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Viertelparität und Vorlesungsdruck - das Semester „danach“

■ Gespräch mit den StudentInnen Malte Schmidthals (AStA der TU), Ingo Koopmann (TFH) und Renate Niedermeier (AS der FU) über das SS'89

taz: Ich möchte gerne von Euch wissen, was im Semester nach dem Streik passiert ist, was von den Forderungen umgesetzt worden ist, aber auch, was nicht gelaufen ist.

Ingo: Zunächst einmal ist der AStA an der TFH durch den Streik aufgewertet worden. Konkrete Nachteile des Streiks sind, daß die StudentInnen jetzt viel mehr unter Vorlesungsdruck stehen und die Scheine machen müssen, die sie im letzten Semester nicht gemacht haben, also ein sehr starker Lerndruck. Sie haben kaum Zeit, sich noch mit hochschulpolitischen Sachen an der TFH auseinanderzusetzen.

Malte: Eine Massenbewegung war es an der TU im Sommersemester nicht mehr, was wohl Erschöpfung plus Nachholen von Scheinen war. Weitergearbeitet wurde an den Fachbereichen, damit tatsächlich eine Studienreform da rauskommt.

Renate: Die geringeren Aktivitäten in diesem Semester kommen wohl auch daher, daß am Ende nicht kollektiv ausgewertet wurde, was der Streik gebracht hat. Zwar war die Stimmung am Anfang vom Sommersemester besser als in den vorangegangenen Semestern, man kannte sich von Besetzungen, Blockaden, aber es war nicht mehr so klar, an welchem Punkt man wieder zu mobilisieren anfängt.

Ingo: Hinzu kommt, daß der Informationsfluß schlechter geworden war, was auch an den Medien liegt, die vor allem wieder im Alltagstrott berichten, aber was für Erwartungen die StudentInnen haben, das liest man kaum in den Zeitungen.

Welche Auswirkungen hat der Streik denn auf die Arbeit in den Gremien mit sich gebracht, denn eine der zentralen Forderungen war ja die nach Viertelparität?

Renate: An den Fachbereichen sind viertelparitätische Kommissionen gebildet worden, die teilweise funktionieren, teilweise auch nicht. Auch der Akademische Senat hat seine Komissionen in der letzten Zeit viertelparitätisch besetzt. Die ganze Viertelparität nützt aber nur dann, wenn die entsprechende Basis da ist. Es nützt nichts, im Akademischen Senat zu sitzen, wenn an den Fachbereichen über einzelne Forderungen oder Probleme nicht diskutiert wird. Ich weiß dann gar nicht, was ich überhaupt vertreten soll.

Malte: Die Machtverhältnisse an der TU ändern sich natürlich nicht dadurch, daß es irgendwo viertelparitätische Vorschaltkommissionen gibt. Die richtigen Auseinandersetzungen laufen doch in den Gremien, weil hier letztendlich Entscheidungen gefällt werden. Hier sitzt die Macht. Wenn sich StudentInnen aber nur auf Gremien konzentrieren, werden sie ständig mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert. Auf der anderen Seite bieten diese Gremien die Chance, Auseinandersetzungen tatsächlich zu führen. Das ist gerade in der jetzigen Situation wichtig, wo die Studienreform ansteht, und Geld an die Uni fließen soll. Allerdings dürfen Gremien nicht der entscheidende Ansatz sein. Viel wichtiger ist die Frage der allgemeinen Mobilisierung.

Ingo: Bei uns an der THF wird unterschieden zwischen Gremien, wo man einen besonderen Sachverstand braucht, und wo man keinen braucht. In denen, wo man einen besonderen braucht, ist eine professorale Mehrheit vorhanden. Dies ist die Entwicklungs-Planungs-Kommission, wo es um die Verteilung der Gelder geht und die Berufungskommission. Alle anderen, die unwichtiger sind, sind paritätisch besetzt.

Was sind denn in Euren Augen Erfolge des StudentInnenstreiks, was konnte bisher erfolgreich umgesetzt werden?

Ingo: Konkret ist der Punkt17 des Forderungskatalogs der TFH erfüllt worden und das war: Turner muß weg.

