Aids: Süssmuth als Strohmann

Berlin (taz) - Der Abschied Rita Süssmuths vom Bonner Gesundheitsministerium ist nicht gleichbedeutend mit dem Abschied von liberaler Aids-Politik: Die Ministerin war keineswegs Leitfigur oder Garant dieser Politik, sie war lediglich ihre oberste Repräsentantin, sie war ihr Strohmann. Rita Süssmuth gab in der Aids-Politik nicht die Direktiven aus, sie erhielt sie. Ihr großer Verdienst bestand darin, daß sie die Gesundheitspolitik in Sachen Aids anderen überlassen hat: den wissenschaftlichen Beratern und Staatssekretär Chory, deren Vorgaben sie weitgehend übernahm.

Rita Süssmuth hat mit Aids Karriere gemacht. In der Abgrenzung von der bayerischen Linie und als Kontrastfigur zu Staatssekretär Gauweiler gewann sie Profil und Sympathien. Doch sie selbst hat nach der seuchenpolitischen Wende Bayerns immer wieder gewankt und mußte hausintern „bearbeitet“ werden. Angriffe und Kritik aus Bayern lösten regelmäßig fast panische Reaktionen im Ministerium aus. Von der Krankheit selbst verstand sie wenig, an ihrem Aids-Buch hat sie kaum eine Zeile selbst geschrieben. Was man ihr als persönliches Engagement abnehmen konnte, war der von ihr immer wieder herausgestellte Hinweis auf die Situation der Infizierten und Kranken, für die sie Partei ergriff. Immerhin.

Daß während der Ära Süssmuth die katholischen Bischöfe teilweise mitregierten, dies war ein offenes Geheimnis und wurde bei der halbherzigen Kondom-Werbung des Ministeriums für jeden sichtbar. Nach Intervention der Bischofskonferenz durfte man das (Wort) Kondom im Ministerium nicht mehr in den Mund nehmen. Erst nach ihrer USA-Reise wurde diese Haltung korrigiert. Eine wirkliche einhämmernde, breite Kondom-Kampagne, die diesen Namen verdient hätte, war mit der Katholikin Süssmuth nicht zu machen.

In der direkten Konfrontation mit ihrem Widersacher Peter Gauweiler, mit dem sie auf vielen Konferenzen zusammentraf, blieb sie brav, fast ängstlich. Offensiv oder gar aggressiv hat sie die „Süßmuth-Linie“, die zu Unrecht ihren Namen trug, nie vertreten. Die Aids-Hilfen und Institute, die auf Geld und Wohlwollen der Ministerin angewiesen waren, beobachten den Abschied der Gesundheitsministerin mit gemischten Gefühlen. Süssmuth war für sie der klassische Fall des kleineren Übels. Man konnte mit ihr leben.

„Was hat die Frau außerhalb von Aids in der Gesundheitspolitik eigentlich getan?“ Diese Frage von Beobachtern der Gesundheitspolitik ist berechtigt. Ob Gesundheitsreform, Tschernobyl, Lebensmittel-Skandale, Agrarpolitik oder die wachsende Verseuchungsspirale - von der Ministerin war wenig über die Bedrohungen der Volksgesundheit zu hören. Und manchmal auch gar nichts. Zuletzt traute sie sich, Methadon-Programme zu fordern. Ob dieser Vorstoß Bestand hat oder ob er so schnell verschwindet wie manche ihrer Vorschläge zum Nichtraucherschutz, mit denen sie im Kabinett sang- und klanglos baden ging, bleibt offen.

Manfred Kriener