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HMI-Atomforscher unterm Damokles-Schwert

■ Im Hahn-Meitner-Institut in Berlin-Wannsee herrscht Unruhe angesichts der atomkritischen rot-grünen Koalition / Forschung für die Atomindustrie findet statt, aber angeblich in einem Maß, das „quantitativ nicht bedeutend“ ist / Das Institut will im Falle einer Stillegungsforderung von Alternativer Liste und SPD kämpfen

Stolz schiebt Anton Axmann den Bogen Packpapier beiseite voila: Zum Vorschein kommt die polierte Oberfläche eines an der Spitze abgerundeten Edelstahlkegels. Unter der glänzenden Haut verbirgt sich das künftige Herz des Hahn -Meitner-Instituts (HMI) in Berlin-Wannsee. Jedenfalls wenn es nach Axmann geht. Das HMI gehört zu den insgesamt 13 von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Großforschungseinrichtungen. Axmann, ein jovialer Endvierziger, leitet derzeit den Einbau einer sogenannten Kalten Neutronen Quelle (KNQ) in den Berliner Experimentier -Reaktor (BER) II. Wenn das Gerät 1990 wie vorgesehen gemeinsam mit dem dann auf doppelte Leistung getrimmten Versuchsmeiler in Betrieb geht, wird sich auch die nukleare Experimentierkapazität des HMI verdoppelt haben.

Ob es soweit kommt, ist heute ungewiß wie nie. Zwar will Anton Axmann noch nicht glauben, daß „sich die Unvernunft durchsetzt“. Aber die „Unvernunft“ - das ist für den HMI -Mann die Alternative Liste - verhandelt in diesen Tagen mit den Sozialdemokraten auch über die Zukunft eines Großteils der rund 870 MitarbeiterInnen des Hahn-Meitner-Instituts Berlin. Noch bis vor gut zwei Jahren trug das HMI seinen Bestimmungszweck „für Kernforschung“ im Briefkopf.

„Mehr neugierig als verängstigt“ beobachte man die Koalitionsverhandlungen, beteuert Axmann. Doch seine demonstrative Gelassenheit verbirgt nur unvollkommen eine wachsende Verunsicherung in der Glienicker Straße 100. Angenehm sei die Angelegenheit nicht, die sich da zusammenbraue, gesteht der Wissenschaftler. Doch man müsse sich hüten, jetzt „in Hysterie zu verfallen“. Und mancher hier, der vor der Wahl nicht glaubte, die Arroganz eines Senators Kewenig oder die Selbstgefälligkeit eines Regierenden Diepgen noch weitere vier Jahre ertragen zu können, grübelt nun darüber nach, ob es zweckmäßig war, das Kreuzchen diesmal bei der SPD zu machen.

Professor Hans Stiller gehört wohl nicht zu denen, die im nachhinein mit ihrer Wahlentscheidung hadern. Der Festkörperphysiker wechselte erst im vergangenen Herbst von der Kernforschungsanlage Jülich auf den Stuhl des wissenschaftlichen Geschäftsführers am HMI. Kaum zehn Tage nach dem Wahlbeben präsentierte das Institut unter Stillers maßgeblicher Verantwortung eine „Neuorientierung der Forschungsarbeit“, die das 'Volksblatt‘ postwendend mit dem Stempel „Grüne Mogelpackung“ versah. Zwei Stunden opfert der HMI-Chef, um dem taz-Redakteur das Gegenteil zu beweisen. Zur Sicherheit läßt Pressesprecher Thomas Robertson ein Tonband mitlaufen. „Sie müssen verstehen...“

70 Prozent der wissenschaftlichen Arbeit in Wannsee sollen sich künftig „um zwei Schwerpunkte gruppieren“. Die „Strukturforschung“ wird demnach von derzeit 108 auf insgesamt 133 Planstellen bis 1993 wachsen. Davon, beteuert Stiller, werden mindestens 80 Prozent direkt an den Betrieb des Versuchsreaktors gebunden sein, der wegen der laufenden Umbauarbeiten allerdings seit 1985 stillsteht. Kooperationen mit den Kernforschungszentren in Karlsruhe, Jülich und Grenoble oder dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching etwa auf dem Gebiet Materialforschung für künftige Fusionsreaktoren will der HMI-Chef gar nicht abstreiten. Aber „quantitativ bedeutend“ sei dies alles nicht. Der von Kritikern unterstellte Beitrag der HMI-Arbeiten zur Atom oder gar zur Rüstungsforschung ist nach Lesart des Institutsleiters allenfalls „ein sehr indirekter“ und außerdem „nicht zwangsläufig“.

