Das Pro-Doping-Plädoyer

■ Der Kugelstoßer Ralf Reichenbach plädierte öffentlich für die Legalisierung des Dopings / Reichenbach: „Ben Johnson bleibt mein Vorbild“ / Funktionäre sauer

Früher beförderte er regelmäßig Sieben-Kilo-Eisenkugeln auf Rekordentfernungen. Heute macht er sich einen Spaß daraus, Sportfunktionäre, Wissenschaftler und Ärzte aufzuscheuchen. Am Samstag vor einer Woche zeigte der amtierende deutsche Rekordhalter im Kugelstoßen, Ralf Reichenbach aus Berlin, zur besten Sendezeit im ZDF-Sportstudio dem Publikum den Rambo im Porzellanladen des Sports. Grinsend und gestylt mit Arnold Schwarzenegger-Frisur, versetzte der Riesenathlet der Sportwelt einen gar unmoralischen letzten Stoß. Der Mann, der inzwischen sein Geld in der Mauerstadt mit Bodybuilding macht, forderte doch tatsächlich die Freigabe der bösen anabolen Steroide. Letztere sind dafür bekannt, die Muskeln unserer Helden über Gebühr aufzublähen und ihnen schier übermenschliche Kräfte zu verleihen. Leider sollen die Zaubermittel Leberkrebs und Unfruchtbarkeit hervorrufen, was inzwischen wissenschaftlich erwiesen scheint. „Trotzdem“, sagte sich Reichenbach, und er brachte auch seine Gründe vor: „Erstens, um damit der Falschheit und dem Pharisäertum ein Ende zu bereiten. Zweitens, um die Gesundheit der Athleten zu schützen und ihnen die Möglichkeit der Information und der fachgerechten Beratung bei der Einnahme der Mittel zu ermöglichen.“

Als erbitterter Freund des Leistungssports plädierte er für Stanozol und andere pharmazeutische Geschütze. Gleichzeitig machte er auf heilige Johanna der Sportschlachthöfe und bekannte: „Ich habe Anabolika genommen. Zehn Jahre lang habe ich muskelbildende Hormonpräparate eingenommen, um als Leistungssportler mithalten zu können.“ Und die Krönung: Ihm hätte es jedenfalls nicht geschadet, denn „sechs Jahre nach Beendigung meiner Karriere als Hochleistungssportler leide ich nicht an den geringsten Spätfolgen“.

Als ein Plädoyer für das Ende von Lüge und Heuchelei wollte der Mann seinen Vorstoß im übrigen verstanden wissen. Ja, das war ein Schlag ins Gesicht der Sportmacher, die bis vor kurzem nicht wirklich etwas von dem Gebrauch der Muskelpuscher wissen wollten. Fröhlich hatten sie Qualifikationsnormen gesetzt, die ohne verbotene Mittel überhaupt nicht geschafft werden konnten. Erst als Ben Johnson bei den Olympischen Spielen in Seoul als böser Bube aufgefallen war, weil man fremde Substanzen in seinem Körper fand, setzte sich die Erkenntnis durch, daß es Verfehlungen und Verirrungen im großen Stil gegeben haben müsse. So wurden bald neue Methoden ersonnen, um der „Seuche“ (Doping -Chef-Kontrolleur Hollmann) Herr zu werden. Eine Idee war, Dopingpolizisten durch die ganze Welt zu schicken, die überall Sünder entdecken sollten. Nun ist Doping Teil einer Veranstaltung, bei der es stets nur um die Steigerung der Leistung geht. Die Wettbewerbs-Macher erfinden immer neue Regeln, die Unerlaubtes von Erlaubtem trennen wollen. Der Überwachungsapparat wird da immer gleich mitgeliefert. Die Techniken zur Überlistung des Systems laufen parallel. Jetzt stellt sich Herr Reichenbach keck hin und fordert kurzerhand die Beseitigung der Doping-Regeln: „Wir warnen immer vor dem Überwachungsstaat. Im Sport wollen wir ihn freiwillig einführen.“ Logisch, daß der ehemalige Kugelstoßer Ben Johnson, den der Bannstrahl der Gerechten traf, als Held im Dschungel des Regelwerks feiert: „Johnson ist für mich ein untadeliger, vorbildlicher Athlet.“

Die Initiative von Reichenbach konnte nicht lange unbeantwortet bleiben. So fürchtet der Sportarzt und Angestellte des Gesundheitsministeriums, Professor Manfred Steinbach, daß „es doch wieder Athleten geben wird, die heimlich ihre Dosis über das ärztlich zugelassene Maß hinaus erhöhen“. Verschwiegen wie ehedem blieb dagegen einer der großen Trainer im Hochleistungssport, der Schwerathletik -Bundestrainer im DLV. Manfred Gehrmann: „Wissen Sie, wenn ich jetzt erzähle, daß gedopt wird, verliere ich vielleicht meinen Job, und wenn ich behaupte, daß keiner Unerlaubtes zu sich nimmt, lachen mich meine Kollegen aus.“

Th.D.