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Genetischer Fingerabdruck im Prozeß?

Erstes Verfahren mit dem umstrittenen Beweismittel in Berlin eröffnet / Angeklagter sollte der Vergewaltigung überführt werden, hat aber inzwischen gestanden / Gericht muß trotzdem über Beweismittel entscheiden  ■  Aus Berlin Plutonia Plarre

Zum ersten Mal in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte begann vor der 29.Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts gestern der Prozeß gegen einen Mann, der von der Staatsanwaltschaft mit Hilfe des „genetischen Fingerabdrucks“ einer Vergewaltigung und anschließenden Mordes überführt werden sollte. Nachdem aber der Angeklagte gestern überraschend ein Geständnis abgelegt hat, bedarf es dieses äußerst umstrittenen Beweismittels eigentlich nicht mehr. Dennoch wird die 29.Strafkammer nicht umhin kommen zu prüfen, ob die Einführung des genetischen Fingerabdrucks der von der Staatsanwaltschaft nun einmal ohne die Zustimmung des Angeklagten Hansjürgen R. in Auftrag gegeben worden ist - in deutschen Strafverfahren überhaupt zulässig ist.

Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, daß die bei dem Angeklagten für den genetischen Fingerabdruck entnommene Blutprobe vom Paragrah 81a der Strafprozeßordnung gedeckt sei. Ganz anderer Auffassung ist sein Verteidiger Christian Ströbele, der nicht nur von einem unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten spricht: So habe der Rechtsausschuß des Bundestages festgestellt, daß die Erstellung des genetischen Fingerabdrucks vom Strafrecht nicht gedeckt sei.

Die 21jährige Bankangestellte Claudia Mrosek war am 16.März dieses Jahres erdrosselt in einer Kleingartenklonie im Bezirk Neukölln aufgefunden worden. Schon wenige Tage, nachdem sie am 27.Februar verschwunden war, wurde vermutet, daß sie nicht mehr lebt: Ein Unbekannter hatte mit ihrer Scheckkarte und ihrer Geheimnummer von einem Bankautomaten Geld abgehoben und war dabei von einer Videokamera gefilmt worden. Der trotz der sehr verwaschenen Aufnahme in Verdacht geratene Hansjürgen R. hatte sich nach einer öffentlichen Fahndung der Polizei gestellt. Er wurde wegen des Verdachts des Computerscheckbetrugs in Untersuchungshaft genommen, Tage bevor die Leiche von Claudia Mrosek gefunden wurde. Aber auch danach bestritt er die Tat. Wenige Monate später machte die Staatsanwaltschaft feierlich bekannt, daß es gelungen sei, R. mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks wegen Vergewaltigung und Mordes anzuklagen. Sie hatte in aller Stille eine Blutprobe R.'s und die in einem Bettlaken in der Wohnung des Opfers gefundenen Spermaspuren für einen genetischen Fingerabdruck bei der Firma Cellmark Diagnostic in Großbritannien in Auftrag gegeben. Diese Spuren seien mittels der von dem Engländer Jeffery entwickelten Genomanalyse (genetischer Fingerabdruck) ausgewertet worden. Die Analyse beruht auf der Sichtbarmachung bestimmter Teile der DNA (genetisches Material), das in jeder Zelle des menschlichen Körpers vorhanden ist. Laut Anklage ergab der Vergleich der Genstrukturen aus den Zellen von R.'s Blut mit den Zellen des auf dem Bettlaken gefundenen Spermas mit hoher „Wahrscheinlichkeit“, daß R. der Täter sei. Der bisherige Terminplan sieht vor, daß das Gutachten am kommenden Mittwoch von einem Mitarbeiter der Cellmark Diagnostic in den Prozeß eingeführt wird.

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