Wie andere Kernforschungszentren in der Bundesrepublik schmückt sich das Institut in Wannsee neuerdings mit einem zweiten „Schwerpunkt“: dem populären und moralisch gänzlich unverdächtigen Thema „Photochemische Umwandlung von Solarenergie“. Zu den 46 MitarbeiterInnen im Bereich Sonnenenergie sollen sich in den kommenden Jahren 15 neue hinzugesellen - die Mittel dafür stammen aus Riesenhubers Bonner Forschungshaushalt, aus dem das HMI ohnehin zu 90 Prozent finanziert wird. Den Rest des Budgets steuert das Land Berlin bei.

Die Reaktionen auf zwei Veröffentlichungen der vergangenen Wochen lassen ahnen, wie dünn die Luft in Wannsee nach der Wahl geworden ist: Da hatte zunächst der jetzt zu bundesweitem Ruhm gelangte AL-Verhandler Harald Wolf öffentlich erklärt, das HMI erbringe „Serviceleistungen für die westdeutsche Atomindustrie“.

Noch eine Woche später schlägt der schlichte Spruch des Alternativen im HMI hohe Wellen. Kein Zweifel, man ist empört. Im einstigen Institut für Kernforschung hält man die Behauptung für denunziatorisch. Tatsächlich ist Wolfs Äußerung so „grob irreführend“ nicht, wie die HMI-Oberen behaupten. Schließlich gehören zu den „Aufgaben“ des Instituts nach eigenem Bekunden auch „anwendungsorientierte Arbeiten“ zur „Entsorgung von nuklearem Abfall hoher Radioaktivität“. „Hochbeanspruchte metallische Werkstoffe“ werden ebenso auf ihre Strahlenresistenz hin untersucht wie Halbleiterelemente, die nicht nur in Satelliten und Flugzeugen eingesetzt werden. „Wie hochenergetische Strahlung Halbleiterelementen zusetzt“, hat beispielsweise Dieter Böring untersucht und er eröffnet seinen Bericht im offiziellen HMI-Mitteilungsblatt mit einem Fallbeispiel: „Ein fernsteuerbarer Roboter wird für Aufräum- und Entsorgungsarbeiten im Kontrollraum des verunglückten Reaktors von Tschernobyl eingesetzt.“ Der Roboter versagt aufgrund der hohen Strahlenintensität. Im HMI wird untersucht, wie derartige „Pannen“ zu vermeiden sind. Keine „Serviceleistungen für die Atomwirtschaft“?

Noch eine zweite Meldung hat die HMI-Belegschaft elektrisiert. Das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) kommt in einem jüngst veröffentlichten Gutachten zur „erwarteten Strahlenbelastung durch den Forschungsreaktor BER II.“ zu dem Ergebnis, daß die in Berlin für die Zeit nach der Erweiterung beantragten Strahlenbelastungen „teilweise um Größenordnungen über den gängigen Werten liegen, wie sie bei westdeutschen Kernkraftwerken 1984 und 1985 aufgetreten sind“. Im HMI nennt man die Behauptung „absurd“. Schließlich seien die beantragten und zugelassenen Grenzwerte auch in der Vergangenheit stets um etwa zwei Größenordnungen unterschritten worden. Das werde, wie bei den westdeutschen AKWs auch, in Zukunft nicht anders sein, beteuert HMI-Chef Stiller. Dietrich Antelmann, unermüdlicher Kläger gegen den Experimentierreaktor und Auftraggeber für das IFEU -Gutachten, will sich damit nicht zufrieden geben. Der 48jährige Reaktoranwohner fragt sich, „warum die die hohen Werte beantragen, wenn sie sie auf keinen Fall ausschöpfen wollen“. Sicher ist für Antelmann, daß das HMI mit den beantragten Strahlenwerten, dem in der Strahlenschutzverordnung verankerten sogenannten „Minimierungsgebot“ bei der radioaktiven Belastung der Umgebung zuwiderhandelt. Darüber und über die Sicherheit der Anlage nach dem Umbau muß demnächst erneut das Berliner Oberverwaltungsgericht verhandeln.

Anton Axmann hat davor keine Angst. Schließlich sei die Möglichkeit eines Flugzeugabsturzes von den Gerichten bereits zweimal dem „Restrisiko“ zugeschlagen worden, obwohl von dem schönen Reaktor dann nur „Schutt und Asche“ übrig bleibe. Und wenn AL und SPD sich tatsächlich auf die endgültige Stillegung des „modernsten Forschungsreaktors“ auf deutschem Boden verständigen sollten, dann werde man kämpfen: „Uns kann niemand am ausgestreckten Arm verhungern lassen.“

Gerd Rosenkranz

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