: Für die Erfindung der Weiblichkeit
■ Autonome Frauenräume: anfangs als Schonraum für Frauen gedacht / Heute geht es um ein eigenständiges Bezugssystem, um eine Machtbasis für Frauen / Wie sonst können Frauen zur Wertschätzung ihrer selbst gelangen?
Barbara Köster
Barbara Köster, 41, lebt in Frankfurt. Sie ist der „Frankfurter Frauenschule“, einem autonomen Bildungsprojekt für Frauen, eng verbunden. (d.Red.)
Parolen wie „Ran an die Macht“ oder „Frauen auf alle Posten“ stehen für die eine Richtung des Feminismus. Staatliche und institutionelle Vorgaben sollen Frauen helfen, endlich die gesetzlich verankerte Gleichberechtigung zu verwirklichen. Die andere Fraktion steht diesem Treiben nachdenklich, kritisch, ablehnend gegenüber und will das ganz Andere. Allerdings ist diese Zweiteilung nicht mehr zu begreifen in dem alten Schema von Reform und Revolution, Pragmatismus und Utopie, sondern es geht um einen viel radikaleren Unterschied als dem zwischen Strategie und Taktik, Fernziel und Nahziel.
Warum autonome Frauenräume? Die Frauen, die darauf bestehen, daß für sie selbst und andere Frauen autonome Räume notwendig sind, gehen aus von dem Gefühl und der Erkennntnis, daß keine von uns sagen kann, was Frau eigentlich ist. Gibt es doch nur die gesellschaftlich definierten Bilder, die Frauen einteilen in Jungfrau, Hure, Mutter, Ehefrau, Hausfrau, Sexualobjekt usw. In all diesen Bildern erkennen Frauen sich immer nur partiell wieder. Immer bleibt ein Stück von ihnen draußen. Diese Bilder und die ihnen komplementären Verhaltensweisen erscheinen wie Kästchen, in die die lebendige, individuell unverwechselbare Frau hineingesteckt wird. Das, was nicht paßt, an den Rändern übersteht, sich dem Einschluß sperrt, wird entweder mit Gewalt hineingepreßt oder abgeschnitten und zu dem unsichtbaren gesellschaftlichen Müll geworfen, in das Unbewußte, Unsagbare abgedrängt.
Aber es heißt nicht, daß es damit nicht mehr vorhanden wäre. Vielmehr wirkt es sprachlos weiter, rumort auf dem Abfallhaufen und äußert sich in den „Fehlern“, den „Funktionsstörungen“ der Frauen. Männern die Schuld dafür zu geben, weil sie Frauen diskriminieren, bedeutet, an der Oberfläche des Phänomens zu bleiben. Die Zerstückelung der Frauenidentitäten ist nicht nur ein Problem der Diskriminierung. Männliche Entwürfe
Die Frauen selbst haben keine anderen sprachlich, kulturell und symbolisch vermittelten Bilder ihrer selbst. Das Bild, das sie im Spiegel sehen, ist männliche Projektion. Die Vorstellung von Gleichheit zwischen Mann und Frau findet hier ihre Grenze. Gleich können nur zwei Dinge werden, die schon existieren. Aber das Weibliche stellt sich in dieser Analyse als das vom Männlichen entworfene heraus.
Ein gutes Beispiel für dieses Dilemma ist die sogenannte Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Berufswelt kennt nur ein Modell des Funktionierens, das männliche. Kein Zufall, daß die Berufskleidung der Karrierefrau das Jackett und der Rock ist, eine Angleichung an den Anzug der Männer. Radikal ausgeschlossen bleibt der weibliche Körper.
Die Familienfrau ist ebenfalls entworfen nach den männlichen Wünschen, gedacht als komplementäre Figur des berufstätigen Mannes. Eine simple Addition der beiden Modelle zu versuchen, heißt die sexuelle Differenz zwischen Männern und Frauen ebenso zu verfehlen wie die Verschiedenheit der Frauen untereinander. Angesichts dieser Sackgasse und der daraus resultierenden Verzweiflung der Frauen, in die sie die Strategie der Gleichheit gebracht hat, geht es in autonomen Frauenräumen um ein radikal anderes Projekt. Bezugssysteme entwickeln
In diesen Räumen soll versucht werden von der sexuellen, kulturellen, sozialen, körperlichen Differenz von Männern und Frauen auszugehen. „Raum“ ist hierbei nicht als geographischer Begriff zu verstehen, sondern bezeichnet ein Bezugssystem zwischen Frauen. Nur in der gegenseitigen Spiegelung unter Frauen kann so etwas wie eine Ahnung entstehen, wer wir eigentlich als Geschlecht sind. Wie kann eine Frau eine Vorstellung davon erlangen, wer sie als Frau ist, wenn nicht darüber, daß sie sich mit anderen Frauen vergleicht, in anderen Frauen und deren Werten, Lüsten, Ängsten und Leidenschaften sich tendenziell selbst wiedererkennt? Nicht in der Abarbeitung an dem Mann kann die Frau entstehen, sondern in einem gemeinsamen und doch jeweils unterschiedlichen und individuellen Entwurf der einzelnen Frau.
