piwik no script img

■ Tabakraupen und Himmelskörper, Computerprogramme und Blutdruck, Antikörper und Antimaterie - es gibt nichts, was nicht erforscht würde. Silvia Sanides, freie Mitarbeiterin für terrestrische und außerterrestrische Fragen, durchackert die Forschungsberichte und pickt die Rosinen heraus.

DNS-ANALYSEN FUER KINDER VON 'VERSCHWUNDENEN‘

Mit einer neuen Methode der Gen analyse wollen Wissenschaftler Kinder identifizieren, die das argentinische Militaer zwischen 1976 und 1983 mit ihren Eltern entfuehrt hat. Waehrend 10.000 erwachsene 'Verschwundene‘ ermordet wurden, sind fast 200 entfuehrte Kinder von Militaerpersonal oder befreundeten Familien adoptiert worden. Argentinische und amerikanische Wissenschaftler wollen die biologischen Familien dieser Kinder mit einer Methode bestimmen, die auch dann noch Ergebnisse liefert, wenn nur noch entferntere Verwandte leben.Genanalysen werden normalerweise an der DNS vorgenommen, die sich im Zellkern einer jeden Zelle eines Individuums befindet. Zellkern-DNS-Analysen dienen heute in der Gerichtsmedizin immer oefter zur Identifizierung von Sraftaetern, obwohl die Methode aeusserst umstritten ist.Ein Strang DNS liegt aber auch ausserhalb des Zellkerns in den Mitochondrien, jenen Zellkoerpern, die den Zellen ihre Energie liefern. Mitochondrien-DNS kann relativ leicht isoliert und neuerdings beliebig oft vervielfaeltigt werden, so dass ihre Analyse einfacher ist als die der Zellkern-DNS. Da es in den Spermien keine Mitochondrien-DNS gibt, wird sie von einer Generation zur naechsten ueber die Muetter vererbt. Zudem veraendert sich diese DNS um nur zwei bis vier Prozent in etwa einer Millionen Jahre. Die Mitochondrien-DNS eines Kindes variiert deshalb kaum von derjenigen der Mutter, der Grossmutter, Tanten und Onkel, Kusinen und anderen Verwandten muetterlicherseits.Die Epidemiologin Marie-Claire King will zusammen mit Immunologen am Durand Krankenhaus in Buenos Aires Mitochondrien-DNS-Analysen vornehmen, wenn einfachere Methoden der biologischen Identifizierung wie Blutuntersuchungen versagen. Dies ist immer oefter der Fall, weil es 13 Jahre her ist, seitdem die ersten Opfer verschwanden, und die Grosseltern der Kinder oft nicht mehr leben. Zuweilen ist nur noch ein Mitglied der mutmasslichen biologischen Familie auffindbar.King hat bereits Blutproben von Kindern in Argentinien entnommen und eine Organisation von Angehoerigen der 'Verschwundenen‘, die 'Grossmuetter der Plaza de Mayo‘, hat eine DNS-Bank mit DNS-Proben von Verwandten der Kinder, die mit ihren Eltern entfuehrt wurden, angelegt. Innerhalb der naechsten Monate will King mit der Analyse der Mitochondrien-DNS in Buenos Aires beginnen.Die Familien der Verschwundenen werden das biologische Beweismaterial in Gerichtsprozessen verwenden. King ist es in einem Fall bereits gelungen, ein argentinisches Gericht mit biologischem Beweismaterial zu ueberzeugen. Mittels Blutanalysen konnte sie die fast hundertprozentige Wahrscheinlichkeit einer Verwandtschaft zwischen zwei Verwandten einer Verschwundenen und einem Kind belegen. Das Kind wurde den Klaegern zugesprochen und die 'Adoptiv'-Eltern angeklagt. Mit der gleichen Methode wollen andere Wissenschaftler Mumien, das Gewebe eines ausgestorbenen Pferdes und eine in Florida aufgefundene 7000 -Jahre alte Moorlaiche untersuchen. Erste Mitochondrien-DNS -Analysen des Gehirns der Moorlaiche haben ergeben, dass diese nicht mit anderen amerikanischen Ur- Einwohnern verwandt ist. New Scientist KANARIENVOGEL FUER TREIBHAUSEFFEKT

