: Überlebensgroß Herr Kiefer
■ Anselm Kiefer bei d'Offay und in den Riverside Studios, London
Ulf Erdmann Ziegler
Kiefer wird nie ein Reizwort sein wie „Beuys“. Im Gegenteil, der Beuys-Schüler Anselm Kiefer ist schon fast zur Konsensfigur geworden. Das ging auch nicht anders, denn einerseits ist er ja, vom Werk her, unzweifelhaft deutsch, und andererseits war sein Erfolg in Amerika, auch in England, so unabweisbar, daß es uns streitsüchtigen Deutschen nicht gut gestanden hätte, Kiefer nicht für unseren größten lebenden Künstler zu halten.
Es gibt auch Grund dazu. Kiefer hatte sich ein eigenes Sujet erarbeitet, das eine Weile lang als „Mythenmalerei“ bezeichnet wurde: in fett aufgetragenem Braun feierte er anonyme Landschaften, die er mit Titeln wie Sulamith oder Maikäfer, flieg (wortwörtlich) beschrieb. Der Maler aus dem Odenwald ist auf dem besten Weg, unantastbar zu werden, Identifikationsfigur spät geweckten deutschen Leids, ein Kulterer auf der Schwelle zur Posthistoire, ein Weltschmerzkonservator.
Dennoch, die deutschen Institutionen haben sich etwas schwergetan; das Gerücht ist noch frisch, daß die Berliner Nationalgalerie Kiefer nächstes Jahr mit einer Retro - wenn man das bei einem 44jährigen so nennen darf - ehren will. Diesen Sommer zeigt der Londoner Großgalerist d'Offay eine Kiefer-Show von Museumsformat. Mein Eindruck: Die Odenwald -Factory arbeitet zu schnell. Die Objekte haben, verglichen mit Kiefers Beitrag zur documenta 8, an Kraft verloren, und zwar erheblich.
Kernstück des d'Offay-Projekts ist eine Skulptur, die auf deutsch Zweistromland heißt und auf englisch The High Priestess. Es sind zwei doppelmannshohe Stahlregale, in denen Einmeter-Bücher abgelegt sind, deren Buchseiten aus Blei bestehen. Die Regale, sie sollen zusammen 28 Tonnen wiegen, sind leicht gewinkelt zueinander gestellt, und zwischen ihnen steht eine Panzerglasscheibe, die von Drähten umrankt wird, die die Regale miteinander verbinden.
Der Koloß steht im Auditorium der Riverside Studios, einem alternativen Kulturzentrum in der Nähe der Hammersmith Bridge, das spezialisiert ist auf Tanz, Performance, Kunst und Kinder. Im Gegensatz zum lebhaften Cafeteria-Betrieb im Eingangsbereich wirkt das Auditorium sakral. Rechts die Skulptur, die kaum Licht hat mit Ausnahme des spärlichen Neons, und die Scheinwerfer beleuchten statt dessen drei Gemälde an den übrigen drei Wänden. Auch die leere Mitte des Raumes, den schlendernd die Betrachter kreuzen, ist hell erleuchtet.
Zum Glück gibt es die Kunstgeschichtler und die Kritiker, die für uns die Lexika gewälzt haben. So erfahren wir, daß Blei das schwerste der Metalle ist, daß es giftig ist, wenn es schmilzt, aber vor nuklearer Strahlung schützt. Sie haben an den Regalen die handgemalten Schildchen „Euphrat“ und „Tigris“ entdeckt - und messerscharf auf Mesopotamien geschlossen, eine der ältesten, vergangenen Hochkulturen. Sie haben festgestellt, daß man die Bücher aus dem Regal, so ganz allein als Kritiker, nicht herausheben kann, weil sie zu schwer sind. Und daß es sich hier um ein großes Geheimnis handele.
Dies ist ein Interpretationsgebahren, das Kiefer auslöst: über die lexikalische Referenz zur allegorischen Deutung. Falsch liegt Armin Zweite, der das Buch zum „Zweistromland„ -Projekt mit einem Text begleitet hat, sicher nicht, wenn er sagt: „Seine (Kiefers) Intentionen scheinen (...) dahin zu gehen, die Vergangenheit zu verräumlichen und zugleich die Kategorien der Zeit auszuhöhlen.“
Was Kiefer phantastisch kultiviert hat, sind bedrückende und zugleich erregende Bilder perspektivischer Fluchten: das Pyramidenbild Iris und Osiris auf der documenta 8; hier, in den Riverside Studios, Lots Frau, Bahngleise, die, verfallend in den Kiefer-typischen Birkenstammkontrasten, sich im Horizont auflösen. Auch der Himmel ist, gelb-salzig, in Verwesung begriffen.
Kiefers Geheimnis ist, wie er seine gewaltigen Perspektiven so intim vorführt. Allerdings müssen sie monumental ausgeführt sein. Alle kleineren Bilder, die in den drei d'Offay-Galerien in der Innenstadt zu sehen sind, fallen dagegen erheblich ab. Hier benutzt Kiefer das knitternde Blei, wie die „Informellen“ der fünfziger Jahre die Farbe nutzten: Die Oberfläche, lustvoll geknetet, steht für sich.
Noch problematischer ist die Verwendung von großen, privaten Schwarzweißfotos in erbärmlichem Zustand, die in die Bilder eingeklebt werden. Sie sind in der Regel „solarisiert“, also silbrig-angegraut. Es besteht zu befürchten, daß Kiefer diese Fotos, die er vielleicht sehr liebt, in ihrer Wirkung völlig überschätzt.
Fotografien enthalten ja auch - angeblich - 70 der 200 Bleibücher. Einige der Seiten sind in dem Bildband Zweistromland (für die Bundesrepublik Deutschland: DuMont-Verlag) dokumentiert. Die eigentliche fotografische Leistung liegt in der Reproduktion der farblich recht nuancierten Bleibuch-Seiten, die verkleinert gedruckt das Fotomaterial mit dem Blei verschmelzen lassen.
Die Regalskulptur selbst ist ein profanes Rätsel. Als Objekt wirkt das Regal bieder, brav symmetrisch. Es läßt einen wirklich - nur leider auf unglückliche Weise erschauern, daß dies ein Monumentalkunstwerk aus einem mittelständischen Kunstbetrieb ist, das nun darauf wartet, Rekordpreise zu erzielen. Man ahnt, daß Kiefer dem Zwang erlegen ist, sich selbst zu monumentalisieren, sozusagen lagertechnisch unübersehbar zu machen. Wenn die „Perspektive“ fehlt, scheitert aber die Unternehmung. Der Künstler erstarrt zum Denkmal seiner Ambitionen: überlebensgroß Herr Kiefer.
Anselm Kiefer: Zweistromland. Bis 19.August, London
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