: Die Euro-Rolle
■ Entscheidungshilfe für Wechselwähler und noch Unentschlossene: Das Beste aus den Wahlkampfspots der Parteien - europaweit / Grimmige Kinder, singende Yuppies und strahlende Sonnen: Parteien zeichnen ihr Europabild
„Wir wol-len wiiee die Wol-ken sein... Eu-roo-paa braucht frischen Wind, Iiideen, die für mooor-gen sind (u-hu-hu) Wir sind Eu-roo-paa...“, so singen die 15 flotten Jungs und Mädels, während sie sich von Wind und Wolken umweht auf grüner Wiese im Rhythmus der Musik wiegen. Dabei handelt es sich nicht etwa um den neuesten deutschen Beitrag für den Sängerwettstreit des Grand Prix Eurovision, sondern um den Wahlwerbespot der SPD, mit dem sie die Stimmen der wahlmüden Deutschen für die kommende Europawahl fangen will.
Werbung dient dem Verkauf, egal ob es nun Ideen, Parteiprogramme oder Produkte sind, die an den Mann oder die Frau gebracht werden sollen. Daß sie zudem auch noch unterhaltsam sein kann oder sogar muß, beweist das internationale Werbefilmfestival in Cannes. Die Jahr für Jahr prämierten Commercials erfreuen sich so großer Beliebtheit, daß sie als sogenannte „Cannes-Rolle“ im abendfüllenden Kinoprogramm laufen.
Dabei ist es kein Zufall, daß unter den preisgekrönten Spots fast nie ein deutscher Beitrag ist. Die Deutschen können einfach keine gute Werbung machen. Und so ist es denn auch kein Wunder, daß beim Betrachten der bundesdeutschen Parteienwerbung wenig Freude aufkommt. Die SPD geht da mit besten Negativbeispiel voran. Allenfalls Aerobic-Freunden gibt der einfältige Singsang etwas Schwung.
Gunter truckt für die CDU
Das CDU-Pendant zu den SPD-Euro-Sängern auf grünem Grund ist Gunter Gabriel. Seine Western-Stimme begleitet den unermüdlichen deutschen Trucker (Made in Ger-ma-he-ny...), der im CDU-Wahlspot für Europa durch schöne deutsche Landschaft kurvt. Der darf dann noch sagen, daß wir doch alle gut drauf sind und deshalb keine Angst vor Europa zu haben brauchen.
Verbindendes Element im harten Parteien-Wahlspotkampf ist neben der luftigen Europa-Floskel ganz offensichtlich die Natur. Mit einer grünen Wiese und fröhlichen Menschen zum Abschluß will uns die ÖDP (Ökologisch Demokratische Partei) in ihrer Wahlsendung demonstrieren, daß Europa weniger braucht, obwohl alle mehr wollen.
Auch Spaniens Sozialisten, die mit Öko-Dumping den Anschluß an die Moderne schaffen wollen, stehen auf Landschaft. Rotbraune Felder schimmern im warmen Licht, die Sterne der EG-Fahne verstrahlen in einer riesig aufgehenden Sonne, ein Mädchen läuft auf die Zuschauer zu. Dann sitzt plötzlich ein älterer Herr am Schreibtisch und redet. Es ist Fernando Moran, der Spitzenkandidat, und er spricht von Erfolg und Kraft und Kraft und Kraft. Das Mädchen läuft von den Zuschauern weg, der Sonne entgegen, die sich langsam in der blauen Europafahne auflöst.
Die deutschen Freien Demokraten fahren gleich ganz viel blauen Himmel, Sonnenuntergänge, Regenbögen und glückliche Familien auf, um klar zu machen, daß es das nur gibt, wenn „die Kraft der liberalen Mitte“ aktiv bleibt. Das überzeugt.
Auch die DKP hat ihre Genossen und Genossinnen in blühender Natur an eine allerdings sehr karge Kaffeetafel gesetzt, damit sie in die Kamera hinein sagen, warum Mann und Frau sie wählen müssen (zum Beispiel, um den Butterberg abzubauen). Vorher sah man im gleichen Spot die gewissenlosen Kapitalisten auf einer Müllkippe festlich schmausen, während sie - horribile dictu - ihre Abneigung gegen die DKP äußerten. (Übrigens mit Laienschauspielern wahrscheinlich ebenfalls Genossen - wenig überzeugend umgesetzt).
