: Kadar endgültig im Ruhestand
Der frühere ungarische Parteichef verlor auch seinen letzten Ehrenposten / Seit 1956 an der Spitze der Partei / Konflikt im ZK zwischen Parteichef Grosz und „Reformvorprescher“ Pozsgay ■ Aus Budapest Roland Hofwiler
Die ungarischen Kommunisten haben die seit langem erwartete Erneuerung an der Spitze ihrer Partei vollzogen. Das Zentralkomitee der Partei entmachtete nun endgültig den alten Mann der Ungarischen sozialistischen Arbeiterpartei, Janos Kadar, und schickte ihn in den Ruhestand. Der 77jährige Ehrenvorsitzende, formell war er noch Präsident der KP, verlor damit am Montag alle seine Ämter und die Mitgliedschaft im 118köpfigen Zentralkomitee der Partei. Bis gestern teilte man der Bevölkerung jedoch kaum etwas über die „aus gesundheitlichen Gründen“ erfolgte „Verabschiedung“ des Politikers mit, der die Geschicke des Landes seit der Volkserhebung im Oktober 1956 uneingeschränkt bestimmte.
Kadars erste entscheidende politische Niederlage geht auf den vorigen Mai zurück, als der KP-Chef durch den Reformer Karoly Grosz abgesetzt wurde und als Parteipräsident nur noch eine Symbolfunktion erhielt. Selbst unter Traditionalisten löste danach die beständige Weigerung Kadars Betroffenheit aus, eine Neubewertung der Aufstände von 1956 voranzubringen. Über seinen Vorgänger Imre Nagy, der wie über 200 andere Spitzenfunktionäre nach dem Einmarsch der Sowjets gehenkt wurde, werde er nicht reden, so Kadar.
Aus dem ZK sickerte gestern durch, die Mehrheit sei zwar für die Abwahl des Ehrenvorsitzenden gewesen. Doch stelle das die Partei vor ein neues Problem. Bei den sozialistischen Nachbarn genieße der zentrale Flügel der Partei um Grosz hohes Ansehen - aber auch die Veteranen um Kadar gälten als Garant für innere Stabilität. Auch für Gorbatschow sei der „Reformvorprescher“ Imre Pozsgay, dessen Stellung gegenüber Grosz zunehmend stärker wird, ein Unsicherheitsfaktor. Und es war Pozsgay, der die Diskussion um 1956 in die Wege geleitet hatte. Mitte April drohte er gar der Parteiführung mit der Gründung einer Gegen-KP, falls die Arbeiterpartei nicht seinen Reformvorstellungen nachkomme. Pozsgay hatte dies in Abwesenheit von Parteichef Grosz auf einer sogenannten „Reformwerkstatt“ fern der Hauptstadt geäußert, an der fünf der neun Politbüromitglieder, dem höchsten KP-Gremium, teilnahmen. Die 'Prawda‘ reagierte mit einem unfreundlichen Kommentar und ungarischen Presseberichten zufolge war aus dem Kreml zu vernehmen, daß man keine „Parteispaltung wünsche“. Angesichts der Spannungen im ZK beschloß man gleichzeitig mit der „Verabschiedung“ Kadars die Einberufung einer außerordentlichen Parteikonferenz für den Herbst, auf dem die internen Spannungen diskutiert werden sollen.%%
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