: Sozialistische Harmonie in Havanna
Trotzdem will sich Castro nicht vom Glasnost-Bazillus des großen Reformers aus der Sowjetunion anstecken lassen / Gorbatschow versichert, keine Atomwaffen oder andere Massenvernichtungsmittel in der westlichen Welt zu stationieren / Lob für Kubas Rolle in Angola ■ Von Ralf Leonhard
Berlin (taz) - „Perestroika ist keine universelle Formel“, sagte Michail Gorbatschow Dienstag abend in seiner Rede vor der kubanischen Nationalversammlung. Entgegen allen Spekulationen nutzte der sowjetische Parteichef seinen ersten Kubabesuch nicht, um Fidel Castro auf seinen Modernisierungskurs zu verpflichten. Er ließ es sich allerdings nicht nehmen, die Vorzüge von Glasnost und Perestroika zu preisen. Kubas Staatschef ist jedenfalls nicht bereit, sich vom liberalen Bazillus anstecken zu lassen. „Wenn ein sozialistisches Land den Kapitalismus aufbauen will, dann müssen wir sein Recht dazu respektieren“, knurrte er. Ein Dutzend Menschenrechtsaktivisten, die vor der sowjetischen Botschaft gegen die autoritäre Politik Castros demonstrieren wollten, wurden vorbeugend in Haft genommen.
Der dreitägige Staatsbesuch des sowjetischen Präsidenten auf der größten der Antilleninseln verlief geradezu auffällig harmonisch und ohne spektakuläre Höhepunkte. Ein für 25 Jahre gültiger Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit, den die Staatsmänner unterzeichneten, bringt auch nichts Neues. Die Sowjets, die den Kubanern 75 Prozent der Exporte - vor allem Zucker - zu Vorzugspreisen abnehmen, wünschen sich mehr Gegenleistung für ihr Geld. Gorbatschow hätte gerne „diszipliniertere Wirtschaftsbeziehungen“. Kuba wird mit schätzungsweise 100 Millionen Dollar täglich gesponsert.
Enttäuscht wurden vor allem die zu Hunderten aus den USA herbeigeeilten Journalisten, die sich eine außenpolitische Kontroverse erwarteten. Gorbatschow bekräftigte zwar, daß man die Revolution nicht exportieren könne und dürfe, was manche als Kritik an Castros Engagement in Zentralamerika verstanden. Doch richtet sich diese Aussage mindestens genausosehr gegen die USA, die von „Revolutionsexport“ sprechen, wo sie die Existenz authentischer Revolutionen nicht wahrhaben wollen. So hatte der Staatsgast auch nur Worte des Lobes für die Rolle Kubas in Angola und versicherte, daß auch Nicaragua weiterhin unterstützt werde. Die Waffenlieferungen an die Sandinisten würde er gerne einstellen, wenn auch die USA auf die Bewaffnung ihrer Verbündeten in der Region verzichteten.
Ein Vorschlag, der in Washington auf wenig Gegenliebe stößt. Die Entscheidung von Präsident Bush, die Contra weiterhin zu finanzieren, fand Gorbatschow „bedauerlich“. Aber er versicherte, daß „die Sowjetunion nicht die Absicht hat, Atomraketen oder andere Massenvernichtungsmittel“ in der westlichen Hemisphäre zu stationieren.
Zur Lösung des Schuldenproblems schlug Gorbatschow die Einberufung einer internationalen Konferenz vor. Die westlichen Gläubiger sollten auf die Einforderung der Schulden der Dritten Welt verzichten. Auch die Sowjetunion würde dann den Kubanern ihre - ohnehin uneintreibbaren Schulden erlassen. Diese werden auf neun Milliarden Dollar geschätzt.
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