt noch was kaufen, Onkel Abu-Dabou braucht mal wieder Geld.“ Der Spaß bei der Sache ist unverkennbar, das Geschäft wird en passant erledigt. Auf Haushaltgeräte gibt's sogar Garantie - mit dem schelmischen Zusatz: „Aber nur bis nach Hause.“ Zeitweise läuft Onkel Abu-Dabou zu kabarettistischer Hochform auf. Seine Show dauert samstags und sonntags von sieben bis vier Uhr nachmittags. Besonders verbiesterten KollektivistInnen und vertrockneten BiokrämerInnen sei der Besuch nahegelegt: Hier gibt's was zu lernen in Sachen Lebensfreude. Einen Spruch, der an der Wand von seinem Lager hängt, hab‘ ich mir sofort notiert: „Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Annahme, daß Arbeiten unangenehmer sein muß als Nicht-Arbeiten.“

Ulf Mailänder

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