Wo sonst, wenn nicht fern vom realen männlichen Blick, kann sich ohne Peinlichkeit und Scham, das zeigen, was Frauen im „normalen“ Funktionieren innerhalb von Männerzusammenhängen immer sorgfältig verstecken und verbergen müssen? Wo dann jede allein ist mit ihrer Angst, „es“ könnte sich doch unkontrolliert zeigen? Und es käme raus, daß die Frau doch noch kein perfekter Mann geworden ist? Wobei das zu Versteckende von der Menstruation über die scheinbar unangemessenen Gefühle bis hin zu den gedanklichen Assoziationen reicht, die innerhalb des dominanten Diskurs und Verhaltenskodex als ver-rückt erscheinen.
Wo sonst als innerhalb derartigen Raums können weibliche Stimmen endlich nicht mehr als zu leise, zu schrill, zu flach gehört werden, sondern eben einfach als Frauenstimmen mit einer anderen Satzmelodie, die sich nicht mißt an dem männlichen Tonfall und Sprachgestus.
Wo sonst als in einem Frauenraum kann eine Vorstellung des weiblichen Körpers entstehen, die ihre eigenen ästhetischen Kriterien entwickelt und nicht an der Sexualprojektion der Männer?
Das Projekt, dem weiblichen Projekt als einem unterschiedlichen mit einer eigenen Logik und einem eigenen Körper eine soziale Darstellung und symbolische Repräsentanz zu verleihen, beinhaltet eine Machtdimension, wie sie fundamentaler wohl nicht vorstellbar ist. Bei dem Entwurf einer eigenen Weiblichkeit wird es sich nicht darum handeln können, das, was sich an Eigenschaften heute bei den Frauen zeigt, pauschal gutzuheißen. Ist doch „Frau“ und ihr Verhalten eine männliche Konstruktion und als solche durchzogen von dem Diskurs der Herrschaft. Frauen nur zu bejahen würde darauf hinauslaufen, sich auch mit der Unterdrückung, die in dieser Konstruktion steckt, zu identifizieren. Diese Herrschaftselemente sich gegenseitig aufzuzeigen, um dadurch zu einer Befreiung des Weiblichen zu gelangen, ist ein Reibungs- und Konfliktpunkt unter Frauen. Das dominante System
Das bedeutet auch Konflikte unter Frauen, heißt Aggressionen, da ja die andere mir alle Verzerrungen, Verrenkungen, Anpassungsleistungen und Verformungen widerspiegelt, unter denen ich selbst leide, und die mich entwerten, klein und häßlich machen. Diese Verzerrungen und Verrenkungen sich zuzugestehen und darin dennoch den Wunsch nach Befreiung wahrzunehmen und zu unterstützen ist nur vorstellbar außerhalb des Bewertungssystems der Männer. Dies ist schwierig genug: denn der Mann ist dadurch symbolisch und imaginär anwesend, so daß wir uns dauernd in dem dominanten System bewegen. Wir haben ja kein anderes.
Das Neue, das wir versuchen, ist nicht das bisher völlig Unbekannte. Vielmehr geht es um die Subversion, die Zersetzung des bestehenden Systems. Das Weibliche, das bisher ausgeschlossen war, wird integrierbar und kommt zur Darstellung. So wird es nicht darum gehen, eine neue Frauensprache zu erfinden, sondern in die Sprache, in der wir uns jetzt bewegen, die Elemente, Wörter und grammatikalischen Wendungen einzufügen, die es dann erlauben, weibliche Erfahrungen in die Sprache mit einzubeziehen.
Die einzige Rettung, die Frauen in gemischten Räumen gegenüber dieser überwältigenden Repräsentanz des Männlichen sonst haben, ist ihr Bezug auf die Phantomgestalt „Frau“. Dies drückt sich in dem Anspruch aus, für alle Frauen zu sprechen, Vertreterin der Frauen zu sein. Wobei hinter der Konstruktion der Allgemeinheit der Frauen sowohl die individuelle Frau, die spricht, als auch der Unterschiede zwischen den realen Frauen verschwinden.
Frauen benötigen diese Konstruktion, da innerhalb des männlichen Diskurses die Konkretion nicht erscheinen darf. Insofern hat sich die Bedeutung von Frauenräumen in den letzten 20 Jahren gedreht. Waren sie am Anfang gedacht als defensive Maßnahmen gegen die Übermacht der Männer, als Schonraum zur Nachhilfe von Frauen, damit diese genauso gut werden konnten wie die Männer, stellen sie jetzt eine Machtbasis dar, von der aus Frauen beginnen können, sich selber und ihrem Geschlecht als unterschiedlichem in der Welt Geltung zu verschaffen. Frauenräume sind herzustellen in jeder Institution der Welt, überall dort, wo sich Frauen begegnen.
Ende der Serie
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