: Schneewittchen hat Krebs
■ Carl Schenkel hätte besser bei seinem schmuddeligen Action-Kino bleiben sollen
Es war einmal eine wunderschöne Tänzerin, jung und ehrgeizig, die träumte von einer großen Karriere als Primaballerina in Londons Convent Garden. Wie besessen tanzte sie mit dem heimlich angebeteten Russen Ivanov, bis sie ganz unvermittelt fiel - auf offener Bühne im dritten Akt des Schwanensee-Balletts. Als sie erwachte, waren die glitzernden Lüster der Oper dem kalten Neonlicht eines Krankenzimmers gewichen. Eine böse Krankheit hatte sie erwischt. Doch keiner mochte ihr das sagen. Wäre da nicht die kleine häßliche Kröte im Bett nebenan gewesen, sie hätte noch weiter geträumt. Aber die Hexe streckt ihr mit schamloser Freude den kahlen Schädel entgegen als Symbol des bevorstehenden Unheils. Angesichts des nahenden Endes verkehrt sich die anfängliche Feindschaft in tiefe Zuneigng. Die garstige Claudia schläft friedlich ein und befreit damit die Tänzerin vom Todesfluch. Innerlich gereift und geläutert von eitler Betulichkeit beginnt sie wieder zu tanzen.
So ähnlich klingt die Geschichte, die uns Carl Schenkel in seinem neuesten Film Zwei Frauen erzählen will. Krebs, die unheilbare Krankheit, zwei junge todkranke, völlig verschiedene Frauen'die in einer Krebsklinik aufeinandertreffen, deren Todesangst und Lebenskampf, das sind die Themen, aus denen er seine Story zusammenbaut. Aber obwohl dem Drehbuch die authentische Geschichte der deutschen Ballettänzerin Bea Hellmann zugrunde liegt, ist dabei nur ein rührseliges Märchen entstanden, das mit der Realität sowenig zu tun hat wie Tschaikowsky mit Krebs.
Die Klinik ist clean, die Ärzte sind allesamt tugendhaft und sensibel. Evas Stationsarzt schwebt mit Vorliebe zu nächtlicher Stunde einem heimlichen Liebhaber gleich an ihr Bett, dort liegt sie mondän in Seide gepackt. Ganz beiläufig offenbart er ihr, daß man ihr morgen eine Brust abnehmen werde. Aber das wisse sie ja sicher schon längst. Atmosphärisch setzt Schenkel der Szene noch eins drauf, indem er draußen Donner grollen läßt.
An anderer Stelle läßt er Eva träumen. Aber nicht etwa Alpträume fördert seine Kamera zutage, sondern einen schön inszenierten Pas-de-deux. Statt des weißen Schwanenkostüms trägt Eva dabei - welch grandiose Symbolik - schwarz.
„Ich sterbe hier langsam vor mich hin, so schnell wie im Kino bist du hier nicht dabei“, sagt das Punk-Mädel Claudia, während sie vor Eva ihre Glatze präsentiert. Ihr rüder Charme und ihr Zynismus sind das einzig erfrischende im kreuzbraven Krankenhausdrama. Nach und nach verliert auch Eva ein paar Haare, einmal ist sie sogar ganz kahl, aber die Spuren der Krankheit und der brutalen Chemotherapie werden nur in den engen Grenzen der zumutbaren Hollywood -Ästhetik sichtbar gemacht. Wie im Märchen bleibt die Schöne unantastbar. Und Claudias Phrophezeihung bleibt ein leeres Versprechen an das Kinopublikum. Schenkel verpaßt ihr einen schönen stillen Kinotod.
Ute Thon
Carl Schenkel: Zwei Frauen, Drehbuch: Schenkel mit Bea Hellmann, mit Jami Gertz und Martha Plimpton, USA 1989, ca. 92 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen