: Panzerschmerzen und ein fettes Kalb
Inter Mailand-Juventus Turin 2:1 / Dank der Tore von Matthäus und Klinsmann bleibt Inter mit vorn ■ Aus Mailand Matti Lieske
35 Meistertitel haben sie zusammen auf dem Kerbholz, Juventus Turin, die „alte Dame“ des italienischen Fußballs, geachtet und beliebt in allen Teilen Italiens, und Inter Mailand, jene schwarz-blauen Toreverhinderer, die außerhalb der lombardischen Metropole kaum jemand leiden mag, und die selbst in ihrer Heimatstadt von der Hälfte der Bevölkerung abgrundtief gehaßt werden. Seit 80 Jahren nämlich wird Mailand von einem gewaltigen fußballerischen Schisma zerrissen, und für den richtigen AC-Milan-Fan ist eine Inter -Niederlage mindestens ebensoschön wie der Sieg des eigenen Teams.
In der letzten Saison hatten die AC-Tifosi - Europacup hin, Europacup her - wenig zu lachen, denn Inter holte sich überlegen seinen dreizehnten „Scudetto“, die dreizehnte Meisterschale. Neun mehr durfte Juventus bislang nach Turin tragen, die letzte 1985 in seligen Platini-Zeiten. Doch die ruhmreichen Tage hatten nach dem Abgang des genialen Franzosen erst mal ein Ende, das Team fristete ein bescheidenes Schattendasein auf niederen UEFA-Cup-Rängen. Das soll nun wieder anders werden. Fiat-Boß und Juventus -Eigner Agnelli setzt nicht nur automobilistisch, sondern neuerdings auch fußballerisch auf die Sowjetunion. Mit Perestroika im Mittelfeld will er der italienischen Liga zu Leibe rollen, und der Erfolg gibt ihm bislang recht. Seit das „Bärchen aus Kiew“ und das „Füchslein aus Minsk“, wie Alexander Zavarow und Sergej Aleinikow von der italienischen Presse liebevoll genannt werden, bei Juve die Fäden ziehen, geht es aufwärts.
Ganz anders der Meister: 0:2 in Genua, 0:1 im Europacup in Malmö, zwei Niederlagen in Folge, so etwas war Inter vor 17 Monaten zuletzt passiert. Da mochte Trainer Trapattoni noch so sehr beteuern, das von Krise keine Rede sein könne, die italienischen Zeitungen wußten es viel besser. Klinsmann treffe das Tor nicht mehr, und die anderen „Panzer“, wie deutsche Fußballer in Italien unvermeidlich genannt werden, Matthäus und Brehme, rissen auch keineswegs Bäume aus, kurz, mit den Worten eines Mailänder Barbesitzers: „Inter leidet unter Panzerschmerzen.“
Beste Voraussetzungen also für ein echtes Spitzenspiel im Meazza-Stadion. Gegen das norditalienische Derby mußte selbst die reumütige Rückkehr des „fetten Kalbes“ ('Gazetta dello Sport‘) Diego Maradona ins neapolitanische San Paolo -Stadion verblassen.
Vor dem Spiel durfte Aldo Serena seine Torjägertrophäe für die 22 Treffer der letzten Sasion entgegennehmen, was ihn sichtlich zu animieren schien. Innerhalb von fünf Minuten hatte er drei große Chancen, scheiterte aber jedesmal am reaktionsschnellen Tacconi. Unverdrossen stürmte Inter weiter, angestachelt vom agilen Matteoli. Den 70.000 Zuschauern konnte das nur recht sein, denn es entspann sich ein rasantes Match mit zahlreichen Torszenen. Besonders im Strafraum von Juventus ging es munter zu. Mandorlini köpfte knapp über das Tor, Bianchi schoß rechts vorbei, Klinsmann zwang Tacconi per Kopfball zu einer waghalsigen Parade und Bergomi produzierte aus hervorragender Position einen Befreiungsschlag in den Juventus-Fanblock.
Auf der anderen Seite inszenierte Zavarow gefährliche Spielzüge und der Sizilianer Schillaci lieferte den Beweis für eine Aussage Mandorlinis: „Juventus ist sehr schnell auf den letzten Metern.“ Zweimal scheiterte Schillaci freistehend an Inter-Keeper Walter Zenga. Nach einer halben Stunde schien das Spiel gerade an Dynamik zu verlieren, da kam Matthäus aus zwanzig Metern plötzlich frei zum Schuß, 1:0.
Und auch Klinsmann, der in der ersten Halbzeit, umgeben von hochkarätigen Ballkünstlern, technische Mängel nicht verbergen konnte und für einige tolpatschig wirkende Aktionen sogar verhaltenes Gelächter erntete, bekam sein Erfolgserlebnis. Kurz nach der Halbzeit harmonierte er ein einziges Mal mit Serena, eilte nach dessen Kopfballvorlage zwei Abwehrspielern davon, schob den Ball kaltblütig an Tacconi vorbei und erzielte damit bereits seinen dritten Saisontreffer.
Danach spielte Inter, als sei das Spiel schon gewonnen, kassierte zur Strafe in der 65. Minute den Anschlußtreffer durch Marocchi und benötigte viel Glück, um den knappen Sieg gegen eine ungestüm anrennende Juve-Elf über die Zeit zu bringen.
Kurz vor Schluß traf der beste Spieler auf dem Feld, Zavarow, nur das Außennetz, und dann waren die Panzerschmerzen endgültig vorbei. Nur die Nachrichten aus Neapel sorgten für Verdruß. Dort hatte das eingewechselte „fette Kalb“ beim Stande von 0:2 mit seiner ersten Ballberührung einen Elfmeter verschossen, dennoch gewann Neapel mit 3:2 und übernahm die alleinige Tabellenführung. Inter indes war der Beweis gelungen, daß in Italien nicht nur die Regierungskrisen, sondern auch die des Fußballs eindeutig schnellebiger sind als anderswo.
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