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„Den alten Antiimperialismus gegen IWF aufgeben“

Markt und Weltmarkt: Ist ein Umdenken der Linken erforderlich? / Positive Beispiele auch für Strukturanpassungsmaßnahmen / Ist Einmischung grundsätzlich abzulehnen? / Schlechte Erfahrungen mit staatssozialistischen Modellen müssen stärker berücksichtigt werden / Demokratisierung von Weltbank und IWF unverzichtbar  ■  Von Roger Peltzer

Ein Jahr ist es her, daß die Aktionen und Gegenveranstaltungen anläßlich der Berliner Tagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank national und international Schlagzeilen machten. Angesichts der gelungenen Mobilisierung für einen Schuldenerlaß sahen viele eine neue Kraft, die auf der Basis eines „neuen“ Internationalismus den sozialen Bewegungen Power und Auftrieb geben würde.

Ein Jahr danach fällt die Bilanz wesentlich nüchterner aus. Von einer neuen sozialen Bewegung ist wenig zu sehen. Das Bündnis von Berlin zeigte sich auch nicht ansatzweise in der Lage, in die aktuellen Auseinandersetzungen um einen Schuldenerlaß (Brady-Plan, Mexiko-Regelung) zu intervenieren. Dies ist ein bemerkenswerter Unterschied zu der Friedensbewegung, deren Nachwirkungen in der heutigen Abrüstungsdiskussion noch immer zu spüren sind.

Die Gründe für die geringe „Nachhaltigkeit“ der Aktionen von Berlin können vordergründig in den Gesetzmäßigkeiten der Mediengesellschaft gesucht werden, die „Gegen„ -Veranstaltungen nun mal mit mehr Publizität belohnt als andere Formen des politischen Handelns.

Wesentlicher erscheint mir, daß anläßlich der Berliner Tagung von IWF und Weltbank unter dem Schlagwort eines „neuen Internationalismus“ Kernaussagen und Erklärungsmuster eines überkommenen Antiimperialismus reaktiviert wurden, der in der Ersten, Zweiten und Dritten Welt zunehmend in Frage gestellt wird. Versäumt wurde dabei, die neuere Politik der beiden Washingtoner Finanz-Institutionen vor dem Hintergrund eines weltweiten Umdenkens in Kernfragen wie der Rolle von Markt und Weltmarkt zu analysieren und zu kritisieren.

An dieser Stelle soll daher versucht werden, im Rahmen einer differenzierten Analyse eines Teilbereichs der IWF und Weltbankpolitik, der sogenannten Strukturanpassungsprogramme (SAP), Ansatzpunkte für eine politische Intervention der Dritte-Welt-Bewegung aufzuzeigen. Dabei sollen die Erfahrungen gescheiterter „alternativer“ (staatssozialistischer) Entwicklung einbezogen werden.

„Gute Projekte

im widrigen Rahmen“

Die von IWF und Weltbank vor zehn Jahren erstmals in der Türkei praktizierten SAP-Programme basieren auf der Erfahrung, daß auch gute Projekte angesichts widriger Rahmenbedingungen Mißerfolge werden müssen. Von daher wurde empfohlen, projekt-ungebundene Darlehen unter wirtschaftspolitischen Auflagen zu vergeben. Diese typischen Auflagen beinhalten in der Regel die Abwertung der nationalen Währung sowie die Kürzung staatlicher Subventionen, die Freigabe von Preisen und Zinsen, die Privatisierung von Staatsunternehmen.

Die linke Kritik an den SAP-Programmen konzentriert sich auf deren ausgesprochene Liberalisierungskomponente (mehr Markt, weniger Staat); die angestrebte Verbesserung der Weltmarktintegration des geförderten Landes; die sozialen Folgen von massiver Einspartungen im Staatshaushalt; die mit der Einführung einer rigiden Wirtschaftspolitik angeblich verbundene Notwendigkeit autoritärer Herrschaftsausübung; die Tatsache, daß die Programme abhängigen Ländern de facto von Organisationen aufgezwungen werden, die von den westlichen Industriestaaten beherrscht werden.