Nur die deutschen Grünen, bei denen man natürliche Bilder am ehesten erwartet hätte, flüchteten sich ins Zeichentrickmedium. Mit der DKP haben sie immerhin die Müllkippe gemeinsam. Dort doziert an einem Tisch mit Europa als Tischtuch das rücksichtslose Industriellenschwein mit dem dummen Michel. Am Schluß platzt zwar der Bonze wegen seiner verleumderischen Reden, aber eine grüne Wiese bekommen wir trotzdem nicht zu Gesicht. Statt dessen sagt ein Kinderstimmchen: „Europa braucht grün!“
Altkluge Kinder
und giftiger Schlamm
Englands Grüne sind diesbezüglich härter gesotten. Wenn die britische Nation im Fernsehzimmer auf ihre tägliche Dosis an „soap operas“ wartet, muß sie sich im Werbeblock für Europa deren Schlammschlacht über sich ergehen lassen. Umweltschutz überall, „but it doesn't have to be like this. Vote Green!“ Ein neunmalkluges Kind warnt mit schriller Stimme und gestochen scharfen Argumenten vor den Gefahren der Luftverschmutzung. Damit es auch begriffsstutzige kapieren, hat sich das Mädchen eine Gasmaske aufgesetzt. Weitere Kinder klären die ahnungslose Bevölkerung im Stile von Biologieprofessoren über diverse Umweltsauereien auf. Als Höhepunkt redet ein Zehnjähriger über die Einleitung von Giftmüll in die Irische See, die deshalb zum radioaktivsten Meer der Welt geworden ist. Plötzlich kippt eine unsichtbare Hand eimerweise Klärschlamm über den Knaben. Es folgen Altöl und andere Substanzen. Doch das Kind, das sich inzwischen in einen Ölklumpen verwandelt hat, redet unbeirrt weiter. Die abschließende Schrifttafel weist dann noch einmal darauf hin, daß es so nicht sein müsse. „Vote Green“ steht auf dem Bildschirm - in grau. Die Engländer sind in ihrer Werbung einfach bissiger und würzen ihre Botschaft gern mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. Nicht umsonst belegen ihre Spots in Cannes immer die vier besten Plätze.
Die Botschaft der Frau Herbst
Die perfekteste Reduktion grüner Natursymbolik ist den deutschen mündigen Bürgern in ihrem Wahlspot gelungen. Bravo! „Wir brauchen eine Politik, die Macht in Liebe umwandelt“, empfiehlt Erika Herbst aus dem spartanischen Studioambiente heraus den Zuschauern. Fernsehem wird unvermittelt so intim wie in den frühen Fünfzigern. Daß ihre Partei dabei aber nicht an die Propagierung der freien Liebe denkt, wird spätestens dann klar, wenn Frau Herbst, deren Erscheinung stark an die Schwestern von der Bahnhofsmission gemahnt, ihren Blick liebevoll auf das kleine Pflänzchen neben ihr senkt. Vorne links im Bild sehen wir ein bauchiges Blumenväschen mit grünem Blattwerk. Und das liegt den mündigen Bürgern nun wirklich am Herzen. Man stelle sich einmal vor: Ein kluger ukrainischer Heilpflanzenforscher hat ein Kraut gegen den Krebs entdeckt, und das will uns die EG verschweigen. Aber die mündigen Bürger wollen jetzt den Kampf gegen die europäische Krebs-Lobby aufnehmen. Leider dürfe sie den Namen der Wunderpflanze in der Sendung nicht sagen „wegen Heilmittelwerbegesetz“, bemerkt Frau Herbst ein wenig zornig. Aber ihre Partei habe bereits alle Apotheken informiert. Am Ende steht dann ein ganz konkreter Spendenaufruf unter dem Motto „Rottet den Krebs aus!“ Da hat man doch endlich mal eine klare Wahlaussage. Die lassen die anderen Parteien meist vermissen.
„Für ein Europa
der Versehrten“
Ganz anders Italien. Da wirbt ein oberitalienischer Kriegsveteranenverband mit einem gut erkenntlichen Mussolinikopf und einem stilisierten Karabiner „Für ein Europa der Versehrten„; im Hinterland von Palermo feiert die alte Separatistenpartei Auferstehung: „Europa den Antieuropäern“. Im lombardischen, piemontesischen und venezischen Norden hoffen diverse Logen auf großen Zuspruch mit ihren Slogans gegen die Zugewanderten aus Sizilien und Kalabrien: „Jedem seine Heimat. Südstaatler zurück in den Süden“. Wie überhaupt die „Anti„-Listen und -Slogans diesmal Hochkonjunktur haben, von der „Lista antiproibizinista“ („Gegen den Tod durch Drogenhändler“) bis zur „Lega antiintegralista“ („Gegen die ideologischen Systeme im Westen und Osten“).
Kaum jemand findet sich durch die halbmeterlangen Wahllisten noch durch. Doch Italien wäre nicht Italien, wenn nicht auch da sofort mancher seinen Profit draus schlagen würde: An den Autobahnstationen rund um Neapel verkaufen die Jungen mittlerweile neben geschmuggelten Zigaretten, „todsicheren“ Aids-Tests und Maradona-Trikots auch eine Broschüre mit dem Titel „Kurzgefaßter Führer zu den Parteien der Europawahl“. Kostenpunkt: vor zwei Wochen noch 1.000 Lire, mittlerweile ist der Preis auf 200 Lire gesunken.
Das Lächeln der Chrysantheme
In Frankreich lächeln die Chrysanthemen milde. Simone Veil, die Liberale hat das gleiche Dekor gewählt wie Laurent Fabius, der Sozialist. Die Eurovisions-Melodie aus guten alten Fernsehzeiten hat soeben den werktäglichen Zwanzigminutenspot zu den Wahlen angekündigt. Veils Zentrumsliste und Fabius‘ Mehrheit-für-den-Fortschritt-für -Europa-Liste teilen sich an diesem Tag den Fernsehbrei. Simone läßt sich von einem Interviewer Stichworte geben, Laurent interviewt höchstselbst drei Kandidaten seiner Liste. Die Herren setzen, so ist zu erfahren, auf den „sozialen Fortschritt“, und die sozialistische Selbstbefragung fördert das Thema Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit zutage. Doch halt: Auch eine Frau sitzt dort zwischen den Kandidaten. Typ schüchternes Arbeiterkind algerischer Abstammung, das dem väterlich fragenden Fabius erzählen soll, was es bewegt hat, sich für seine sozialistische Liste zu engagieren. Und siehe da - das Experiment glückt: Das Kind ist „gegen den sozialen Ausschluß“! Erleichtert ertönt klassisches Klavier.
Das konsequenteste Ziel verfolgt eine Partei in Dänemark. Die Volksbewegung gegen die EG ist ein breites Bündnis aus Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberalen und Nationalisten, die seit 17 Jahren beständig versuchen, ihr Land wieder aus der EG herauszubekommen. Bei den Europawahlen, die in Dänemark schon am Donnerstag stattfinden, muß die Volksbewegung zum zweiten Mal ihre Position als stärkste Kraft in Straßburg verteidigen. Bei den Wahlen 1979 und 1984 erreichte sie jeweils vier der 16 Mandate. Werbespots für Parteien gibt es im dänischen Fernsehen nicht. Dafür dürfen aber alle neun zur Wahl stehenden Parteien - ganz nach dänisch-liberaler Manier - eine kleine Sendung von zehn Minuten produzieren. Im Anschluß daran werden drei Kandidaten von zwei Journalisten eine halbe Stunde lang interviewt. Die Volksbewegung ließ in ihrer Sendung Künstler wie den dänischen Popstar Kim Larsen sprechen, die vor der Schreckensvision einer „Europäischen Union“ warnten.
Eine Empfehlung, die ich den unentschlossenen Wählern mit auf den Weg zur Wahlurne gegeben hätte, ist leider an der Humorlosigkeit des Bundeswahlausschusses gescheitert. Die Union nicht genügend überdachten Lächelns trotz innerer Genialität (Ungü Lti G), die auf kommunaler Ebene schon durchaus erfolgreich war, wurde vom Bundeswahlleiter nicht zugelassen.
Ute Thon (mit den Korrespondenten Raith, Paasch, Seifert, Rohleder und Bauer aus Rom, London, Paris, Kopenhagen und Madrid )
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen