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Zwischen Heiligen Bergen

■ Die Navajos am Scheideweg: Amerikanisierung oder Tradition?

Henk Raijer / Gunda Schwantje ZWISCHEN HEILIGEN BERGEN

Die Navajos am Scheideweg: Amerikanisierung oder Tradition?

Selbstzufrieden lehnt sich Kevin zurück in seinem vollklimatisierten Fahrerhaus, den Blick stur auf den Highway 666, die rechte Hand auf dem komplexen Schaltgestänge, ein Sixpack stets in Reichweite. Draußen, ganz unwirklich hinter den abgetönten Scheiben des Lasters, versengt die gnadenlose Mittagshitze die spärlichen Grasbüschel der bizarren Mondlandschaft New Mexikos. Aus Wisconsin stammt er, grüne, saftige Weiden, einen Haufen Vieh besitzt seine Familie „back home“. Während wir, gerade dem Flugzeug aus New York entstiegen, uns noch fragen, was um alles in der Welt die Vorfahren der Navajos veranlaßt haben mag, just an diesem Ort zu siedeln, orakelt Kevin bereits über die Möglichkeiten, die dieses riesige Areal bieten könnte: „Die Indianer sitzen doch den ganzen lieben Tag lang in ihrem Hogan, sehen fern, betrinken sich und lamentieren über Mutter Erde. Ohne Initiative gibt aber nicht mal die heilige Mutter Erde etwas her.“

Zwischen den weitläufigen rot-gelben Tafelbergen, den Mesas, die New Mexiko sein besonderes Gepräge geben, taucht er plötzlich auf, der Felsen, nach dem die Stadt Shiprock benannt wurde und an dessen Fuß wir den USA und damit Menschen wie Kevin für einige Wochen den Rücken kehren werden. Sammelpunkt für die 13Volunteer Workers aus Europa und den USA ist das ehemalige Geschäftsgebäude des Bureau of Indian Affairs, dem bis vor wenigen Jahren alle Selbstverwaltungsorgane der indianischen Bevölkerung unterstanden. Phyl Ogden, die dynamische Direktorin des Jugendzentrums von Shiprock, führt uns in eine jener trostlosen Siedlungen, die mittlerweile im gesamten Reservat überwiegen. Frauen schaffen Matratzen, Töpfe und gar eine Waschmaschine für unser Heim heran. Die Kinder aus der Nachbarschaft schließen schnell erste Freundschaften, die Männer erkundigen sich mit schielendem Blick auf unseren Kühlschrank nach alkoholischen Rücklagen.

Zusammen mit Jugendlichen aus Shiprock werden wir das Civic Center, ein ehemaliges Millionenprojekt, das vor vielen Jahren aus Apathie, Frustration und Geldmangel den Ratten, Schlangen und Tauben überlassen wurde, entrümpeln und neu ausstatten. Das Jugendzentrum plant in den Räumen einen Treff für arbeitslose Jugendliche, eine Disco, einen Frauentreffpunkt sowie eine Beratungsstelle für Alkoholiker. Window Rock (Hauptstadt der Navajo-Nation) scheint die Notwendigkeit für soziale Einrichtungen dieser Art nicht recht einzusehen. „Der Stammesrat (Tribal Council) verweigert uns nicht nur jegliche Mittel. Er versucht konsequent, unsere Arbeit zu torpedieren. Daß wir gerade Euch gebeten haben, uns bei der Verwirklichung unseres Projekts zu unterstützen, hat uns schon im Vorfeld Feinde geschaffen“, sagt Phyl. Menschen der Erde

Zwischen den vier heiligen Bergen - Mount Blanca im Osten, Mount Taylor im Süden, Hesperus im Norden und dem San Francisco im Westen - leben heute circa 200.000 Navajos auf einem Gebiet so groß wie Belgien. Dine (Menschen der Erde) nennt sich das größte Indianervolk Nordamerikas. Unser Haus in Shiprock ist beispielhaft für die Siedlungsstruktur im Reservat: 65 Prozent der Navajos leben in einfachen Billigbauten. Das Material ist von ungenügender Qualität, Isolierung so gut wie keine vorhanden. Viele Wohnungen sind bereits nach zehn Jahren dem endgültigen Verfall nahe. Die übrigen 35 Prozent lehnen die Attribute der „Anglo-Welt“ rigoros ab und ziehen ihren Hogan (eine runde bzw. sechs oder achteckige Hütte aus Holz oder Stein, ohne Elektrizität und fließendes Wasser) dem „Komfort-Haus“ in der Stadt vor. Sie leben in traditioneller Weise verstreut und nutzen das Land nur für ihre Schafe und begrenzten Maisanbau. Auch vor einem solchen Hogan parkt mittlerweile ohne Ausnahme ein pickup truck.

