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Der Trick mit dem geilen Wolf

■ Der NDR zeigt Animationsfilme des Cartoonisten Tex Avery Mit schlauen Schweinen und heißen Rotkäppchen auf subversivem Kurs

Zeichentrickfilm, das ist doch nur etwas für Kinder, mal abgesehen von seltenen Ausnahmen wie Fritz the Cat oder dem jüngten Kinorenner Roger Rabbit. Das war jedoch nicht immer so. In den vierziger Jahren, der Blütezeit des Hollywood-Kinos hatte jede große Filmgesellschaft ihr eigenes Trickfilm-Studio. Neben den aufwendigen Spielfilmproduktionen entstanden jährlich Hunderte von beweglichen Comic strips für die Leinwand, die in den Kinos in guter alter Tradition als Kurzfilme vor dem Hauptprogramm liefen und vom (erwachsenen) Publikum mit Begeisterung gesehen wurden. Aber während die Namen der „richtigen“ Hollywood-Regisseure - Orson Welles, Howard Hawks, Frank Capra - oder damalige Filmstars wie Gary Cooper, Bette Davies, James Cagney oder Olivia de Haviland den meisten Zuschauern auch heute noch im Ohr klingen, sind die Trickfilmspezialisten weitgehend unbekannt. Bugs Bunny und Duffy Duck, die von ihnen geschaffenen Figuren, sind dem einen oder anderen vielleicht noch ein Begriff, Walt Disney mit seinen niedlichen Mäusen und Rehlein wohl auch, aber wer kennt schon Tex Avery?

„Avery, am 26. Februar 1908 in Texas geboren, begann seine Karriere 1928 bei dem Animationsfilmer Walter Lantz, der als Chefzeichner bei Universal verpflichtet war. Ihm war das Energiebündel Avery sofort aufgefallen und er nahm ihn unter seine Fittiche. Avery avancierte rasch vom Zeichner zum Regisseur. Als Leon Schlesinger, Produzent bei den Warner Brothers Studios, einen neuen Mann für seine Cartoonabteilung suchte, war Avery zur Stelle und erhielt den Job. Hier festigte sich sein Ruf als ideenreicher Gag -Zeichner und Regisseur. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Figur von Bugs Bunny beteiligt und schuf den Pinguin Chilly Willy. 1942 schließlich kam er zu MGM. Hier schuf er seine berühmtesten Figuren: George und Junior, den melancholischen Hund Droopy, das freche Eichhörnchen Screwy Squirrel und den gierigen Wolf der Red-Riding-Hood -Filme. 1955 verließ Avery MGM, ging noch einmal zu Universal und wandte sich dann verstärkt dem Fernsehen und der Werbung zu.“

Hinter der nüchternen Biographie aus dem NDR-Pressetext verbirgt sich einer der kreativsten und subversivsten Cartoonisten der großen amerikanischen Trickfilmära. Tex Avery widersetzte sich zeitlebens dem süßlichen Augenaufschlag der Disney-World. Sein vollbusiges Rotkäppchen hatte etwas mit dem Wolf in einem Club auf dem Sunset Boulevard, Egghead streckt mit der Flinte einen Zuschauer nieder, dessen Silhouette (sie wurde in den Trickfilm einmontiert) ihn stört. Avery spielt wie kein anderer mit dem Medium, er läßt seine Figuren aus dem Film flüchten oder baut als Gag ein Haar ein, das sich - wie Staub auf dem Objektiv - plötzlich ins Bild schiebt, was den Sänger auf der Leinwand völlig aus dem Konzept bringt. Und immer wieder greift er Hollywoods Filmbusineß direkt an.

Als Reaktion auf die prüden Zensurbestimmungen zensiert er in in einem Trickfilm (Cross Country, 1940) den Striptease einer Eidechsendame selbst: Während die posierliche Figur den Overall fallen läßt, erscheint ein schwarzer Balken mit der Aufschrift „censored“. Ein anderes Mal treten Karikaturen berühmter Hollywoodstars auf, die sich unglaublich blöd gebährden (Hollywood steps out, 1941).

Die zweifellos pikantesten Gags sind ihm in seinen Rotkäppchen-und-der-Wolf-Adaptionen gelungen. Sein Wolf treibt sich am Sunset-Boulevard rum, wo ihm Rotkäppchen im modischen new look begegnet. Sie stimmt ein schmeichlerisches „Hey, Daddy“ an, und der Wolf schmilzt dahin. Als der Wolf ihr zur Großmutter folgt, gerät er unversehens in die Fänge der nymphomanischen Alten. Am Schluß bringt er sich um (Red Hot Riding Hood, 1942). Auf Drängen der Zensurbehörden wurde der Film gekürzt. Ursprünglich mußte der Wolf die Großmutter nämlich heiraten. Dieser merkwürdigen Bindung entsprangen dann drei Wolfsbabies, die alle - wie schon ihr Vater - auf Rotkäppchen fliegen.

Die GIs, die während ihres Einsatzes im Zweiten Weltkrieg kräftig mit Unterhaltungsstoff versorgt wurden, waren auch von dieser gesäuberten Fassung noch begeistert. Um den Gestellungsbefehl hinauszuzögern, produzierten Avery und viele seiner Kollegen während des Krieges Schulungfilme für Army und Navy: Bertie The Bomber, personifizierte Flugzeuge, die den Soldaten beibringen sollten, wie man sie belädt und steuert. 1942 präsentiert er seinen wohl politischsten Wolf. Blitz Wolf tritt mit Hitler-Bärtchen zum Kampf gegen die drei kleinen Schweinchen an, an seinem Panzerwagen prangen als Emblem zwei Würsten in Hakenkreuzform. Gleich zu Anfang verrät ein Schild unmißverständlich: „Der Wolf, der in diesem Film auftritt, ist nicht fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit diesem Schurken Hitler ist gewollt.“

Anfang der 50er Jahre geht Hollywoods Trickfilmära zu Ende. Die Steigerung der Herstellungskosten zwingt die major companies zu Budgetkürzungen. Als einer der ersten Schritte werden die Trickfilmstudios ausgedünnt oder gleich ganz geschlossen. Tex Avery verdingt sich zeitweilig in der Werbung und macht dort Animationsfilme für Zahnpasta und Cornflakes. Es ist die Zeit, wo die einst unabhängigen Cartoon-Helden von Herstellerfirmen als Werbeträger eingekauft werden. Bei dieser Gelegenheit stößt Avery auch auf einen alten Bekannten der jetzt zu Werbezwecken ausgebeutet wird. Auf die Frage der Leute von der Agentur, ob er wohl Bugs Bunny zeichnen könne, erklärte er ihnen ganz beiläufig, daß er diese Figur erfunden hat.

Avery produziert noch einige Trickfilmserien fürs Fernsehen, wo er verschiedene seiner früheren Arbeitskollegen wiedertrifft. Doch es bleibt ein trauriger Abstieg. Im Vergleich zu den aufwendigen Animationen der MGM -Studios in den 40ern sind die modernen Trickfilme flach und zahm. 1980 stirbt Avery 72jährig an Krebs.

Dank der Idee des Norddeutschen Rundfunks darf er mitsamt der guten alten Kinotradition noch einmal aufleben. Jeweils donnerstags um 21 Uhr zeigt der Sender in der Nordkette (N 3) vor dem Spielfilm einen klassischen Trickfilm. Avery, dessen Arbeiten den Auftakt der Reihe bilden, ist mit seinem verrückten Bärenpaar George und Junior, heute übrigens als brandheiße Typen (Red Hot Rangers, 1947), dabei. Nächste Woche ist Droopy, der schlappe und trotzdem erfolgreiche Hund mit seinen Gags an der Reihe (Dumb Hounded, 1943). Natürlich kommt auch einer seiner Wölfe zum Zuge (The hungry Wolf, am 14.10.). Eine Werkschau kann man diese neun Filme von Tex Avery dennoch kaum nennen, denn seine wichtigsten Arbeiten, wie die Red-Hot-Riding-Hood-Filme oder der Naziwolf sind nicht darunter. Aber immerhin, es ist ein lobenswerter Anfang, dem noch Beispiele von anderen amerikanischen Trickfilmern, Hugh Herman, Rudolf Ising, Bill Hanna und Joe Babera, die zum Teil mit Avery zusammengearbeitet haben, folgen werden.

Ute Thon

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