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„Sicheres Fundament für freundschaftliche Beziehungen“

Geheime Zusatzprotokolle zum Hitler-Stalin-Pakt regelten die Aufteilung der Machtsphären  ■ D O K U M E N T A T I O N

Vor bald 50 Jahren, am 23. August 1939, schlossen die beiden Diktatoren Hitler und Stalin einen sogenannten Nichtangriffsvertrag, in dessen Geheimem Zusatzprotokoll sie Ostmitteleuropa unter sich aufteilten. Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1.September 1939 marschierte „protokollgemäß“ die Rote Armee ins damalige Ostpolen ein; ein neuerlicher Pakt zwischen der Sowjetunion und Nazi -Deutschland besiegelte am 28. September 1939 die neuen Grenzen und die Freundschaft zwischen beiden Diktaturen sowie in einem weiteren Geheimprotokoll die endgültige Aufteilung der Machtsphären, durch die u.a. alle drei bis dahin selbständigen baltischen Staaten an die Sowjetunion fielen.

Heute steht die Beurteilung des Pakts besonders durch die Sowjetunion und die BRD angesichts des 50. Jahrestags des Pakts im Zentrum der Fragen nach der künftigen Entwicklung der Sowjetunion, da die baltischen Republiken mit ihren Forderungen nach Annulierung der damaligen Abkommen und nach Wiederherstellung ihrer Souveränität eine Vorreiterrolle für die Nationalitätenfrage in der Sowjetunion spielen.

Von dem sogenannten Hitler-Stalin-Pakt des Jahres 1939 und seinen geheimen Zusatzprotokollen sind bislang nur Kopien, nicht aber die Originale gefunden worden. Die Zeitschrift 'Osteuropa‘ hat in ihrer Maiausgabe Archivmaterial des Auswärtigen Amtes in Bonn im Faksimile veröffentlicht, vermerkt aber, daß nur der Wortlaut der zwei Vertragswerke und der gemeinsamen Kommuniques unumstritten sei.

(...) Geheimes Zusatzprotokoll

Aus Anlaß der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessenssphären in Osteuropa erörtert.

Diese Aussprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:

1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten (Finnland, Etsland, Lettland, Litauen) gehörenden Gebieten bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessenssphären Deutschlands und der UdSSR. Hierbei wird das Interesse Litauens am Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.

2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessenssphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt.

Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung erklärt werden.

In jedem Fall werden beide Regierungen diese Fragen im Wege einer freundschaftlichen Verständigung lösen. (...)

4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden. Moskau, den 23.August 193

Deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag

Die deutsche Reichsregierung und die Regierung der UdSSR betrachten es nach dem Auseinanderfallen des bisherigen polnischen Staates ausschließlich als ihre Aufgabe, in diesen Gebieten die Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und den dort lebenden Völkerschaften ein ihrer völkischen Eigenart entsprechendes friedliches Dasein zu sichern. Zu diesem Zwecke haben sie sich über folgendes geeinigt:

Artikel I

Die deutsche Reichsregierung und die Regierung der UdSSR legen als Grenze der beiderseitigen Reichsinteressen im Gebiete des bisherigen polnischen Staates die Linie fest, die in der anliegenden Karte eingezeichnet ist und in einem ergänzenden Protokoll näher beschrieben werden soll.

Artikel II

Beide Teile erkennen die in Artikel I festgelegte Grenze der beiderseitigen Reichsinteressen als ungültig an und werden jegliche Einmischung dritter Mächte in diese Regelung ablehnen.

Artikel III

Die erforderliche staatliche Neuregelung übernimmt in den Gebieten westlich der in Artikel I angegebenen Linie die deutsche Reichsregierung, in den Gebieten östlich dieser Linie die Regierung der UdSSR.

Artikel IV

Die deutsche Reichsregierung und die Regierung der UdSSR betrachten die vorstehende Regelung als ein sicheres Fundament für eine fortschreitende Entwicklung der freundschaflichen Beziehungen zwischen ihren Völkern. (...) Moskau, den 28. September 193

Geheimes Zusatzprotokoll

Die unterzeichneten Bevollmächtigten stellen das Einverständnis der Deutschen Reichsregierung und der Regierung der UdSSR über folgendes fest:

Das am 23. August 1939 unterzeichnete geheime Zusatzprotokoll wird in seiner Ziffer 1 dahin geändert, daß das Gebiet des litauischen Staates in die Interessenssphäre der UdSSR fällt, weil andererseits die Woywodschaft Lublin und Teile der Woywodschaft Warschau in die Interessenssphäre Deutschlands fallen. Sobald die Regierung der UdSSR auf litauischem Gebiet zur Wahrnehmung ihrer Interessen besondere Maßnahmen trifft, wird zum Zwecke einer natürlichen und einfachen Grenzziehung die gegenwärtige deutsch-litauische Grenze dahin rektifiziert, daß das litauische Gebiet, das südwestlich der in der anliegenden Karte eingezeichneten Linie an Deutschland fällt.

Ferner wird festgestellt, daß die in Geltung befindlichen wirtschaftlichen Abmachungen zwischen Deutschland und Litauen durch die vorstehend erwähnten Maßnahmen der Sowjetunion nicht beeinträchtigt werden sollen. Moskau, den 28. September 193

Geheimes Zusatzprotokoll

Die Unterzeichneten Bevollmächtigten haben bei Abschluß des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrages ihr Einverständnis über folgendes festgestellt:

Beide Teile werden auf ihren Gebieten keine polnische Agitation dulden, die auf die Gebiete des anderen Teils hinüberwirkt. Sie werden alle Ansätze zu einer solchen Agitation auf ihren Gebieten unterbinden und sich gegenseitig über die hier zweckmäßigen Maßnahmen unterrichten.

Moskau, den 28. September 193

Geheimes Protokoll

Der Deutsche Botschafter Graf von der Schulenburg, bevollmächtigt von der deutschen Reichsregierung, einerseits, und der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der UdSSR W. M. Molotow, bevollmächtigt von der Regierung der UdSSR, andererseits, haben nachstehendes vereinbart:

1. Die Deutsche Reichsregierung verzichtet auf ihren Anspruch auf den litauischen Gebietsteil, der in dem geheimen Zusatzprotokoll vom 28. September 1939 erwähnt wird und auf der diesem Protokoll beigefügten Karte bezeichnet ist;

2. die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist bereit, der deutschen Reichsregierung das in Punkt 1 dieses Protokolls erwähnte Gebiet zu kompensieren durch Zahlung von 7.500.000 Gold-Dollar 31 Millionen 500 Tausend Reichsmark an Deutschland.

Die Erstattung des Betrags von 31,5 Millionen Reichsmark erfolgt von seiten der Regierung der UdSSR in folgender Weise: ein Achtel und zwar 3.937.500 Reichsmark in Buntmetallieferungen innerhalb von drei Monaten nach Unterzeichnung dieses Protokolls, die restlichen sieben Achtel und zwar 27.562.500 Reichsmark in Gold durch einen Abzug von den deutschen Goldzahlungen, die die deutsche Seite gemäß dem in Verbindung mit dem „Abkommen vom 10. Januar 1941 über die beiderseitigen Lieferungen auf Grund des Wirtschaftsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken vom 11. Februar 1940 in dem zweiten Vertragsabschnitt“. (...) Moskau, den 10. Januar 194

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