Eine Grasmueckenart, die im amerikanischen Mittleren Westen heimisch ist, wird vielleicht eines der ersten Opfer des Treibhauseffekts werden. Die 'Kirtland'-Grasmuecke ist ein hochspezialisierter Singvogel, der nur in Waeldern einer seltenen Kiefernart im Bundesstaat Michigan bruetet und auf den Bahamas ueberwintert. Der Vogel, von dem es nur noch 500 Individuen gibt, steht auf der Liste der gefaehrdeten Arten. In einem Computermodell wies Daniel Botkin von der Universitaet Kalifornien jetzt nach, dass bei einer nur geringfuegigen Erhoehung der Durchschnittstemperaturen im Mittleren Westen die Kirtland-Grasmuecke ihren Lebensraum verlieren wird. Zu Anfang des naechsten Jahrhunderts, so Botkins Modell, sind die Boeden in Michigan so trocken, dass Saemlinge der von der Grasmuecke bevorzugten Kiefernart nicht mehr wurzeln koennen. Die Kiefer wird durch andere Baumarten ersetzt werden, die vom Sueden nach Norden draengen. Da, wo heute immergruene Fichten-, Kiefern- und Tannenwaelder vorherrschen, werden bei einer Klimaerwaermung zu einem spaeteren Zeitpunkt Mischwaelder stehen. In der Uebergangszeit wird sich laut Computermodell jedoch vielerorts eine 'oekologische Wueste‘ bilden, weil Tier-und Pflanzenarten sich nicht schnell genug in ihren neuen Klimazonen etablieren koennen. 'Jedes Grad Celsius Erhoehung der Durchschnittstemperatur entspricht einer Wanderung nach Norden um 100 bis 160 Kilometer‘, so Botkin. 'Waelder koennen aber nur 25 bis 30 Kilometer in einem Jahrhundert wandern. Sie werden also grosse Schwierigkeiten haben, sich an die erwarteten Klimaveraenderungen anzupassen‘. Nach Botkins Modell wird die Kirtland-Grasmuecke irgendwann zwischen den Jahren 2000 und 2010 aussterben. Das Aussterben vieler Arten ist eine der moeglichen Auswirkungen des Treibhauseffekts. Besonders betroffen sind bereits gefaehrdete Tiere und Pflanzen und jene, die wegen hoher Spezialisierung auf kleine Gebiete beschraenkt sind. Wenn sich unsere Klimazonen polwaerts bewegen, sind sogar ganze Biotope in Gefahr, weil ein Gebiet nicht immer geeignet ist, die 'wandernden‘ Pflanzen und Tiere aufzunehmen. Naturschutzgebiete verschieben sich in landwirtschaftlich entwickelte Areale oder gar in die Staedte, Waelder landen in den Ozeanen, Flachlandsteppen und ihre Bewohner stossen auf steile Berghaenge. New Scientist AUF DEN SPUREN DER STRADIVARI

Die Chemiker der Renaissance dienen modernen Materialforschern als Vorbild. Musikinstrumente und Moebel, die in Italien im 16. Jahrhundert gebaut wurden, sind oft mit einem einzigartigen tief-glaenzenden Lack ueberzogen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts gibt es diese Lacke nicht mehr. Wissenschaftler der Universitaet Texas haben jetzt den Versuch gemacht, den Aufbau der Lacke, die unter anderem die Stradivari-Geigen zieren, zu ergruenden. Es gelang ihnen, angeblich mit betraechtlichen Schwierigkeiten - , authentische Lackproben der Geigenbauer Andrea Guarneri, Francesco Ruggeri und Antonio Stradivari zu sichern. Die drei Geigenbauer lebten Mitte des 17. Jahrhunderts in Cremona. Analysen mit dem Rasterelektronenmikroskop ergaben, dass die Lacke nicht wie bisher angenommen in erster Linie aus organischer Substanz wie Harzen bestehen, sondern aus Mineralien. Bis zu 20 unterschiedliche Mineralien enthielten die Proben. Die herkoemmliche Vermutung, es handle sich um zufaellige Verschmutzungen, konnte widerlegt werden, weil die Mineralienzusammensetzung nicht derjenigen von Erde oder Staub entspricht.Die Lichtbrechungswinkel der von den Mineralien gebildeten Kristalle sind aehnlich aber nicht genau gleich wie der des umgebenden organischen Stoffes. Dadurch bleiben die Lacke durchsichtig, aber bekommen den ihnen eigenen feurigen Glanz, der in modernen homogenen Lacken nicht auffindbar ist. Die Wissenschaftler sind ueberzeugt, dass diese einmaligen Mischlacke nicht nur zur aeusseren Schoenheit der alten Musikinstrumente beitragen. Ihre hoehere Dichte wird sich zum Beispiel auf das Daempfungsverhalten auswirken, und ihr Hang, mikroskopisch kleine Risse zu bilden, die Akustik der Instrumente vielfach beeinflussen. Nicht nur die alten Geigenbauer, sondern auch die Materialforscher von heute haben gelernt, dass Mischungen aus verschiedenen Komponenten oft die gewuenschten Eigenschaften besitzen, die homogene Stoffe nicht haben. So mischen Wissenschaftler am amerikanischen Oak Ridge National Laboratory zur Zeit Zement mit den verschiedensten Zusaetzen, um Materialien zu erhalten, die sich fuer die Entsorgung radioaktiven Muells oder die Versiegelung ausgedienter Uranbergwerke eignen. Naturwissenschaften OEKOTOPIA KALIFORNIEN: DOLLARS NEIN, WINDMUEHLEN JA

Ausgediente Dollars gelten in Kalifornien als Giftmuell. Dank neuester analytischer Methoden messen die Chemiker des Staates mehr Blei in den alten Scheinen als der Rest der USA. Folglich entledigt sich Kalifornien des Problems, indem es sein durch den Reisswolf gegebenes Altgeld ueber die Grenze nach Oregon schafft. Dort naemlich wird es als ganz normaler Muell behandelt, und Kalifornien spart dabei 4000 Dollar pro Lastwagenfuhre Dollarkonfetti. Doch jetzt hat Oregon entschieden, dass jeder Staat fuer seinen eigenen Giftmuell verantwortlich ist und weigert sich, weiterhin kalifornische Altdollars zu entsorgen. Die Kalifornier sind auf der Suche nach neuen Giftmuellgruben und hoffen in den Nachbarstaaten Nevada oder Arizona fuendig zu werden. Kaliforniens Transportministerium mittlerweile ist auf der Suche nach Wind. Der blaest umsonst und besonders kraeftig unter Bruecken und an den Autobahnraststaetten. Ueberall da, wo die Briese 18 Stundenkilometer erreicht, sollen zukuenftig Windturbinen stehen und die Raststaetten mit Strom beliefern. Environment BIOLOGISCHE SCHAEDLINGSBEKAEMPFUNG, VERPFUSCHTES

SEXUALLEBEN

Bauern in Pakistan schuetzen ihre Baumwollfelder vor der unersaettlichen Baumwollraupe, indem sie das Sexualleben des Schaedlings stoeren. Versuche, bei denen mit Sexuallockstoffen (Pheromone) getraenkte Plastikbaender um die Stengel der Baumwollpflanzen gewickelt wurden, verliefen ausserordentlich erfolgreich. Viele Schaedlinge, unter ihnen auch die maennliche Motte der Baumwollraupe, finden ihre Sexualpartner ueber Duftstoffe. Die weibliche Motte verstroemt sogenannte Sexuallockstoffe kurz bevor sie zur Paarung bereit ist und signalisiert den Maennchen so ihren Standort. Die mit kuenstlichen Sexuallockstoffen getraenkten Plastikbaender geben kontinuierlich verlockende Duefte ab und verwirren die Maennchen derart, dass sie nicht zur Paarung kamen.Die Versuche, die vom britischen Entwicklungsdienst finanziert wurden, zeigen die eindeutigen Vorteile der biologischen Schaedlingsbekaempfung. Waehrend Pakistans Baumwollbauern ihre Felder normalerweise in der Zeit der Fruchtbildung im August und September alle zwoelf Tage mit Insektiziden gegen die Baumwollraupe bespruehen muessen, reichten bei gleichzeitiger Behandlung mit den Sexuallockstoffen zwei Spruehungen aus. Die Baender enthalten drei verschiedene Lockstoffe, die spezifisch auf die drei in Pakistan auftretenden schaedlichen Baumwollraupen wirken. Im Gegensatz zu Insektiziden ist die Anwendung biologische Stoffe in der Schaedlingsbekaempfung billiger und sicher fuer Mensch und Umwelt. Sie wirken nicht, wie die meisten Insektizide, auf andere, moeglicherweise nuetzliche Insekten. Bei der Bekaempfung der Baumwollraupe mit Insektiziden werden zum Beispiel auch jene Insekten abgetoetet, die schaedliche Milbenarten in Schach halten, so dass die behandelten Baumwollfelder oft von Milbenepidemien heimgesucht werden. Grosse Chemiekonzerne sind an biologischer Schaedlingsbekaempfung wenig interessiert, weil die benoetigten Produkte meist sehr selektiv wirken und ihr Markt deshalb relativ klein bleibt. Die Idee, Plastikbaender mit Sexuallockstoffen zu traenken, stammt von der japanischen Chemiefirma Shin-Etsu. In frueheren weit weniger erfolgreichen Versuchen wurden Sexuallockstoffe auf die Felder gesprueht. Da die Stoffe schnell verdunsteten, mussten die Spruehungen alle zwei Wochen wiederholt werden. Die Plastikbaender dagegen bleiben waehrend der gesamten Vegetationsperiode aktiv. New Scientist Nr. 34

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen