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Bewährungsstrafe für IWF und Weltbank

■ Das Basso-Tribunal befand die Finanzgiganten zwar für schuldig, setzt jedoch auf deren Reformierbarkeit

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - IWF und Weltbank haben gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen, sie haben die Souveränität einzelner Staaten und das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung verletzt. Sie haben ihre eigenen Statuten gebrochen, die sie zu einer Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards und zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit verpflichten. Und sie haben nachlässig gehandelt, als sie Kredite an Schuldnerländer vergaben, ohne deren Bedingungen genau zu prüfen. So lautet das Urteil, mit dem das „Permanent Peoples Tribunal“ (Basso-Tribunal) in Berlin gestern IWF und Weltbank schuldig sprach. Insgesamt 32 Seiten umfaßt die Urteilsschrift, die die prominent besetzte Jury nach mehr als 20stündiger Verhandlung und nächtlicher interner Beratung der Öffentlichkeit vorgelegt hat. Obwohl der Spruch erwartungsgemäß „schuldig“ lautet und das Tribunal IWF und Weltbank sehr detailliert Verstöße gegen Menschen- und Völkerrechtsbestimmungen nachweist, hat die Jury relative Milde mit den beiden angeklagten Finanzinstitutionen walten lassen. Statt einer Strafe - die niederländische Abgeordnete Eveline Herfkens hatte als Anklägerin gefordert, IWF-Mitarbeiter sollten einen Monat lang in einem Slum leben, um die Auswirkungen ihrer Politik am eigenen Leib zu spüren - plädierte das „hohe Gericht“ für Resozialisierung.

Reformieren statt

Abschaffen

Man habe nicht die Abschaffung der beiden Institutionen in Erwägung gezogen, führte der Vorsitzende des Tribunals, Völkerrechtsprofessor Fran?ois Rigaux, aus, sondern setze auf den Versuch einer Reform von IWF und Weltbank. Als ersten Schritt zu einer solchen Reform schlägt das Tribunal in seinem Urteil drei Maßnahmen vor: ein allgemeines Schuldenmoratorium, eine sofortige, vom UNO-Generalsekretär einzuberufende Schuldenkonferenz unter Beteiligung aller betroffenen Länder, und eine Konferenz zur langfristigen Umorganisation von IWF und Weltbank.

Das Urteil des Tribunals, das keinerlei Rechtskraft besitzt, wird jetzt nicht nur den Direktoren von IWF und Weltbank zugeschickt werden, sondern auch den mitschuldigen Regierungen, die die Kapitaleigner der beiden Organisationen sind. In zwei Jahren willdas Permanent Peoples Tribunal überprüfen, ob sich die beiden Angeklagten „gebessert“ haben. Große Hoffnung setzte die Jury gestern darauf, daß ihr Urteil in den betroffenen Ländern der Dritten Welt bekannt wird, damit die Opfer der Politik von IWF und Weltbank erführen, daß das ihnen zugefügte Unrecht nicht unbemerkt geblieben sei.

Obwohl das abschließende Urteil des Tribunals eher nach einem Kompromiß zwischen IWF-Gegnern und -Befürwortern klingt, brachten die Teilnehmer doch sehr deutlich ihre Sympathien für die Protestaktionen auf den Berliner Straßen zum Ausdruck. „Ich weiß nicht, ob wir vielleicht wieder am Vorabend einer neuen Vietnam-Bewegung stehen“, erklärte die italienische KP-Abgeordnete und eine der HauptinitiatorInnen des Tribunals, Luciana Castellina, „damals haben wir gewonnen und vielleicht gewinnen wir noch einmal.“ Und in einer aufsehenerregenden Rede verbeugte sich der Schriftsteller und Journalist Eduado Galeano aus Urugay vor „der Berliner Bevölkerung“. „Inmitten der Postmoderne und der Gleichgültigkeit hat der jugendliche Protest in Berlin der Welt ein Beispiel für die Würde des Menschen gesetzt“, begann Galeano seine von Ovationen des Publikums begleitete Rede. IWF und Weltbank seien „Dealer“, die sehr wohl wüßten, warum sie selber ihre Drogen nicht nehmen. Sie verordneten eine Therapie, die vorgebe, man könne Blutarmut mit Aderlaß kurieren. Galeano appellierte an die ZuhörerInnen des Tribunals und an die Medien, „Brücken zu schlagen über die Mauer des Schweigens der großen Medien“, damit es einen lauten Protest gebe „gegen den schlimmsten Terrorismus dieser Welt, den Terrorismus des Geldes.“

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