Renate: Also wir haben ein relativ großes Tutorienprogramm bekommen, was zwar auf der einen Seite ein Erfolg ist, auf der anderen Seite steckt auch ein Stück Befriedungsstrategie dahinter. Die Aktiven haben sich dann darauf gestürzt, haben Anträge formuliert und zum Teil auch Stellen bekommen. Viele Leute gehen darin völlig auf und sind für Hochschulpolitik nicht mehr zu haben. Trotzdem finde ich es einen Erfolg, weil eine Menge Ideen und Inhalte des Streiks über die Projekttutorien jetzt realisiert werden können wie beispielsweise Genforschung oder „Bedrohte Welt“, wo es um unterschiedliche Aspekte von Ökologie geht.

Malte: Unser Innovationstutorien-Programm, das es ja schon lange gab, wird jetzt aufgestockt. Die entscheidende Frage aber ist dabei, was davon Spielwiese bleibt, und was tatsächlich in die zentrale TU-Planung übernommen wird, ob die Projekttutorien scheinrelevant sind. Solange das eine Art Neigungsgruppe ist, ist das zwar ganz nett, wird aber nie eine größere Gruppe der Studierenden erreichen, weil die in ihren zentralen Fächern so eingespannt sind, daß sie dafür keinen Raum haben.

Ingo: Bei uns ist sowas wie Innovationstutorien unter den bestehenden Prüfungsordnungen mit 30 Wochenstunden und zusätzlichen Übungen, ohne die man keine Scheine kriegt, gar nicht machbar.

Ist der Streik des letzten Semesters unter den StudentInnen denn überhaupt noch ein Thema oder ist er schon ganz weg?

Renate: Na, hauptsächlich gehts in Richtung Nostalgie. Man erinnert sich gerne, hat gemeinsame Anekdötchen zu erzählen. Insgesamt haben die meisten positive Erinnerungen an den Streik. Anfang Juni gab es einen Tag der „Befreiten Universität“, bei dem eine ganze Menge Themen des Streiks aufgegriffen wurden und zum ersten Mal die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes als zukünftiges Thema besprochen wurde.

Malte: An fast allen Fachbereichen arbeiten Gruppen zu Studienreformmaßnahmen, die natürlich viel kleiner sind als während des Streiks und deshalb ein bißchen das Gefühl haben, mit dem Rücken zur Wand zu kämpfen und die einzigen an der Uni zu sein. Es gibt aber jetzt mehr Leute als vor dem Streik.

Wie beurteilt ihr denn die rot-grüne Wissenschaftspolitik?

Renate: Als erstes war Frau Riedmüller nicht die Wunschkandidatin der StudentInnen. Gerade an der FU haben wir mit ihr als Vizepräsidentin die Erfahrung gemacht, daß sie während des Streiks von Fachbereich zu Fachbereich gelaufen ist und Befriedungsversuche gestartet hat.

Ingo: Ich bin der Meinung, daß es entscheidender wäre, wenn der rot-grüne Senat statt der Abschaffung der Akademie der Wissenschaften sich stärker für die Viertelparität einsetzen würde.

Renate: Wo sich mittelfristig an der Hochschule auf jeden Fall was ändern wird, ist die Frauenförderung. Bei der Geldzuweisung ist ja ein sehr klar definierter Teil dafür vorgesehen. In diesem Bereich ist von rot-grün wohl mehr zu erwarten als in anderen.

Malte: Ich glaube, man sollte auf den rot-grünen Senat keine großen Hoffnungen setzen, denn mit den bestehenden Machtstrukturen will er sich offensichtlich nicht anlegen. Zwar gibt es jetzt Situationen, wo wir denken, daß einige Leute in diesem Senat unsere Vorschläge auch ganz okay finden. Wir als Studis müssen aber aufpassen, daß wir mit unserem Gewicht nicht gegenüber dem Senat das Geschäft der Profs erledigen.

Ingo: Letztendlich wird alles wieder auf dem Rücken der StudentInnen ausgetragen.

Interview: Thomas Lecher

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