: Eine europäische Verlegerin
■ Über Maren Sell, die in Paris eine „europäische Edition“ gründete
Georg Blume
Sie heißt Maren Sell und nennt sich eine „europäische Verlegerin“. Einst hat sie ihr Ohr an das Herz der Stadt gelegt, und nun schlägt auch ihr Herz mit dem der Stadt. Sie lebt den deutschen Traum von Paris.
Dieser Traum ist 20 Jahre alt. Als Maren Sell zum Mai'68 ihre Studienstadt Freiburg verließ und an die Seine übersiedelte, erlebte sie „einen Moment, in dem man sich in Paris politisch integrieren konnte“. Ihre Integration ist heute perfekt. Verlagsbüro und Privatwohnung hat sie im berühmten Quartier Latin von Paris bezogen, dort, wo die Studenten einst demonstrierten und die Intellektuellen flanierten. Heute noch zeugt die Adresse für politisches und literarisches Standing.
Vor zwei Jahren gründete sie ihren eigenen Verlag. Zum ersten Mal ist sie als Selbständige tätig. Warum jetzt der Alleingang? „Früher“, sagt Maren Sell, „floß der Austausch. Das hat aufgehört.“ Früher arbeitete Maren Sell zum Beispiel für „Agence Presse Liberation“, die Anfang der siebziger Jahre von Jean-Paul Sartre gegründete alternative Presseagentur, und sorgte für den Informationsfluß mit der Bundesrepublik. Aus der Agentur entwickelte sich etwas später die Tageszeitung 'Liberation‘, und Maren Sell wurde Frauenredakteurin. „Da hat es geknallt“, sagt sie heute. Maren Sell schrieb dann ihr erstes Buch - auf Französisch. „Damals wurde der Terrorismus in der Bundesrepublik in Frankreich nicht verstanden. Ich versuchte deshalb in dem Buch, die Schuldprobleme meiner Generation zu erklären.“ Bis zur Verlagsgründung 1986 war Maren Sell anschließend als Lektorin und Verlagsberaterin tätig.
Zuerst die Anziehungskraft des Mai'68, dann Begeisterung und Enttäuschung über 'Liberation‘, das erste linke und dann liberale Zeitungsprojekt, die darauffolgenden Erklärungsversuche über die eigene bundesdeutsche Generation, dem schon ein Gefühl des Nichtverstandenseins zugrunde liegt, und schließlich der Alleingang als Verlegerin: das alles sind Stationen einer Lebensgeschichte, die einen einzigartigen Generationskonflikt benennt. Keinen zwischen Vater und Sohn, auch keinen zwischen Mutter und Tochter, sondern zwischen bundesdeutschen und französischen Achtundsechzigern.
Maren Sell ist es recht. Was bleibt? „Ich will immer noch vermitteln. Ich habe ja immer so gelebt.“ Mit ihrem Verlag, sagt Maren Sell, fängt sie noch einmal von vorne an. Das Buch
Zur Vermittlung über den Rhein holte Maren Sell eine ältere Generation an einen Tisch, ganz als ob sie das Gespräch unter Achtundsechzigern aufgegeben hätte. Für ihre neue Verlagsreihe „Dialog 1992“ trafen sich Günter Grass und die französische Ex-Kulturministerin, Schriftstellerin und Kolumnistin Francoise Giroud. Ein ungleiches, schönes Paar, dessen Dialog Maren Sell mit viel Pressewirbel in Paris veröffentlichte. Die deutsche Übersetzung soll im Frühjahr bei Luchterhand erscheinen.
„Wir müssen wieder mit den Klischees anfangen, um uns unsere unterschiedlichen Mentalitäten klar zu machen“, formuliert Maren Sell heute ihren Anspruch an den deutsch -französischen Dialog ohne jeden Anschein von Resignation. Und Günter Grass und Francoise Giroud werden diesem Anspruch wunderbar gerecht. Sie haben sich nichts zu sagen, sie verstehen sich grundsätzlich nicht. Sie werden sich, sagt Maren Sell, nie wieder sehen. Endlich ein deutsch -französischer Dialog mit viel Wirklichkeitsgehalt.
Die Themen sind bekannt. Grass schimpft auf König Mitterrand, Giroud rügt die deutsche Zukunftsangst, Grass nennt sie den besten Ratgeber dieser Zeit. Sie streiten sich über Sozialisten hier und Grüne dort, über die Aufgabe der Intellektuellen, über die Rolle der Sowjetunion etc. etc. Das hat den Vorteil, daß beide ehrlich sind und ihren Ärger über das andere Land nicht verschweigen. Der Verlag
Für Maren Sell ist das Grass/Giroud-Buch nur ein „Versuchskarnickel“ in ihrem neuen Verlagskonzept: die „europäische Edition“. Bisher werden Bücher übersetzt, wenn sie erfolgreich oder für den ausländischen Markt aus anderen Gründen vielversprechend sind. Maren Sell will nunmehr simultan in sieben Ländern publizieren. Entsprechende Absprachen mit Verlagen in der Bundesrepublik, Holland, Schweden, Italien, Griechenland und Spanien sind bereits getroffen. Sie betreffen sowohl die „Dialog 1992„-Reihe, die mit einem Gespräch Paris-Moskau fortgesetzt werden soll, wie bisher unveröffentlichte Prosatexte von zeitgenössischen Autoren.
Dabei ist sie sich ihrer Sache sicher. „Das Klima im europäischen Verlagswesen hat sich etwas geändert“, sagt Maren Sell. „Die Schriftsteller rücken heute wieder von den großen Verlagen ab und schätzen wieder die direkte Zusammenarbeit mit dem Verleger. Gerade dann, wenn es auch um Übersetzungen geht.“
Maren Sells Konzept scheint aufzugehen. Das sprengt zumindest den Rahmen, im Verlagswesen, aber auch im Quartier Latin. Schüttelt sie damit auch den deutschen Traum von Paris ab - oder beginnt er aufs Neue?
Francoise Giroud, Günter Grass: Ecoutez-moi... Paris, Berlin, aller, retour, Paris (Edition Maren Sell) 1988, 110 FF
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