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„SPD in der Ideenwelt der sechziger Jahre verfangen“

■ Interview mit zwei StudentInnen von der Befreiten Universität, die in der rot-grünen Verhandlungskommission zu Hochschule und Wissenschaft vertreten waren / Kremendahl (SPD) als Wissenschaftssenator: „Noch so einen, den wir nicht wollen“

taz: Am Dienstag wurden zwischen AL und SPD die Verhandlungen in der Unterkommission „Hochschule und Wissenschaft“ abgeschlossen. Welche Rolle habt Ihr in der Kommission gespielt?

Lydia (Publizistik-Studentin): Wir haben die Verhandlungen protokolliert, damit die Unis wissen, was dort gelaufen ist und damit wir gegebenenfalls auch die Verantwortlichen für die Entscheidungen kennen.

Warum habt Ihr Euch eigentlich nicht in die Verhandlungen eingemischt, Eure Forderungen vorgetragen, sondern nur protokolliert?

Sven (Slavistik-Student): Vor allem deshalb, weil die Vorbedingungen, die wir gestellt haben, wie den Rücktritt von FU-Präsident Heckelmann oder die Rücknahme sämtlicher Strafverfahren, nicht erfüllt waren.

Lydia: Verhandlungen heißt für uns, daß wir von unseren Forderungen etwas abrücken müßten. Das geht momentan nicht, weil gerade unsere Semesterferien sind und unsere Basis nach Wessiland gefahren ist. Wir haben in den Verhandlungen noch etwas gelernt: in der Politik werden genau wie bei uns an der Uni Papiere in letzter Sekunde zusammengehauen. Unordnung, Zeitnot und unausdiskutierte Papiere sind in den politischen Parteien genauso da wie bei uns.

Wie ging es denn atmosphärisch in den Verhandlungen zu?

Lydia: Interessant war zunächst das erste Treffen der AL -Mitglieder der Unterkommission. Die waren genauso unorganisiert wie wir. Das war richtig erfrischend. Das erste Treffen mit der SPD war toll. Das mit der guten Laune hat sich zunehmend reduziert, als die brisanteren Themen kamen wie z.B. An-Institute. Da kippte so langsam die Stimmung um.

Sven: Zunächst hat man sich Dinge rausgesucht, die eher auf 'ner Konsenslinie lagen. Da kam so'n Klima des Miteinander auf. Dann kamen die Wolf/Arkenstette-Geschichte und gleichzeitig Dissenspunkte. Die SPD hat dann angezogen und nichts mehr von ihren Positionen abgegeben. Sachen, die schon als Konsens gehandelt wurden, wurden wieder in Frage gestellt. Das Klima hat sich langsam zu einem Gegeneinander entwickelt, als der SPD klar wurde, daß sie den Wissenschaftssenator stellen wird, und sie von daher auch ein Interesse an dirigistischen Positionen hat. Eine Krux mit dieser Kommission war auch, daß die AL-Mitglieder eher gleichberechtigt sprechen, während man das, was von den SPD -Leutchen kommt, erstmal am Mienenspiel Kremendahls messen muß.

Wie sieht es denn nach den Verhandlungen beim Punkt Mitbestimmung aus?

Sven: In den ersten Wochen nach der Wahl war in öffentlichen Diskussionen Viertelparität zwischen Hans (Kremendahl) und Hilde (Schramm) Konsens. Sie steht aber im Entwurf nicht mehr drin. Angestrebt ist jetzt eine „gleichberechtigte Mitbestimmung“. Das soll irgendwann in den nächsten Jahren über eine Novellierung des Hochschulrahmengesetzes erreicht werden.

Wie soll es mit den strittigen Punkten, den An-Instituten und der Akademie der Wissenschaft weitergehen?

Sven: Die SPD wollte z.B. den Fortbestand des Atomreaktors im Hahn-Meitner-Institut gegen die Auflösung der Akademie einhandeln, worauf sich die AL aber glücklicherweise nicht eingelassen hat.

Lydia: Bei den An-Instituten will die SPD eigentlich alles so weiter laufen lassen wie bisher und strebt nur eine „überwiegend“ private Finanzierung an, während die AL auf eine rein private Finanzierung drängt. Dieser Punkt wird von der Zentralen Kommission geklärt. Bezüglich der An-Institute geht es der AL aber grundsätzlich um eine neue Forschungs und Wissenschaftspolitik.

Sven: Der Ansatz der AL ist interdisziplinär und will Forschungsbereiche fördern, die in den letzten Jahren ausgetrocknet wurden - wie Geistes- und Sozialwissenschaften. Es sollen z.B. Forschungsgelder in sozial verantwortbare Technologien fließen. Speziell in Berlin sollen Umwelttechnologien exportfähig gemacht werden, auch im Hinblick auf die Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen. Insgesamt will die AL CDU-Programme nicht reformieren, sondern eine Forschungsförderung mit Modellcharakter auch für Westdeutschland aufbauen. Die SPD ist eher in der Ideenwelt der sechziger Jahre befangen, da kommt kein frischer Wind.

Wie ist denn der Vorschlag der AL diskutiert worden, im Wissenschaftssenat Beiräte einzurichten, die Anträge auf Forschungsförderung fachlich begutachten?

Lydia: Hilde Schramm von der AL vertrat die Meinung, daß in der Politik niemand die Forschungslandschaft überblickt und die Beiräte als kompetente Hilfen bei der Begutachtung notwendig sind, um möglichen Fehlentwicklungen vorzubeugen. Die SPD ist total dagegen. Bei Herrn Kremendahl ist die Angst, daß solche Beiräte die Wirtschaft verschrecken, so groß, daß er völlig abblockt. Andere in der SPD sind durchaus anderer Meinung, es wird von denen aber nicht ausdiskutiert.

Wie geht's im Sommersemester weiter an den Unis?

Lydia: Wir kriegen Kremendahl als Wissenschaftssenator, noch einen, den wir nicht wollen. Wenn sich die SPD so schikanös verhält, wie sie es vorhat, dann kann ich nur Prognosen für ein schlechtes Semester abgeben.

Sven: Klar ist, daß die Koalition uns unsere Arbeit nicht abgenommen hat. Die Mehrheit wird vom Verhandlungsergebnis enttäuscht sein, und bestimmt werden sich einige ausklinken. Die Mehrheit aber wird mit 'ner gewissen Wut im Bauch weitermachen. Vor allem müssen wir bei der Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes genügend Druck machen, daß unsere Positionen berücksichtigt werden.

Interview: Thomas Lecher

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