: Schriftstellersolidarität mit Rushdie
In einer ersten großen öffentlichen Veranstaltung las bundesdeutsche Schriftsteller-Prominenz aus den „Satanischen Versen“ / Knapp 1.000 ZuhörerInnen lauschten unter Polizeischutz ■ Aus Berlin Vera Gaserow
Flughafenähnliche Taschen- und Personenkontrollen der Polizei an der Eingangstür, Grünuniformierte mit Walkie -talkie im dichtgedrängten Publikum und Podiumsteilnehmer, die ihre Plätze unter dem dezenten Geleitschutz einer zivilen Bodyguard einnahmen, signalisierten, daß es offenbar ein als gewagt eingeschätztes Unternehmen war, auf das sich ein ganzer Kreis von Veranstaltern aus dem Berliner Kulturleben hier eingelassen hatte und dabei sollte es doch selbstverständlich sein: Unter der Schirmherrschaft des PEN -Zentrums und des Berliner Kultursenats zeigten prominente deutsche Schriftsteller ihre Solidarität mit Salman Rushdie, in dem sie erstmals öffentlich aus Rushdies Büchern lasen, darunter auch aus den „Satanischen Versen„.
Knapp 1.000 ZuhörerInnen, unter ihnen auch kleine Grüppchen fundamentalistischer Moslems, drängten sich in den dichten Stuhlreihen und Gängen und bewiesen mit ihrer Anwesenheit entschieden mehr Zivilcourage als die Berliner Akadamie der Künste. Diese hatte sich geweigert, als Mitveranstalter dieser Solidaritätslesung aufzutreten und aus „Sicherheitsgründen“ auch eine Veranstaltung in ihren eigenen Räumen abgelehnt. Einen „beschämenden Vorgang“ nannte Günther Grass diese Weigerung, „einen Gesichtsverlust“ dieser Institution, deren langjähriger Präsident und Mitglied er war und seit dem gestrigen Tag deswegen nicht mehr sein will.
Mehr Mut als die Akademie bewiesen auch in Berlin lebende Iraner, die zur selben Zeit vor rund 500 Landsleuten in der TU eine Solidaritätsveranstaltung für Rushdie veranstalteten. Den „neuen Formen der Zensur“ müsse man eine „neue Form des Widerstands“ entgegenstellen, erklärte derweil Grass auf der großen Solidaritätsveranstaltung unter dem Beifall der ZuhörerInnen, bevor er mit der ersten Lesung aus Rushdies „Mitternachtskindern“ begann. Atemlose Stille herrschte im Auditorium, viele bekamen auf diese Weise sicher zum ersten Mal überhaupt einen Rushdie-Text zu Ohr, waren überrascht über die weiche schöne Sprache, den Witz der Bilder, der offenes Lachen provoziert. Gespannte Ruhe auch, als Anna Jonas - als einzige Frau auf dem Podium offenbar die Mutigste - begann, zwar nicht aus den Stellen, aber aus dem ersten Kapitel der „Satanischen Verse“ zu lesen.
Unter Beifall erklärte der Schriftsteller Yaak Karsunke, gerade wir Deutschen „haben keinen Grund uns über Völker und Kulturen zu erheben“, aber von einem Regime, in dem Tausende öffentlich hingerichtet und durch Folter gebrochen werden, „wünschen wir nicht unterwiesen zu werden“. Hier sei ein „bißchen Verwestlichung zumutbar“, hatte Anna Jonas Menschenrechtsverletzungen, Todesstrafe und demonstrative Bücherverbrennungen zuvor scharf kritisiert. Hektisch schwenkten bei der Lesung aus dem inzwischen vielfach verbotenen und verbrannten Buch etliche der insgesamt acht Kameras im Saal auf die Reihen der Moslems. Doch diese folgten schweigend der Veranstaltung und meldeten sich erst ganz am Ende, als das Podium schon längst unter Polizeischutz den Saal verlassen hatte und die Mikrofone ausgestellt waren, mit Rufen wie „Nieder mit Rushdie!“ zu Wort. Draußen auf der Straße wurde Günter Grass auf Transparenten angedroht, er solle nur aufpassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen