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FAMILIENTREFFEN BEENDET

■ Abschluß des Festivals „The Relative Violine“

„Wir haben auf diesem Festival gehört, was man alles mit der Geige machen, aber auch was man nicht mit ihr machen kann“, eine treffende Schlußformel von Matthias Osterwold von den „Freunden guter Musik“, neben Jon Rose verantwortlich für Programmplanung und Organisation.

Läßt man die vergangenen vier Konzertabende im akustischen sowie visuellen Gedächtnis Revue passieren, ergibt sich eine Unmenge von Variationen über das Thema „Violine“. Die aktuellen Möglichkeiten, mit diesem Instrument umzugehen, scheinen schier unerschöpflich zu sein. Auf dem Festival wurden drei Hauptstränge der Entwicklung dokumentiert, die pathetisch auch als Rebellion der Geiger gegen althergebrachte und traditionelle Vorurteile verstanden werden könnte, wonach die Geige immer noch das Instrument des 19.Jahrhunderts sei, ein Element der klassischen, ernsten Musik, und nicht Teil der musikalischen Moderne. „Die Tradition der Violine wieder in Fluß bringen“ war eines der Ziele der Organisatoren, und sie scheinen diesem Motto zumindest ein Stück weit genügt zu haben.

Das Experimentierfeld „Geige“ läßt sich vielleicht folgendermaßen umreißen: Da sind einmal die stillen Bastler und Tüftler, die Grufties der modernen Geigenforschung. Sie haben sich über Jahre in ihren Katakomben verbarrikadiert gehalten und nur manchmal ihre Großmutter losgeschickt, um etwas zu essen und ein neues Computerbauteil zu organisieren. Die Software haben sie geheimniskrämerisch selbst entwickelt, und nun spielen sie ihre Geige nur noch in Verbindung mit einem vierfach Oversampling Delay. Manche von ihnen (wie Phil Wachsmann) sind dermaßen der Faszination der Computerspielerei erlegen, daß sie auch gleich noch einen bildschirmdesignten Film zur Musik mitliefern. Das Ergebnis steht leider häufig in keinem Verhältnis zum technologischen Aufwand, der dafür betrieben wird, aber doch ist es wenigstens interessant, diese vorläufigen Forschungsergebnisse einmal der Öffentlichkeit vorgestellt zu haben. Schade wäre nur, wenn die Gestalt der rundlichen Geige sich in Fortführung der Experimente von Felix Savart (1791-1841), der eine trapezförmige Violine baute, die klanglich gleichwertig aber anscheinend nicht „weiblich“ genug aussah, um sich bei männlichen Musikern durchzusetzen, im Computerzeitalter zu einer Geige in Form eines Monitor -Keyboards mutieren würde.

Eine andere Methode, der zweite Strang, der Geige den Muff von tausend Jahren aus dem Talar zu blasen, sind verschiedene Stimmtechniken. Mit diesen lassen sich absichtliche Um- und Verstimmungen erzeugen, auch dies schon eine längere Entwicklung, die im 17.Jahrhundert mit der „Scordatura„-Technik von Franz Biber begann. Die erfolgreiche Fortführung wurde auf dem Festival unter anderem durch die Kompositionen von Elliott Sharp demonstriert. Er verwendet eine „Fibonacci“ Zahlenreihe, die auch in der menschlichen DNS vorkommt, um eine Notation zu entwerfen. Andere Möglichkeiten sind Bach rückwärts zu spielen (Kathi Kelsh) oder moderne, zeitgenössische Kompositionen zu bearbeiten, die ihre Dissonanzen so konsequent verfolgen, daß sich wieder eine innere Harmonie ergibt, die das „falsch“ Gespielte zusammenhält und neue Reize schafft. Nachdrücklich verfolgt in Janos Negyesys Bela -Bartok-Interpretation und in einem Stück von Frank Pesquet, der anwesend war (ein lebender Kopmponist!) und sich so gemeinsam mit dem Interpreten für den Applaus bedanken konnten.

Der dritte Strang des Festivals der Geige in ihren Relationen war der Bereich Volksmusik, hier in erster Linie aus dem Balkan. Besonders als Ausgleich für die mitunter recht ermüdenden Computer-Bröseleien waren die ungarischen und rumänischen Tänze, traditionelle Festmusik der Zigeuner, die Stimmakrobatik und Jazzverwandschaft der slowakischen Geigerin Iva Bittova oder indische Variationen mit Sitar ein Beweis für die Überlebensfähigkeit der Geigenfamilie. Ihre Sippschaft scheint sich immer mehr über die Erde zu verbreiten, auch wenn die Vertreter aus den Karpaten in Transsylvanien wegen einer verweigerten Ausreisegenehmigung (kein Witz!), nicht auftreten konnten, hat sich doch ihre Musik vampirartig ausgedehnt.

Die Veranstalter sind aufs heftigste zu loben und seien gebeten, spätestens im nächsten Jahr wieder zu einem relativen Geigenrundumschlag auszuholen. Dann vielleicht als eigenständige Veranstaltung außerhalb der „Inventionen“, um auch mehr Platz auf dem Programmzettel zu finden und nur Künstlernamen fettzudrucken, die auch leibhaftig auftreten. Außerdem sollten dann die Hörspiele und Videofilme effektiver präsentiert werden, die so durch ihre Nachmittagsausstrahlung wohl kaum jemanden erreicht haben dürften.

Insgesamt ein relaitv gelungenes Festival.

Andreas Becker

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