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Zum Dienen „unter die Haube“ gebracht

■ Der „Pflegenotstand“ ist kein neues Phänomen / Eine der Ursachen: Die ideologische Überhöhung und tatsächliche Abwertung der Krankenschwestern / Die ÖTV zeigt eine historische Ausstellung

Pflegenotstand ist Schwesternmangel. Schwesternmangel in den Krankenhäusern hat es immer wieder gegeben. Und nicht erst, seit der jüngste Pflegenotstand ausgerufen wurde, haben Krankenschwestern Gründe genug, gegen schlechte Arbeitsbedingungen und viel zu niedrige Löhne zu kämpfen. Mit den Ursachen des immer wiederkehrenden „Pflegenotstands“ beschäftigt sich jetzt eine Foto-Ausstellung der ÖTV. Termingerecht zu den laufenden Tarifverhandlungen, am Wochenende beginnt die 5. Runde, wird sie nach Bielefeld in anderen Städten zu sehen sein.

Der Kampf in einem Frauenberuf, der wegen seiner Nähe zur unbezahlten Hausarbeit eher als Berufung denn als Beruf gesehen wurde, galt lange als unfein. Das Ideal der dienenden und helfenden Frau durchzieht die Geschichte der Krankenpflege bis heute.

Geprägt wurde das Bild der Krankenschwester als der „idealen“ Frau im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Es entstand in der Konfrontation der ersten freien oder „wilden“ Schwestern mit den traditionellen Ordensschwestern auf der einen Seite und der modernen Medizin, vertreten durch männliche Wissenschaftler und Ärzte, auf der anderen Seite.

Die mit der Industrialisierung rasant gewachsene Bevölkerung sprengte die bis dahin bestehenden Fürsorgeeinrichtungen. Für die Arbeit am Krankenbett fehlte Personal: Der erste große Pflegenotstand der modernen Medizin war da.

Die Ordensgemeinschaften, die in Mutterhäusern organisiert waren, stellten vermehrt KrankenwärterInnen gegen Lohn ein, doch die freien Schwestern wollten unabhängig von Ordensstrukturen in der Krankenpflege arbeiten. Sie forderten auch ihr Recht auf Berufstätigkeit und Selbständigkeit ein. Hilde Steppe, Krankenschwester und Leiterin des DGB-Berufsfortbildungswerkes in Frankfurt, schreibt: „Die Entstehung der freiberuflichen Krankenpflege ist ohne die Frauenbewegung nicht denkbar, und ihre wichtigsten Vertreterinnen, wie zum Beispiel Agnes Karll, verstanden sich stets als Teil dieser Bewegung.“ Ein ideologisches Feuerwerk

Agnes Karll machte es zu ihrer Lebensaufgabe, die freien Schwestern zu organisieren. Erbitterten Widerstand leisteten ihr und ihren BerufsgenossInnen dabei nicht nur die Ordensschwestern, die den „sittlichen Verfall“ der nicht länger religiös motivierten Krankenpflege geißelten, sondern auch Mediziner und Wissenschaftler. Diese entfachten ein ideologisches Feuerwerk, dessen Schein bis heute die Szenerie in den Krankenhäusern beleuchtet.

Von den Medizinern und Patriarchats-Philosophen stammt das Bild der Krankenschwester als ideale Frau. Sie sollte gewissenhaft und fleißig, immer verfügbar und fügsam, ohne ein Selbst, sparsam, unauffällig und mitfühlend sein: Sie sollte sein wie die bürgerliche Haus- und Ehefrau, unverheiratet, aber verheiratet mit dem Krankenhaus. „Einmal unter die Haube gebracht soll die Krankenschwester jeder Zweideutigkeit entrückt sein: Sie gehört schon jemand anderem - dem Dienst.“

Zwar fehlte es nicht an Entgegnungen und drastischen Schilderungen des wirklichen Krankenhausalltags - eine der brillantesten kam von Hedwig Dohm - doch gelang es den Medizinern tatsächlich, die beruflichen Emanzipationsbestrebungen der Frauen im Krankenpflegeberuf zu kanalisieren. Und sie setzten darüber hinaus strikte Hierarchie- und Rollenzuweisung durch. Denn um ihren Beruf überhaupt ausüben zu können, waren die freiberuflichen Schwestern auf die Anerkennung durch die ungleich mächtigeren Ärzte angewiesen. Die 1903 von Agnes Karll gegründete „Berufsorganiation der Krankenpflegerinnen Deutschlands“, die schnell großen Zulauf bekam, mußte selbst noch um minimale Grundlagen für den Schwesternberuf wie eine gesetzlich geregelte Ausbildung, Aufnahme in die Sozialversicherung oder Arbeitsschutzbestimmungen kämpfen. Tarifverträge existierten bis zum ersten Weltkrieg überhaupt nicht, die Löhne waren minimal, die Arbeitszeiten endlos. Frauen aus Fernost

Wenn sich auch bis heute die materielle und rechtliche Situation der Schwestern nach und nach verbesserte, so blieb doch das um die Jahrhundertwende entstandene Bild der Krankenhausschwester hartnäckig in den Köpfen. Das erklärt, warum weder in der Diskussion um den Pflegenotstand unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, noch angesichts des drastischen Schwesternmangels in den 60er Jahren die weibliche Arbeit in der Krankenpflege selbst zum Thema gemacht wurde. Der billige Dienst der Frauen war bequem, und die Frage hieß nicht, wie man die Arbeitsbedingungen der Schwestern verbessern könne, sondern wo man neue Frauen für diesen Beruf rekrutieren konnte. In den 60er Jahren wurden sehr viele Frauen aus Fernost in deutsche Krankenhäuser geholt. Anpassen sollten sich die Schwestern wie ehedem: Die ideale Frau diente bei wachsenden Anforderungen und extremer Arbeitshetze noch immer der männlich dominierten, zunehmend technischer und rationeller arbeitenden Medizin. Erst heute, nach der Frauenbewegung der 70er Jahre, wird auch das Frauenbild in der Krankenpflege als ein Grund für den erneuten Schwesternmangel, den Pflegenotstand 1989, erkannt.

Bettina Markmeyer

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