„Ick will hier meine Ruhe haben“

■ Der Havelstrand ist der Zufluchtsort des Schultheiss-Berliners / Er flüchtet mit Kühltasche, Klappstuhl und Paddelboot vor „Rabauken und Ausländern“ / Würde die Havelchaussee gesperrt, wäre die Idylle dahin / Die BVG ist für die Havelbesucher keine Alternative

Groß ist die Lieper Bucht nicht. Der wenige Quadratmeter große Strand, bedeckt mit schmutziggrauem Sand, ist heute, am Sonntag dennoch nicht überfüllt. Der Himmel ist bewölkt, ab und zu fallen einige Regentropfen. Träge hängen die Badegäste auf ihren Decken und Klappstühlen, stets zu kleinen Grüppchen geballt und umsäumt von Sonnenschirmen, Kühltaschen und Schlauchbooten. Ganze Schwärmen von Schwänen watscheln zwischen den kreischenden Kindern am Ufer umher. Die Müllkörbe am Havelstrand quellen über, trotz des trüben Wetters, aber das Autogedröhn von der wenige Meter entfernten Havelchaussee hält sich in Grenzen. „Havel is nu mal Havel“, versichert ein auf beiden Armen tätowierter Reinickendorfer, „is schön hier unten.“

Griesgrämig blickt ein grauhaariger, stoppelbärtiger Mann von seinem direkt hinter dem Strand geparkten VW-Bus auf die Idylle. Daß der Senat den Frieden stören und die Autos von der Havelchaussee verbannen will, das will dem Mann nicht in den Kopf. Mit seinem Bus, den er selbst zum Wohnmobil umgebaut hat, fährt der Arbeiter jedes Wochenende an die Lieper Bucht. Der olivgrün gestrichene Bus ist zumindest farblich seiner Umwelt hervorragend angepaßt. Bis das vor einigen Wochen verboten wurde, übernachtete der Busbesitzer auch hier in der Bucht. Würde die Straße gesperrt, wäre das Wochenendglück vollends dahin.

Ohne Auto und mit dem BVG-Bus an den Havelstrand? Eine Hausfrau, Kreuzbergerin auch sie, schlägt innerlich die Hände über dem Kopf zusammen: „Wie solln wirn det machen?“ Ihre Stimme erhebt sich zur Aufzählung: „Große Familie, Stühle, Kühltaschen, Kinder und denn mit de BVG?“ Ohne Kühltasche geht es nicht? „Nee, logisch nich“, wehrt die Frau ab, „Wo wollnse was zu Essen herkriegen. Am Imbiß isses 'n bißchen teuer, wa?“ Und dann erst das Schlauchboot, sorgt sich eine andere Frau, auch aus Kreuzberg: „Wie soll ick det Boot innen Bus kriegen?“ Auch das Schlauchboot ist unentbehrlich am Havelstrand: „Hier nur so zu liegen macht doch keen Spaß.“

Ihre Meinung über den Senatsplan steht fest. „Blöde sinn die, wat? Wo solln wirn sons baden gehen?“ Etwa in die Kreuzberger Freibäder? „Det is zu voll da drinne“, meint ihr Mann: „Die ganzen Scheiß-Ausländer und so! Da muß man ja nur Oogen ham uff die Kinder.“ Ähnlich begründet der Wohnmobilbesitzer seinen Drang zur Havel. „Ick komm aus Kreuzberg, die alte Kaschemmenjejend“, erklärt er. „Ick wohn nu jrade da, wo die meisten Rabauken sind, am Görlitzer Bahnhof. Ick komm hier raus, damit ick da meine Ruhe habe.“ Denn die Lieper Bucht ist frei von Rabauken, fest in der Hand des Schultheiß-Berliners. Der Havelstrand ist sein Zufluchtsort. Dem eigenen, viel zu multikulturellen, Wohnbezirk kann er so wenigstens am Wochenende entfliehen. „Wo soll der Berliner denn sonst hin?“ fragt der Arbeiter aus Kreuzberg.

Der Tegeler See etwa, der sei zu überlaufen, argumentiert der junge Reinickendorfer. „Fährste eben hierher, mit 160 über die Avus, biste schnell hier“, grinst er. Auch das Havelwasser, nicht eben als kristallklar berühmt, kann ihn nicht schrecken: „Det haste hier doch überall. Wohnste in Berlin, oder wo?“ Dreck ist eben gesund. Nur der Wachdienstleiter auf dem DLRG-Schiff ärgert sich jeden Morgen über die Ausflügler, die am Havelstrand übernachten und dann „Berge von Müll hinterlassen“. Der DLRG-Mann „alljemein werde ick der Uwe jenannt“ - findet frühmorgens „nicht nur Papier, sondern auch Bierflaschen „bergeweise“. Uwe würde sich mehr und größere Papierkörbe wünschen: „richtje Container oder so“. Von einer Vollsperrung der Havelchaussee hält er jedoch nichts. Genauso sieht das ein Mann aus Spandau; nur eines regt er noch an: „Die Hunde sollten ferngehalten werden.“ Dann wäre das Paradies wieder hergestellt.

Vor weitergehenden Sorgen um die malträtierte Natur und die im Boden verborgenen Trinkwasserbrunnen bewahrt ihn sein ausgeprägtes Klassenbewußtsein: „Natürlich brauchen wer Trinkwasser. Aber warum muß es immer die Kleinen treffen?“ Der Kreuzberger Wohnmobilbesitzer findet das auch: „Hamse schon mal daran gedacht, was die Schiffe hier raus lassen an Öl? Die ham doch jenuch Jeld. Erst soll'n die da mal wat machen, und denn komm‘ wir langsam ran.“

hmt