Nur mit Hilfe unseres Jeeps mit Vierrad-Antrieb erreichen wir nach mehrstündiger, abenteuerlicher Fahrt durch die Chuska Mountains das fruchtbare Tal, das Juanita und Billy Begay seit vielen Jahrzehnten während der Sommermonate mit ihrer Schafherde aufsuchen. Wie selbstverständlich fahren die beiden alten Navajos mit den Vorbereitungen zum gemeinsamen Essen fort. Kinder, Enkelkinder und Gäste werden ohne förmliches Begrüßungszeremoniell zum Holzmachen und Wasserholen geschickt, die Atmosphäre ist verbindlich und herzlich. Schwiegersohn Dale schlachtet gerade das Lamm, Juanita bereitet mit ihren Töchtern das traditionelle „fried bread“ zu. Während die alte Frau sich mit ihren Kindern in Navajo verständigt, findet eine Kommunikation mit den Enkelkindern oft nur durch Gesten statt.

Mit derselben Beständigkeit und Ruhe, mit der beide ihrer Arbeit nachgehen, schließen sie in ihrer stillen Weise die Anwesenden mit ein. Zufriedenheit, Würde und Stolz kennzeichnen beide Persönlichkeiten, die sich in vollständigem Einklang mit der sie umgebenden Natur zu befinden scheinen. Von der allgemeinen Perspektivlosigkeit in den Siedlungen des Reservats ist hier nichts zu spüren. Die karge Ausstattung des Hogan, die harte Arbeit, die nur das Überleben sichert, die Diskriminierung durch die US -Gesellschaft, nichts scheint sie in ihrer Identität zu erschüttern. Interner Kolonialismus

Larry Emerson arbeitet als Pädagoge in Shiprock: „Ihr seid zu einem Zeitpunkt hier, an dem sich die Navajos am Scheideweg befinden. Es gibt Bemühungen, die Wirtschaft des Stammes auf solide Beine zu stellen, die Arbeitslosigkeit (die Hälfte aller Navajos ist ohne Beschäftigung) zu verringern und die verlorengegangene Authentizität im spirituellen Erleben zurückzuerobern. Die Folgen des jahrhundertealten internen Kolonialismus sind jedoch verheerend: Die Angehörigen meiner Generation sind durch die forcierte Modernisierungspolitik des Stammes dermaßen frustriert, daß alle Hoffnung auf Erhalt unserer Kultur müßig erscheint.“

Die „border town„-Kultur dominiert. 87 Prozent des erwirtschafteten Vermögens der Navajos wandert in sogenannte Grenzstädte wie Farmington, in die Banken, in die Supermärkte, in die Bars... Während sich für die Frauen die Lebensumstände nicht wesentlich geändert haben, leiden die Männer oft unter einem extremen Identitätsverlust: Sie haben aufgrund ihrer Erziehung und mangelnder Ausbildung kaum eine Chance, sich „draußen“ zu verwirklichen. Auch ein Großteil der Jugendlichen (60 Prozent der Bevölkerung ist unter 20) befindet sich im Konflikt zwischen Amerikanisierung und Tradition.

Das Navajo Community College (NCC) in Shiprock hat sich zum Ziel gesetzt, die junge Generation psychisch zu stabilisieren. Herbert Benally, einer der Direktoren, meint, die Jugendlichen litten unter einem Mangel an Selbstwertgefühl. „Die traditionellen Werte der Navajos scheinen heute nutzlos. Das Fernsehen hat offenbar die Rolle des Familienoberhauptes übernommen. Das Konzept zur Lebensbewältigung, die Weisheit sowie die praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten, die früher der jüngeren Generation traditionell weitergegeben wurden, sind verlorengegangen. Die Alten bieten in den Augen der Jüngeren nichts mehr an, für das es sich lohnt, sich zu engagieren.“

Zur Zeit erarbeitet das NCC unter Leitung von Larry Emerson ein Curriculum, das die traditionellen Werte der Navajo -Kultur zum Ausgangspunkt für eine umfassende Berufsausbildung macht: „Die Navajo-Kultur hat aufgrund ihrer Andersartigkeit, ihrer besonderen Art und Weise, sich in Relation zur Natur zu sehen, etwas anzubieten, das wir als Grundlage nehmen wollen, um es mit den Erfordernissen einer 'normalen‘ Anglo-Ausbildung zu verknüpfen.“

Eine einzige Zeitung gibt es zu kaufen in Shiprock: die stammeseigene 'Navajo Times‘. Seit der redaktionellen Gleichschaltung durch den amtierenden Stammesratsvorsitzenden (Chairman) Peter Macdonald vor einem Jahr verbreitet die Zeitung ausschließlich good news. Der 66jährige „Bic Mac“, wie ihn seine Kritiker nicht gerade liebevoll nennen, lenkt die Geschicke der Navajo-Nation nun schon seit knapp 20 Jahren nach eigenem Gutdünken. „Mister Macdonald gehört zu jenen, die jegliche Sensibilität für unsere Traditionen verloren haben. Er umgibt sich mit body guards und fliegt zu den Galadiners seiner politischen Freunde im Privatjet. Wichtige Gesetzesvorlagen pflegt er in selbstherrlicher Attitüde nach Dienstschluß in intimem Kreis durchzubringen“, so Cindy Bates von der oppositionellen „Dine Rights Association“.

