: Polizeistaatliche Methoden
„Wir wollen mit diesem Gesetz den Wanderzirkus der Gewalttätigen und Autonomen treffen“. Edmund Stoiber, bayerischer Innenminister, hält unverdrossen am Gesetzentwurf des Freistaates fest. Der „Unterbindungsgewahrsam“ - wie die Vorbeugehaft in der Amtssprache euphemistisch genannt wird - soll von 48 Stunden auf 14 Tage ausgedehnt werden. Im Sommer letzten Jahres vorgestellt, stieß die bayerische Gesetzesinitiative quer durch die Parteien bei namhaften Juristen, Polizeiexperten und Verfassungsrechtlern auf massive verfassungsrechtliche Bedenken. „Das sind polizeistaatliche Methoden“, kommentierte im Juli 88 auch die liberale Bundestagsabgeordnete Hildegard Hamm-Brücher. Ohne den genauen Gesetzestext gelesen zu haben, schossen sich die KritikerInnen insbesondere auf die 14tägige Dauer der geplanten Regelung ein. Für sie stand fest, daß damit das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebrochen wäre.
Von den Widersachern weitgehend unbemerkt, verfolgt die bayerische Staatskanzlei in dem Gesetzentwurf aber auch weitergehende Ziele: Über eine zeitliche Ausdehnung der Vorbeugehaft hinaus will der Freistaat den von einer Polizeihaft bedrohten Personenkreis erheblich ausdehnen. Sollte der Wortlaut des Gesetzestextes in naher Zukunft Wirklichkeit werden, hat die Bayerische Staatsregierung nicht nur ihre immer wieder erhobene Forderung nach einer Verschärfung des „Landfriedensbruch-Paragraphen“ (§ 125 STGB) nicht nur auf dem Umweg des Polizeigesetzes umgesetzt.
Der Entwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG), der im September dem Bayerischen Senat vorgelegt wurde und der weitgehende Billigung fand, wird jetzt dem bayerischen Landtag zugeleitet. In ihm werden unter dem Paragraphen 16 Absatz 1 von a) bis c) Regelbeispiele aufgeführt. Darin soll festgelegt werden, wann und unter welchen Umständen die Vorbeugehaft angeordnet werden kann, um „eine drohende Straftat oder gewichtige Ordnungswidrigkeit“ zu verhindern.
Der Willkür Tür und Tor geöffnet
In Artikel 16 Absatz 1 des PAG-Entwurfes heißt es, die Annahme, daß eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich auch darauf stützen, daß
a) sie die Begehung der Tat ankündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente, Flugblätter oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt.
Damit könnte allein schon der Besitz von Flugblättern, die beispielsweise zu einer Sitzblockade auffordern, mit einer bis zu 14 Tagen dauernden Polizeihaft enden. Doch wesentlich gravierender sind die folgenden Regelbeispiele:
b) daß, bei ihr oder ihrer Begleitperson Waffen, Werkzeuge und sonstige Gegenstände gefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden.
Im Gegensatz zu bislang geltenden Bestimmungen soll künftig eine Zuordnung von aufgefundenen Gegenständen zu bestimmten Personen nicht mehr notwendig sein. So könnten sämtliche InsassInnen eines Busses auf dem Weg zu einer Demonstration schon dann in den Polizeigewahrsam wandern, wenn in dem Bus Gegenstände gefunden werden, die sich im Sinne des Versammlungsgesetzes zu Waffen oder Werkzeugen erklären lassen.
Tür und Tor wird der Willkür bei der Anwendung des „Unterbindungsgewahrsams“ aber mit dem letzten der Regelbeispiele geöffnet:
c) daß sie bereits in der Vergangeheit mehrfach aus vergleichbarem Anlaß bei der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit als Störer getroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist.
