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Bonn errichtet Devisen-Hürde für Polen

■ Ab Mitte April müssen Polen 50 Mark pro Besuchstag vorweisen / Bestimmung kann umgangen werden

Die Geister, die sie einst rief, wird die Bundesregierung nicht mehr los. Großmütig lud sie „unsere Brüder und Schwestern“ aus dem Osten ins geliebte Land. Und sie kamen. Nun aber ist die Stimmung in der Bevölkerung umgeschlagen, den Christdemokraten bricht der rechte Rand des Wahlvolkes weg. Abschreckung ist die Devise. Dieses Mal richten sich die Schikanen gegen die Polen: 50 Mark pro Besuchstag sollen sie an der Grenze vorweisen.

Seit die Polen ihre Reisepässe nicht mehr bei der Miliz hinterlegen und abholen müssen, ist das Reisen in Polen noch beliebter geworden, als es dies schon bisher war. „Und nun das“, meint ein älterer Mann, der in der Schlange vor der deutschen Botschaft auf sein Visum wartet. „Wir haben immer geglaubt, die BRD ist ein freies Land“, meint er enttäuscht über die neuen Regelungen der Bundesregierung. Schon über Fünfhundert haben sich alleine am Montag eingeschrieben, und, so einer der umstehenden, insgesamt hätten heute etwa 2.000 Menschen angestanden. Es gibt mehrere Wartelisten. Eisern wird darauf geachtet, daß jeder seine Wartezeit von ein bis zwei Wochen, absteht, teilweise auch nachts. Alle hoffen, ihren Visumantrag noch vor dem Stichtag am 17.April abgeben zu können. Bis dann nämlich werden sie nach einer Übergangsregelung der Botschaft noch nach den alten Regelungen abgefertigt. Ob es denn für ihn einen Unterschied mache, frage ich einen Arbeiter. „Klar. Wenn ich pro Tag fünfzig Mark nachweisen muß, kann ich doch nur viel kürzer bleiben als sonst.“ Hundert Mark kostet inzwischen ein Platz vorne in der Schlange. Ebensoviel zahlt man an „Kombinateure“, wie sie auf polnisch heißen, Leute, die einen Visumantrag aufgrund ihrer „guten Beziehungen“ zur Deutschen Botschaft angeblich in Rekordzeit erledigen.

In den letzten Monaten waren die Visumanträge sprunghaft gestiegen. Im Januar dieses Jahres stieg die Zahl der erledigten Sichtvermerke um 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, im Februar waren es gar 92 Prozent. Der Stapel der unerledigten Anträge ist inzwischen auf 30.000 gestiegen. Für die überlasteten Angestellten werden die für 17.April vorgesehenen Einreisebeschränkungen eine Erleichterung sein, zumindest wenn sich ihre Hoffnung erfüllt und die Schlange der Antragsteller vor den Toren kleiner wird. Weniger erfreut sind die betroffenen Polen. Auch wenn manche Verständnis äußern für das Dilemma, in dem die Bundesregierung stecke, so dürften die meisten doch mit dem übereinstimmen, was Krzysztof Sliwinski, in Lech Walesas Bürgerkomitee zuständig für Beziehungen mit dem Ausland, so beschreibt: „Wir sehen natürlich das Dilemma, in dem die Bundesregierung steckt bei jährlich 29.000 Asylanträgen und einer Anerkennungsquote von 2,7 Prozent. Wir kennen das Problem des Schwarzhandels und der Schwarzarbeit. Andererseits sollte der Westen nicht gerade dann seine Grenzen schließen, wenn der Osten sie erstmals öffnet.“ Man müsse für dieses Problem eine wirkliche Lösung finden, die ja nicht darin bestehen könne, „daß die reichen Länder Europas die armen aussperren“.

Wer als Tourist künftig in die Bundesrepublik reisen will, muß an der Botschaft nicht nur Paß und ausgefüllten Antrag vorlegen, sondern auch noch einen Nachweis darüber, daß er über die geforderte Summe von 50 Mark pro Aufenthaltstag verfügt. Um sicherzugehen, daß er sich den „kleinen Braunen“ nicht einfach von seinem Hintermann geborgt hat, wird es künftig auch bei der Einreise „Devisenkontrollen“ geben. Der gelegentlich angestellte Vergleich zum Zwangsumtausch trifft hier allerdings nicht: Jeder kann den vollen Betrag auch wieder ausführen, und im Gegensatz zum polnischen Zwangsumtausch muß das Geld weder hinterlegt noch verbraucht werden. Um Schwarzarbeitern habhaft zu werden, müßte künftig allerdings auch bei der Ausreise kontrolliert werden, ob der DM-Betrag etwa durch einen Arbeitslohn angewachsen ist. Eine Kontrolle, die die Polen schon jetzt häufig dadurch umgehen, daß sie ihre Devisen aus der Bundesrepublik einfach auf ihr polnisches Bankkonto überweisen.