Macdonalds politischer Gegner, der Traditionalist Peterson Zah, hatte als Chairman zwischen 1982 und 1986 seine Chance genutzt, Transparenz in das Gebaren des Stammesrates zu bringen. Zahs wesentlichste Errungenschaft waren die Kündigung der alten Schürfverträge unter anderem mit der Peabody Coal Company und die Anhebung des Ertragsanteils der abgebauten Kohle auf Weltmarktniveau. Die bedeutenden Mehreinnahmen aus diesem „Deal“ ließ er für eine Laufzeit von 50 Jahren einfrieren. Jährliche Zinsen in Höhe von 35 Millionen Dollar sollten dem Volk der Navajos die wirtschaftliche Unabhängigkeit bringen. Nach der erneuten Wahl Macdonalds im Herbst 1986 ließ dieser jedoch nichts unversucht, die Sperrfrist vor Gericht anzufechten. Als ihm dies nicht gelang, benutzte er die Millionen seines Volkes als Bürgschaft, um die Banken von seiner Liquidität zu überzeugen und eine Anleihe in Höhe von 100 Millionen Dollar zu erwirken - mit Erfolg. Verseuchtes Wasser

Wie ein Ring legt sich jeden Morgen, pünktlich um sechs Uhr, ein gelb-grüner Schleier um den Shiprock. Die Four Corners -Kraftwerke transportieren ihre Energie nach Phoenix und Las Vegas, den Navajos bleibt der ungefilterte Dreck. Die US -Umweltschutzauflagen gelten nicht für das Reservat, und der Tribal Council hat es in 20 Jahren nicht geschafft, die Gesellschaften für die Luftverschmutzung zu belangen.

Auch andere Branchen nutzen den vergleichsweise rechtsfreien Raum der Reservation. Als 1979 in den Church Rock Uranminen im einem Auffangbecken für Abwasser, das bei der Urangewinnung anfällt, ein Leck auftrat, wunderten sich die Anwohner zunächst nur über die Farbe des Rio Puerco. Auch lebenswichtige Brunnen sind kontaminiert. Verantwortlich dafür sind nicht nur spektakuläre Unfälle. Zwischen 1968 und 1986 leiteten die Atomgiganten Kerr McGee und United Nuclear pro Minute 18.000 Liter verseuchten Wassers in den Rio Puerco ab. Die Navajos sind gezwungen, ihre Tiere dennoch im Fluß zu tränken, da ihnen das Geld fürs Benzin fehlt, reines Wasser von weither zu transportieren. Reinigung von Geist

und Körper

Schwergewichtig, in Jeans und mit dem unvermeidlichen Baseball-Käppi, eine Camel in der Mundecke, lehnt Everett, ein Sioux-Medizinmann, im Türpfosten. „Kurz vor Sonnenaufgang veranstalte ich eine Reinigungszeremonie. 'Purifying‘ ist gut für Euch Weiße. Da könnt Ihr was lernen.“ Provisorisch zusammengenagelte Alu-Platten schützen nur unzulänglich das „Ewige Feuer“ und eine Iglu-ähnliche Hütte aus Ästen, Erde und Tüchern, die sweat lodge, die indianische Sauna. Während wir ehrfürchtig auf die Gesänge und Gebete des Medizinmannes hören, stimmen fünf bis sechs Navajos recht zwanglos ab und zu ein in das rhythmische Hejajaja, Heja und schlagen auf die Trommel. Dann fordert Everett plötzlich alle auf, die Kleidung abzulegen und in die ungefähr ein Meter hohe Hütte zu kriechen. Drinnen reihen wir uns zu zehnt um das Loch, die Hütte ist nahezu luftdicht abgeschlossen. Ein Helfer reicht die glühenden Steine mit Hilfe einer Schaufel in die Mulde, um die wir in völliger Dunkelheit hocken. Während der Gesänge gießt Everett in regelmäßigen Abständen kaltes Wasser auf die Glut. Wir schwitzen und stöhnen. Einige von uns stehen kurz vor dem Kreislaufkollaps. „Ihr müßt beten. Beten reinigt“, heißt Everetts Rat. Nach zehn Minuten öffnet sich die Luke, kalte Morgenluft strömt ein, und ein rötliches Licht, das nun durch den Eingang einfällt, verrät den nahenden Sonnenaufgang.

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