Völlig unbestimmt bleibt die Definition dessen, was im Entwurf als „Störer“ bezeichnet wird. Wer nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfes durch den Bayerischen Landtag auf dem Weg zu einer angemeldeten und genehmigten Demonstration ist, könnte sich unversehens in Polizeihaft wiederfinden. Er muß nicht einmal wissen, daß er in den Polizeidateien als „Störer“ geführt wird. Er gerät beispielsweise in eine - nach dem Polizeigesetz legitimierte - Straßensperre. Bei der Kontrolle werden dann seine Personalien im Polizei-Computer gespeichert. Und bei der nächsten Demonstration - wieder an einer Kontrollstelle wird er nun plötzlich in Polizeihaft genommen mit der Begründung, er wäre bereits früher an einer Kontrolle als „Störer“ erfaßt worden. Auch wenn derartiges absurd scheint, es ist Bayerische Realität. So wurden jüngst in Rosenheim mehrere Hausdurchsuchungsbefehle bei Gericht beantragt. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen einen Flugblattverteiler sollte die Polizei auch feststellen, ob gegen andere Bewohner des Hauses, in dem der Verdächtigte seinen Wohnsitz hat, Erkenntnisse vorlägen. In den Akten über den Flugblattverteiler werden nun die Persönlichkeitsprofile der anderen Hausbewohner - die in keinem Zusammenhang zu den Flugblattverfahren stehen - aufgeführt. Vermerkt wird unter anderem, eine Person habe früher einmal einen Info-Stand angemeldet, eine in einer Jugendfreizeiteinrichtung mitgearbeitet und einer wäre an einer Kontrollstelle als Störer kontrolliert worden. Wörtlich heißt es: „Am 30.3.1986 Kontrolle des PKW im Raum Regensburg auf dem Weg zur Großdemonstration, Eisenstange, Winde, Kette und Stahlseile im PKW dabei“. Der Betroffene erfuhr nur zufällig von seiner Speicherung.
Die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechtes, die Diskussion um eine Kronzeugenregelung und zuletzt die Forderung nach einer Änderung der Strafprozeßordnung, um verdeckte polizeiliche Ermittlungstätigkeiten zu legitimieren, hatten in den letzten Jahren stets den selben Ausgangspunkt: die Bayerische Staatskanzlei am Münchner Odeonsplatz. Doch nicht genug, daß auf Initiative des Freistaates die Sicherheitsgesetze in Bonn verabschiedet wurden, werden jetzt die bayerischen Gesetzesinitiativen, die auf Bundesebene gescheitert sind, via Länderkompetenz durchgesetzt: Über das landeseigene Polizeigesetz oder, wie der „Bayerische Maßnahmenkatalog“ gegen Aids, auf dem Verordnungsweg.
Erste „Probeläufe“ an der WAA
„Eine ungeheure zielstrebige Planung“ ließe sich an der geplanten Änderung des PAG erkennen. Für Hartmut Waechtler, Münchner Rechtsanwalt und Vorsitzender der Bayerischen Strafverteidigerinitiative, prägt sie ganz eindeutig den Gang des Gesetzgebungsverfahren. Auf das Mittel des Polizeigewahrsams sei die Staatsregierung bei den Auseinandersetzungen um den Bau der WAA in Wackersdorf gestoßen. Im Sommer 1986 wurden die vorbeugenden Festnahmen erstmals im großen Maßstab angewendet. In den frühen Morgenstunden räumten Beamte der Bereitschaftspolizei und des Bundesgrenzschutzes ein Zeltlager mit WAA-GegnerInnen in der Nähe des Baugeländes, 280 Personen wurden bis zum übernächsten Tag im Polizeigewahrsam festgehalten. Lediglich sieben der Arrestierten wurden überhaupt einem Richter vorgeführt. Über die Klagen der Betroffenen, die die Rechtmäßigkeit der Aktion anzweifelten, ist bei Gericht noch nicht entschieden worden.
Im zweiten Anlauf hatten die Polizeistrategen das neue Instrument schon erheblich perfektioniert. Anläßlich der Aktionstage gegen die WAA im Herbst 1987 wurden acht Richter noch vor Beginn der Aktionen an das Amtsgericht in Schwandorf und an das Landgericht in Amberg abgeordnet. 73 WAA-GegnerInnen wurden dann im Verlauf einer Woche in Vorbeugehaft gesteckt. Auf hektographierten Formularen, in denen nur noch die Namen der Betroffenen einzutragen waren, wurde ihre polizeiliche Ingewahrsamnahme angeordnet. Das Vorgehen der Polizeibehörden hielt aber auch diesmal einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Nachträglich erklärte das Landgericht Amberg sämtliche „Ingewahrsamnahmen“ für unzulässig. Die Richter argumentierten, die bei den DemonstrantInnen aufgefundenen - und von der Polizei als Beleg für eine anstehende Straftat vorgelegten - Gegenstände ließen sich den Personen nicht eindeutig zuordnen.
Um dererlei Schlappen künftig zu verhindern, ist im Gesetzentwurf jetzt konsequent festgehalten, daß mit dem bloßen Auffinden von Gegenständen, die möglicherweise zur Begehung einer Straftat der schwerwiegenden Ordnungswidrigkeit geeignet sind, dem Anlaß für eine Polizeihaft Genüge getan ist.
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