Eine finanzielle Belastung kommt auf die künftigen Reisenden auch in Form der obligatorischen Krankenversicherung zu. Solche internationalen Krankenversicherungen werden zwar im Moment schon von den staatlichen polnischen Versicherungen angeboten, doch erhält der Kunde aufgrund des in Polen angewandten Wechselkurssystems den in der BRD aufgewendeten Betrag nach seiner Rückkehr nur in Zloty zurückerstattet. Wegen des ungünstigen Zwangswechselkurses verliert er dabei etwa 80 Prozent. Wer in der BRD krank wird, wird sich also auch in Zukunft vor der Rechnung drücken oder sich unmäßig verschulden müssen. Ein entsprechendes zwischenstaatliches Abkommen zur Anerkennung der Krankenversicherungen gibt es nicht. Die einzige Alternative, sich nämlich in der BRD freiwillig zu versichern, ist nur für ungewöhnlich reiche Polen erschwinglich.

Zu den Restriktionen im Reiseverkehr gehört auch, daß Bundesbürger, die polnische Gäste einladen wollen, künftig beim Ausländeramt den Nachweis erbringen müssen, daß sie ihre Gäste auch unterbringen und verköstigen können. Dies soll den in der Vergangenheit stattgefundenen Mißbrauch beseitigen, bei dem etwa Sozialhilfeempfänger ihr Budget durch den Verkauf von Einladungen aufgebessert hätten, ist zu erfahren. Dennoch ist auch hier eine Lücke im System: Pauschaltouristen sind von all diesen Regelungen ausgenommen. Infolge der polnischen Wirtschaftsreform kann aber praktisch jeder, der dazu Lust hat, eine Reiseagentur eröffnen und entsprechende Arrangements anbieten. Und bereits bisher wurden die Angebote der staatlichen Agenturen Haeugi zu Handelsreisen benutzt, was die Agenturen oft auch wußten. Viele der Touristikangebote polnischer Agenturen sind geradezu auf solche „Handelsreisenden“ zugeschnitten. Bei der Größe des polnischen Reisemarktes und der Vielzahl der Angebote und Agenturen werden auch genaue Prüfungen der Botschaft kaum Abhilfe schaffen. Zumal die Veranstalter auch nur sehr begrenzt für das Verhalten ihrer Kunden zur Verantwortung zu ziehen sind.

Aus dieser Sicht werden die verschärften Einreisebestimmungen kaum den von der Bundesregierung gewünschten Erfolg haben, sie werden jedoch jene polnischen Rucksacktouristen, Camper und Studenten treffen, die „einfach so ins Blaue hinein“ in den Westen fahren wollten. Wer wirklich in die Bundesrepublik will, der wird sich in Zukunft eben vor der Abreise verschulden, die aufgenommenen Zlotys in der Bank in DM wechseln und die Schulden nach der Rückkehr per Schwarzarbeit wieder zurückzahlen. So war es bisher auch schon in Polen bei Reisen nach Griechenland oder Österreich. Die einzigen, die auch weiterhin keine Probleme haben dürften, jene 50 Mark pro Tag an der Grenze vorzuweisen und eine Krankenversicherung abzuschließen, werden die wirklich gewieften Schwarzhändler und jene sein, die bereits reiche Erfahrung mit illegaler Arbeit in der Bundesrepublik gemacht haben. Die teilweise noch viel höheren Summen, die Polen schon jetzt an der Grenze zu Österreich oder Griechenland vorweisen müssen, haben den Strom der Schwarzhändler nicht einzudämmen vermocht. Der Tag ist sicher nicht mehr weit, wo in der Nähe der deutschen Botschaft ein Kreditverleiher ein Büro aufmacht. Würstchenbude, Paßfotoautomat und Taxistand gibt es ja schon. Jene Zinsen, die der dann allerdings fordern wird, werden die reiselustigen Polen dann in der Bundesrepublik „erarbeiten“ müssen. Da bietet es wenig Trost, daß die Botschaft Erleichterungen für Transitvisa ankündigt: Eine eigene Schlange soll eingerichtet werden. Den Polen mag sich da nicht zu Unrecht der Eindruck aufdrängen, „je kürzer sie in der BRD bleiben, desto lieber ist es den Deutschen“. Daß West-Berlin als Zielort für Händler und Schwarzarbeiter damit natürlich ungeahnt attraktiv werden wird, ist hundertprozentig sicher. Wann immer ein Land in der Vergangenheit dichtmachte, wurde das Nachbarland umso attraktiver. Und ein zusätzlicher Reisezug nach Berlin ist für den Sommerfahrplan ja bereits angekündigt.

Klaus Bachmann, Moskau

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