: Emden: Warten auf den „Entsorgungsnotstand“
■ Giftmüll-Verbrennung nur noch bis Oktober über Antwerpen / Dann soll deutscher Giftmüll in Emden gelagert und verschifft werden
Emden döst durch den Sommer. Touristen bummeln in der zierlichen Innenstadt und drängeln sich in Otto Walkes‘ Ottifantenmuseum. Die regelmäßigen Treffs des „Anti-Atom -Plenums“ sind nur spärlich besucht. Im Dezember des vergangenen Jahres waren Zehntausende auf den Straßen und Kais, um zu verhindern, daß abgebrannte Brennelemente über den Emder Hafen verschifft werden. „Auf diese Strukturen können wir zurückgreifen“, sagt Gisela Khan vom „Anti-Atom -Plenum“, „wenn die Giftverbrennung kommt.“
Daß sie kommt, ist für die Umweltminister in Bonn und Hannover keine Frage mehr. „Damit müssen sich die Emder abfinden“, sagt ein Sprecher der niedersächsischen Behörde. Ursprünglich sollten die erforderlichen Genehmigungen sogar im Schnellverfahren nach dem Bundesimmisionschutzgesetz erteilt werden.
Antragsteller ist die Frisia-Raffinerie, die zwei ihrer Mineralöltanks als Zwischenlager für halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe herrichten will. Aus den Tanks sollen die Verbrennungsschiffe „Vulkanus“ und „Vesta“ dann die giftige Brühe überneh
men und über der südlichen Nordsee verbrennen. Doch die Emder Stadtverwaltung wehrte sich gegen den Schweinsgalopp und bestand auf einem ordentlichen Planfeststellungsverfahren. Das läuft nun schon seit dem vergangen Dezember, öffentlich ausge
legt wurden die Pläne bisher noch nicht, und Einwendungen konnten deshalb noch keine erhoben werden.
Aber die Zeit drängt: Nach dem vierten Oktober dieses Jahres darf Giftmüll aus der deutschen Industrie über den belgi
schen Hafen Antwerpen nicht mehr verladen werden. So ist es vereinbart, und die belgische Umweltministerin hat ihrem Bonner Kollegen Klaus Töpfer noch vor wenigen Wochen klargemacht, daß keine Schonfrist mehr drin ist. „Die Zeit wird knapp“,
sagt der Sprecher des Umweltministeriums, und: „Es gibt Überlegungen, wie wir doch noch termingemäß mit der Verschiffung über Emden beginnen können, aber die sind noch nicht spruchreif.“ Emdens Oberbürgermeister Alwin Brinkmann kann sich denken, worüber der Minister grübelt: „Töpfer könnte den Entsorgungsnotstand erklären. Die Tanke der Frisia stehen bereit. Dann kann es von heute auf morgen losgehen.“
Was über der kranken Nordsee verbrannt werden soll, das sind Rückstände zum Beispiel aus der PVC- und Glycerinproduktion. Allein ein Drittel der Giftmenge stammt aus dem High-Tech-Ländle Baden-Württemberg, wo - einem Bericht des „Spiegel“ zufolge - alle Not- und Zwischenlager überquellen. Dioxin im Sediment
In Tanklagern am Rhein werden die Rückstände gesammelt. Binnenschiffe der Duisburger Reederei Lenkering Montan pumpen das Gift an Bord und bringen es den Fluß hinunter und nach Antwerpen. Demnächst sollen sie über Kanäle in die Ems wechseln. Ihr Fahrtziel werden dann die Tanks der Frisia im Emder Ölhafen sein.
Das Verbrennen entschärft die Gifte nur zum Teil: In der Rauchfahne bilden sich Furan und das Sevesogift Dioxin. Sie schlagen sich auf dem Meeresspiegel nieder und sinken auf den Grund. Das Folgeprodukt Hexachlorbenzol wurde bereits in den Nordsee-Sedimenten nachgewiesen. Bei jedem Sturm wird es aus flachen Lagen aufgewirbelt und bedroht das Leben im Meer. Rückstände aus der Verbrennung auf hoher See wurden im Plankton gefunden, in Fischen und in den Kadavern der Robben, die im vergangenen Jahr verendeten.
10.000 Liter der giftigen Brühe will die Frisia in zwei Tanks im Emder Hafen lagern. Die Raffinierie gehörte früher dem bundeseigenen Energiekonzern Veba, die heutigen Besitzverhältnisse sind über die Schweiz verschleiert. Als Eigner von mehr als 99 Prozent der Anteile fungiert der Zürcher Rechtsanwalt Rolf Egli, der aber den Besitztitel nur treuhänderisch verwaltet. Nach Schweizer Recht ist er nicht verpflichtet, den eigentlichen Besitzer anzugeben.
Auch Bürgermeister Brinkmann hat nach eigenem Bekunden keine Ahnung, wem die Frisia ge
hört. Gleichwohl sind ihre Geschäftspraktiken bestens bekannt: Gegen die Frisia ermittelt der Staatsanwalt wegen Umweltvergehen. Mineralölschlämme sollen in wilden Deponien auf dem Gelände vergraben und ölhaltige Rückstände in die Ems gepumpt worden sein.
Die Stadtverwaltung und Emdens SPD opponieren gegen die Giftverbrennung, aber die Umweltschützer trauen ihnen nicht. Besonders vom SPD-Landesvorsitzenden Johann Bruns, der zugleich auch Emder Unterbezirksvorsitzender der SPD ist, fühlen sie sich im Stich gelassen. Bruns hat sich im niedersächsischen Landtag damit einverstanden erklärt, daß der Giftmüll in den Frisia-Tanks gelagert wird. Auf die Seeverbrennung könne dann verzichtet werden, meinte Bruns, wenn der Müll an vielen verschiedenen Stellen solange gelagert werde, bis Recycling oder umweltfreundliche Entsorgung möglich sind.
Damit würden Tatsachen geschaffen, die Töpfers Pläne begünstigen, meint Umweltschützerin Gisela Khan. Auch Bürgermeister Brinkmann ist über die Äußerung seines Parteifreundes „nicht glücklich“. Aber: „Wir dürfen uns auch nicht verschließen. Wenn die Gesellschaft von diesem Zeug lebt und leben muß, dann darf sich keine Region verschließen“. Das gilt jedoch nicht für die Verbrennung auf See: „Dagegen bin ich bereit, auch zu marschieren“.
Auch das Thema Atomtransporte ist für dem Emder Hafen noch nicht erledigt. Im Gegenteil: Seit dem Baustopp für Wackersdorf ist es unausweichlich, daß verbrauchte Brennstäbe aus deutschen AKWs in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague, aber auch ins mittelenglische Sellafield gehen. Gestern haben die bundesdeutschen Strommonopole und die Betreiber der britischen Wiederaufbereitungsanlage einen entsprechenden Vertrag unterzheichnet. Die „Elbe-Humber-Line“ betreibt eine Eisenbahn- und Lastwagenfähre zwischen Cuxhafen und Hull und tüftelt an Plänen, auch Emden anzulaufen. „Die Eisenbahnfähre Emden-Hull wird kommen“, sagt Bürgermeister Brinkmann. „Das ist eine gute Sache, weil es Güterströme zwischen Großbritannien und Südosteuropa über unseren Hafen lenkt. Wenn auch Brennstäbe dabei sind, kann man das eben nicht verhindern.“
mw
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen