: Rushdie leert den Bundestag
Überall wird gegen Khomeinis Morddrohung mobil gemacht, nur im Deutschen Bundestag besteht kaum Interesse / Kiepenheuer & Witsch hält sich bedeckt ■ Von Arno Widmann
Berlin (taz) - Der Bundestag beschäftigte sich gestern mit der Morddrohung des Schiitenführers Khomeini gegen Salman Rushdie, dem Autor der Satanischen Verse. Anwesend waren im Plenarsaal etwa 40-50 Abgeordnete, auf der Regierungsbank saß einsam Frau Irmgard Adam-Schwaetzer, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt.
Nach einer Stunde war alles vorbei. Zu einer gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen kam es nicht. Die Forderung der Grünen nach Kündigung aller Wirtschaftsabkommen mit dem Iran wurde abgelehnt. Die Abgeordnete der Grünen, Caritas Hensel, erinnerte daran, daß das Khomeini-Regime nicht zuletzt von der BRD massiv wirtschaftlich und militärisch unterstützt werde. Sie warnte die anderen Parteien davor, in ihrer Entschließung davon zu sprechen, Khomeinis Mordauftrag sei „eine Kriegserklärung“. Man müsse sich doch daran erinnern, „wie wörtlich“ das im Iran verstanden werden könne. Darum könnten die Grünen der Entschließung nicht zustimmen. Soviel aus dem Bundeshaus. Halt: Der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) regte gestern an, die Bundesregierung solle sich bereit erklären, Salman Rushdies Satanische Verse in einem Betrieb der Bundesdruckerei drucken zu lassen, „weil hier am ehesten die Sicherheit des Betriebs und der Beschäftigten gewährleistet“ werden könnte. Die Bundesregierung hat darauf noch nicht geantwortet.
In den USA hat der Protest der Autoren erste Erfolge bewirkt: Die große amerikanische Buchhandelskette „B. Dalton -Barnes and Noble“ hat angekündigt, daß sie das Buch in ihren 1.250 Buchhandlungen wieder auslegen wird. „Barnes and ignoble“ (gemein) und „Schande über Dalton“ hatten Demonstranten - darunter Hunderte von Autoren - vor den New Yorker Filialen der Kette skandiert. Der Schriftsteller Norman Mailer warf den Buchhandlungen vor, sie verkauften ihre Produkte „wie Suppendosen“. Die New Yorker Kritikerin Susan Sontag sagte bei einer öffentlichen Lesung aus den Satanischen Versen: „Wenn wir zeigen, daß wir Angst haben, werden alle unsere Institutionen zu Geiseln gemacht werden.“ Frau Sontag las eine Erklärung der amerikanischen Schriftstellerin und Frau von Rushdie, Marianne Wiggins, vor, die sich zusammen mit ihrem Mann wegen der Morddrohungen versteckt hält. „Wir sind ein gefährdeter Menschenschlag und sind es immer gewesen, weil Worte ihre Autoren überleben. Worte können von der Stille ausgehen, können ihren Weg von versteckten Plätzen aus finden. Nur Angst kann das Schreiben eines Schriftstellers beenden. Nur Angst kann verhindern, daß ein Buch verkauft wird“, schrieb Frau Wiggins.
In der Bundesrepublik werden andere Töne angeschlagen: Der Sprecher des Börsenvereins, Klaus Fortsetzung auf Seite 2
Kluge, sagte in Frankfurt, der Autor habe die seit Mittwoch in Auszügen in der taz erscheinenden Vorabdrucke nicht genehmigt. Kluge vermutet, daß Kiepenheuer & Witsch dagegen gerichtlich vorgehen werde. Der Verlag teilte am Mittwoch mit, eine Gruppe von 15 Verlagen sowie nahmhafte Autoren hätten
sich bereit erklärt, die Satanischen Verse zu veröffentlichen.
Bisher, Donnerstag 16.30 Uhr, hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch jedoch weder mitgeteilt, daß er das Buch herausbringen wird, noch hat er uns rechtliche Schritte angedroht. Wir wünschen uns und dem Ruf der BRD, daß der Verlag bald einen kleinen Satz verbreitet: „Wir veröffentlichen Salman Rushdies Satanische Verse.“
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