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Nichts entschärft

■ KPdSU veröffentlicht Grundlagenpapier zur nationalen Frage

Zwar handelt es sich bei dieser Plattform nur um eine Diskussionsvorlage. Sie wird im September Grundlage der Erörterungen des Sonderplenums des ZK der KPdSU; und wie alle vorläufigen Kompromißpapiere enthält auch sie viele Leerformeln. Aber sie setzt auch eindeutige Grenzen: Eine volle staatliche Souveränität, wie sie innerhalb vieler „nationaler Fronten“ der Einzelrepubliken gefordert wird, wird es nicht geben. Die KPdSU ist auch weiterhin eine einzige Partei, die Verfassungsaufsicht bleibt in Moskau, und dort werden auch die grundlegenden wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen. Es gibt nur eine Armee. Vor allem jedoch bleibt es bei einer Staatsbürgerschaft, der sowjetischen.

Daß damit die nationalen Bewegungen zu besänftigen sind, ist kaum zu erwarten. Sie erstreben größtmögliche Autonomie oder gar Unabhängigkeit. Der Widerstand hiergegen geht nicht nur vom russischen Nationalismus aus, sondern von den sonst wenig nationalistischen Arbeitsmigranten. Immer bildeten sich in Vielvölkerstaaten multikulturelle Gesellschaften heraus. Nationalstaaten aber gewährten ihren Minderheiten allenfalls abgezirkelte Rechte auf Widerruf. Daß sich nun die Minderheiten der Einzelrepubliken von den nationalen Autonomiestrebungen bedroht fühlen, ist verständlich und zum Teil auch realistisch. Für sie bedeuten der Vielvölkerstaat und die Rechtsgleichheit im Gesamtstaat einen Schutz vor Diskriminierung.

Die Wünsche und Hoffnungen der nationalen Mehrheiten und Minderheiten stehen sich damit kaum versöhnbar gegenüber. Daß die Organisationen der Minderheiten nun eher dem spezifisch sowjetischen Konservatismus zuneigen, ergibt sich aus der historischen Konstellation, die durch die Plattform nicht entschärft wird. Estland ist kaum zu zwingen, seine Wahlgesetze zurückzunehmen, denn auch ihre Annahme geschah unter dem Druck der Bevölkerung. Selbst in den moderaten baltischen Republiken stellen sich die Zeichen mehr und mehr auf Gewalt.

Erhard Stölting

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