: Deutsche entmachtet bei Atomunfällen
Insgesamt elf US-Spezialeinheiten für Atomunfälle in der BRD stationiert / Kommandogewalt der Amerikaner gegenüber Behörden und Rettungsdiensten ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Neben der US-amerikanischen Eingreiftruppe für „atomare Notfälle“ mit dem Namen „Nuclear Emergency Search Team“ (NEST) stehen in der Bundesrepublik zehn weitere US-Spezialtruppen zum „Eingreifen bei Atomunfällen“ bereit, die unabhängig von deutschen Behörden operieren dürfen. Das geht aus einem Geheimpapier des Oberkommandos der US-Streitkräfte in Europa in Stuttgart hervor, das einem neuseeländischen Friedensforscher zur Verfügung gestellt wurde. Der Friedensforscher hatte vor einem US -amerikanischen Gericht gegen die Geheimhaltungspolitik der US-Regierung geklagt und sich dabei auf das nach der Watergate-Affäre verabschiedete Gesetz über die Informationsfreiheit („Freedom of Information Act“) berufen.
Der Hessische Rundfunk (HR), dem das Geheimpapier vorliegt, meldete gestern, daß die Atom-Eingreiftruppen der US -Amerikaner unter dem Befehl des US-Oberkommandos in Europa und der US-Botschaft in Bonn stünden und unmittelbar von den drei Teilstreitkräften - Army, Air-Force und Seestreitkräfte - geführt würden. Aufgabe der Spezialeinheiten sei es, bei Unfällen mit Atomwaffen das betroffene Terrain zu sichern. In dem Geheimpapier werden drei Kategorien von atomaren Unfällen aufgelistet: der versehentliche Abschuß oder die Explosion einer Atomwaffe (Codewort: „Nucflash“), der Unfall, in den Atomwaffen verwickelt sein könnten (Codewort: „Broken Arrow“) und der Verlust oder der Diebstahl eines Atomsprengkörpers (Codewort: „Bent Spear“).
Einige dieser Spezialeinheiten sollen bereits bei zurückliegenden Verkehrsunfällen mit Atomwaffen zum Einsatz gekommen sein. Bei diesen Einsätzen wurde der bundesdeutschen Polizei der Zutritt zu den abgesperrten Unfallstellen verweigert. Für Atomunfälle bei der Air-Force seien das 50.Taktische Kampfgeschwader in Hahn im Hunsrück und die 316.Luftlandedivision in Ramstein für die „Schadensbegrenzung“ zuständig; die Army unterhalte entsprechende Kommandos in Frankfurt, Stuttgart Fortsetzung auf Seite 2
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und Pirmasens. Weitere Stationierungsorte wurden bislang nicht bekannt.
Nach Informationen der Grünen im Bundestag gibt es Absprachen zwischen dem Bundesinnenminister und den Innenministern von Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden -Württemberg, wonach die Innenminister der Länder im Falle eines Unfalls mit US-Atomraketen ausdrücklich auf ihre Polizeihoheitsrechte verzichteten. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Roland Bachmeier, dazu gestern, es gebe Absprachen, die „nach der Natur der Sache“ geheimzuhalten seien. Die getroffenen Absprachen mit den US -Amerikanern bewegten sich allerdings „im Rahmen internationaler Verträge und des deutschen Rechts“.
Dagegen meldete der HR unter Berufung auf die Geheimpapiere, daß sich die US-amerikanischen Streitkräfte die „Kommandogewalt“ über das bundesdeutsche Rettungswesen selbst gesichert hätten. Dies gelte selbst für den Fall, daß bundesdeutsche Helfer als erste an einem Unglücksort einträfen. Bundesdeutsche Behörden dürften zudem nicht mitbestimmen, wie die Bevölkerung zu unterrichten und gegebenenfalls zu versorgen sei. Die Vertreter der Grünen im Atom-Untersuchungsausschuß des Bundestages, Otto Schily und Michael Weiß, hatten bereits am Dienstag aufgrund der bereits vorliegenden Informationen über NEST die Vernehmung von Bundesinnenminister Zimmermann zum Thema beantragt. Zimmermann soll befragt werden, auf welcher Rechtsgrundlage das bislang geheim gehaltene Abkommen mit den USA über die Stationierung der Atom-Eingreiftruppen beruhe und in welchem Umfang deutsche Behörden an den Einsätzen dieser Einheiten beteiligt würden.
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