„Der Fisch stinkt vom Kopf her“

■ Es rauscht gewaltig im bundesdeutschen Blätterwald

Autoritätsverlust, Demontage, Aufstand, Existenzangst, Überlebenskampf. Das ist das Konzentrat der Einschätzung des christdemokratischen Dramas in der bundesdeutschen Presse. Von Passau bis Flensburg gibt es nur ein Kommentarthema: der schwere Tritt der Fraktion in die Kohlsche Magengrube. Mit einfachen Worten so richtig auf den Punkt bringt es die 'Offenbach-Post‘: „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“ Und der Kopf heißt Kohl.

Der ARD-Kommentator Ernst-Dieter Lueg legte schon am Mittwoch abend in den Tagesthemen los: „Seine eigene Fraktion stellte Kohl in den Regen, kündigte ihre Loyalität auf, und zwar völlig ungerührt. (...) Es ist unmöglich, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Eine Dramaturgie dazu hat keinen Regisseur. Helmut Kohl steht mit dem Rücken zur Wand, ziemlich allein. (...) Es gibt nichts mehr auszusitzen. Für Helmut Kohl geht die Zeit zu Ende, Schonung aus Solidarität zu erwarten. Das wichtigste an diesem Kommentar war die deutliche Pause nach „zu Ende“.

Das Zentralorgan für die Gefühlslage der Nation ist die 'Bild'-Zeitung. „Schwere Niederlage - CDU/CSU stoppt Kohl“ heißt der Aufmacher. Und im Kommentar: „Die eigene Fraktion revoltierte gegen den Kanzler, scheute sich nicht mehr, ihn in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Helmut Kohl geht einen schweren Gang.„

Mehrere Beobachter fühlen sich an das Ende des Ära Schmidt erinnert. Der 'Wiesbadener Kurier‘: „Kohl mußte zur Kenntnis nehmen, daß seine Autorität ebenso zerfällt wie das Durchsetzungsvermögen seines von ihm gestürzten Amtsvorgängers Helmut Schmidt in der letzten Phase seiner Kanzlerschaft. Vom 'schwarzen Riesen‘ spricht jedenfalls niemand mehr.„

Als neuen Taktgeber im Bonner Regierungsgeschäft sehen die Zeitungen wahlweise die „nackte“ oder „panische Angst“. „Es ist die Angst“, so die 'Badische Zeitung‘, „mit Kohl an der Spitze im nächsten Jahr mitten hinein in die Kata- strophe zu marschieren.“ Und die 'Braunschweiger Zeitung‘: „Nichts ist so leicht in Panik zu versetzen wie eine vom Entzug der Wählerstimmen bedrohte CDU, (...) deren Chef in einer kritischen Situation weder den Willen zur Führung noch die Autorität erkennen läßt.„

Das „übergelaufene Faß“, „die offene Rebellion„ und „den Aufstand der Fraktion“ diagnostiziert die konservative 'Heilbronner Stimme‘ und fragt nach dem „Anfang vom Ende für den Kanzler oder das Regierungsbündnis“.

Absetzbewegungen vom Kanzler beschreibt die 'Offenbach -Post‘: „Selbst diejenigen, die Kohl geholt haben, gehen inzwischen auf Distanz. Rita Süssmuth macht es unverhohlen, Heiner Geißler noch verdruckst, Jürgen Todenhöfer fordert Kohls Kopf. Kohl ist ohne Freunde und umgeben von Feinden oder ausgelaugten Figuren.“ Aber: „Nur unverbesserliche Optimisten rechnen mit einem einsichtigen Kohl, der von sich aus zurücktritt.„

Auch die ausländische Presse thematisiert bereits den Rücktritt. Der konservative 'Figaro‘: „Kohl hat gesagt, daß er nicht zurücktritt. (...) Er verspricht eine Kabinettsumbildung. Wird eine oberflächliche Ausbesserung ausreichen, um eine konfuse Lage zu überwinden, in der die Stimme der Regierung unhörbar geworden ist?„

Wie schwer die Bonner Krise tatsächlich ist, macht allerdings ein ganz anderer Kommentar deutlich. Die Mainzer 'Allgemeine Zeitung‘, Hauspostille des Kanzlers, kommentierte gestern den Mubarak-Besuch und die deutsch-ägyptischen Beziehungen. Zu „Koalitions -Holterdipolter„ ('Stuttgarter Nachrichten‘) herrschte bei den Rheinpfälzern Schweigen und Sprachlosigkeit.

Dasselbe gilt für die 'FAZ‘: Nachdem am Mittwoch Herausgeber Reißmüller himself Geißlers Linkskurs geschlachtet hatte, gab es heute im Kommentarteil kein Wort zu Kohl. Zu ihm fällt auch der 'FAZ‘ nichts mehr ein.

-man