„Nur zum Teil

externe Ursachen“

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Programmen von IWF und Weltbank sowie der Kritik daran muß davon ausgehen, daß die immensen Probleme vieler Entwicklungsländer sinkendes Pro-Kopf-Einkommen, verbreitetes Massenelend, Hyperinflation, Korruption - nur zum Teil Resultat externer Faktoren sind. Zu einem wesentlichen Teil sind diese Probleme hausgemacht. Die Verantwortung trifft dabei nicht nur gesteuerte und korrupte Eliten, sondern auch Befreiungsbewegungen an der Macht, etwa in Mosambik, Tansania oder auch Nicaragua. Die SAP-Politik von IWF und Weltbank zielt zunächst darauf, diese hausgemachten „Entwicklungshemmnisse“ zu beseitigen.

Die vorgeschlagene Politik der Deregulierung und Privatisierung basiert auch auf den sehr schlechten Erfahrungen, die in vielen Ländern mit einer dirigistischen Wirtschaftspolitik gemacht wurden, mit gespaltenen Zinsen und Wechselkursen, Preisregulierung und einem stärkeren öffentlichen Sektor. Proklamiertes Ziel dieser dirigistischen Wirtschaftspolitik war es meist, eine effizientere und sozial gerechtere Verwendung knapper Produktionsmittel zu erreichen, als dies mit marktgesteuerter Investition und Konsumtion möglich ist.

In der Realität führte diese Politik allerdings häufig zu gigantischen Haushaltsdefiziten und Inflationsraten, Preisverzerrungen, Spekulation und Korruption sowie vielfach zu desolaten Staatsbetrieben. Anstatt die Produktion und damit die materielle Basis für die Sozialpolitik zu fördern, ergeben diese dirigistischen Maßnahmen vielfache Anreize, schlicht weniger zu produzieren. In dieser Situation kann die Durchsetzung von mehr Markt ein geeignetes Mittel sein, Entwicklungshemmnisse zu beseitigen und nicht nur die Gewinne, sondern auch Produktion und Beschäftigung zu steigern.

Dies festzustellen heißt nicht, in Marktmechanismen Allheilmittel zu sehen. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß funktionierende Märkte Rahmenbedingungen benötigen, die nur von starken staatlichen Administrationen geschaffen werden können. Die Herstellung eines geeigneten Mischungsverhältnisses von Markt und Staat bleibt eine schwierige und im jeweiligen Einzelfall zu diskutierende und zu lösende Frage. Angesichts der Realität in vielen Entwicklungsländern hat das Plädoyer für „mehr Markt“ allerdings viele gute Argumente auf seiner Seite.

Die SAP-Politik zielt ebenfalls auf eine rationalere Integration des betroffenen Landes in den Weltmarkt (durch die Abwertung der nationalen Währung, wodurch die eigenen Produkte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger werden, oder durch andere Exportförderungsmaßnahmen). Verkürzt heißt dies, daß Konsumenten und Investoren dazu gebracht werden sollen, ihre Entscheidungen auf der Basis von Weltmarktpreisen zu treffen.

Abwertung gegen Mittelschicht-Konsum

Auch wenn die Empfehlung an die Entwicklungsländer, sich aus dem Weltmarkt abzukoppeln, heute unter Dritte-Welt-Bewegten kaum noch ernsthaft verfochten wird, wird der Ansatz der rationaleren Weltmarktintegration gleichwohl heftig kritisiert. Die angeblich vorrangige Orientierung auf die Steigerung landwirtschaftlicher Exporte für ohnehin übersättigte Märkte sei fatal. Diese Kritik trifft aber nur begrenzt zu. Die mit einer Abwertung verbundene Einführung realistischerer Wechselkurse zielt eben nicht nur und oft nicht einmal in erster Linie auf Exportförderung, sondern insbesondere auch auf eine Rationalisierung und Begrenzung der Importe, eine Politik, die insbesondere den am Standard der Metropolen orientierten Kosum der Mittelschichten trifft.

Daneben meint Exportförderung zumindest bei den Schwellenländern die Förderung der Ausfuhr von nichttraditionellen Gütern und Fertigwaren, ein Bereich, in dem nicht nur lateinamerikanische Länder in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht haben. Auch ein Land wie Nigeria, in dem immerhin ein Viertel der Bevölkerung Schwarzafrikas lebt, beginnt nach vollzogener Strukturanpassung zunehmend, den traditionellen französischen Lieferanten von Industrieprodukten in Westafrika Konkurrenz zu machen.

Insgesamt ist festzustellen, daß eine Entwicklungspolitik, die eine Stärkung der „Problemlösungsfähigkeit“ der Entwicklungsländer zum Ziel hat, nicht daran vorbei kommt, sich über eine Stärkung der Exportkraft Gedanken zu machen. Dabei bleiben das relative Gewicht der Exportförderung in der jeweiligen nationalen Politik und deren ökologische Auswirkungen von Fall zu Fall kritisch zu diskutierende Punkte.

Ein weiteres Kernelement zur Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit der Staatsapparate ist die Kürzung der Haushaltsdefizite, die unter anderem durch eine Kürzung von Subventionen erreicht werden soll. Diese Kürzungen führen in den meisten Fällen - wie es mittlerweile auch in Weltbank -Studien faktenreich dokumentiert worden ist - zu einer Verschlechterung der ohnehin prekären Lebensverhältnisse der städtischen Armen. Die Landbevölkerung profitiert dagegen in aller Regel aufgrund der vorgeschlagenen Abwertung und der Preiserhöhung für landwirtschaftliche Güter von den SAP -Politiken.

Wenn man das Überleben der Armen sichern will und trotzdem an der Notwendigkeit von Einsparungen in den öffentlichen Haushalten festhält (wozu es vielfach keine Alternative gibt), wird man sich mit der Weltbank Gedanken darüber machen müssen, wie reduzierte Subventionen gezielter zugunsten der Bedürftigsten eingesetzt werden können. Dem entwicklungspolitisch Engagierten ist aus der Diskussion um die Nahrungsmittelhilfe bekannt, daß diese zu 80 Prozent nicht den Ärmsten der Armen, sondern relativ Privilegierten zugute kommt. Ähnliches gilt für die immer noch in vielen Ländern verbreiteten Benzinpreissubventionen. Die Weltbank schlägt z.B. vor, die staatliche Subventionierung der Universitäten radikal zu kürzen und statt dessen mehr Geld in das Primärschulwesen zu investieren, eine Logik, der man sich unter dem Gesichtspunkt der Armutsorientierung nur mit populistischer Demagogie entziehen kann.

Entdemokratisierung

durch IWF und Weltbank?

Auch für viele linke Politiker in der Dritten Welt ist heue offensichtlich, daß die Verfolgung einer populistischen, linkskeynesianischen Politik (a la Mitterrand Anfang der achtziger Jahre oder jetzt a la Garcia in Peru) bestenfalls zu einer zweijährigen Scheinblüte führt. Auch für sie wird es deshalb zu einer immer wichtigeren Frage, wie eine Politik zur Förderung von Produktion und Produktivität mit Maßnahmen zur Unterstützung der Armen gekoppelt werden kann.

Gegen die von IWF und Weltbank zur Auflage gemachten Politik wird auch vorgebracht, daß diese nur von autoritären Regimen durchzusetzen sei. Für diese These spricht das Beispiel Türkei, wo die Konzipierung und Einleitung des ersten SAP-Programmes, das ökonomisch teilweise erforderlich war, mit dem Militärputsch einherging.

Es gibt aber auch Beispiele, bei denen die Durchführung von SAP-Programmen mehr Demokratie mit sich brachte. So ging in Nigeria dem Übergang zur SAP-Politik eine öffentliche Debatte voraus, die gleichzeitig den Spielraum der traditionellen kritischen Presse erweitert. In dem Maße, wie eine SAP-Politik von Reformkoalitionen unter Einschluß von Volksorganisationen getragen wird - dies zeigt sich zur Zeit auch in Nicaragua -, ist eine Entdemokratisierung nicht zwangsläufig.

Es bleibt das Argument der quasi-neokolonialen Einmischung durch die internationalen Finanzierungsinstitutionen. Dieses Argument hat zwei Ebenen. Zum einen zielt es auf die undemokratische Zusammensetzung der Entscheidungsgremien von IWF und Weltbank, in denen die westlichen Industrieländer dominant sind. Daneben ist die schwierige Frage angesprochen, inwieweit eine Intervention von außen überhaupt legitim ist.

Nun gibt es eine Reihe von Bereichen, in denen eine Einmischung zu Lasten der nationalen Souveränität oder auch der Autonomie der Projektpartner weiterhin akzeptiert wird. Dies gilt für die Menschenrechte, aber z.B. auch für Projektkriterien von Nichtregierungsorganisationen. Auch für andere Bereiche, z.B. staatliche Entscheidungen über Projekte mit drastischen ökologischen Konsequenzen, wird zunehmend die Einschaltung multinationaler Institutionen und die Einschränkung nationaler Souveränität gefordert.

Das Problem ist also nicht, ob Interventionen von IWF und Weltbank grundsätzlich legitim sein können, sondern wie diese Entscheidungen zustande kommen (in dem Fall eben nicht nach dem UN-Prinzip: ein Land - eine Stimme), und ob Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen in die Verantwortung genommen werden können.

„Erfolgsbedingungen

für SAP-Programme“

Für eine umfassende Bewertung der hier diskutierten Kernelemente der SAP-Programme muß einschränkend darauf hingewiesen werden, daß deren Umsetzung nur eine Voraussetzung für den Erfolg ist. Weitere notwendige Erfolgsvoraussetzungen sind günstige externe Rahmenbedingungen z.B. durch massive Zuflüsse von Entwicklungshilfe (Beispiel Ghana) oder ein Schuldenerlaß sowie die politische Dominanz von Reformkoalitionen im jeweiligen Land. Eine rein technokratische Übertragung der SAP-Programme - diese Erfahrung machen IWF und Weltbank zur Zeit in einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten - muß scheitern.

Vor diesem Hintergrund lassen sich die Aufgaben für eine politische Intervention hinsichtlich der SAP-Programme klar benennen: Zunächst ist auf der Notwendigkeit von entsprechenden Anpassungsmaßnahmen der Industrieländer, und hier insbesondere der „Überschuß„-Länder wie der Bundesrepublik, zu insistieren. Dies beinhaltet insbesondere einen Schuldenerlaß, den Abbau von Handelsüberschüssen durch Einschränkung des Protektionismus (insbesondere hinsichtlich des Binnenmarkt-Europas), die Abschaffung der Lieferbindung bei bilateralen Entwicklungskrediten und die Stabilisierung der Exporterlöse durch dasStabex-System, das Preisschwankungen ausgleicht.

Es ist zum zweiten nicht akzeptabel, wenn die Anpassungslasten ausschließlich von den Armen und Mittelschichten zu tragen sind. Sparpolitik muß auch die Kürzung von Militärausgaben, die Verminderung der Korruption, die Einstellung von Prestigeprojekten, die Einschränkung von Luxuskonsum und dergleichen mehr beinhalten. Maßnahmen, die in erster Linie die Bessergestellten treffen, wie eine Erhöhung des Steueraufkommens, progressive Sozialabgaben und Bodenreformen sind in die SAP-Programme aufzunehmen. In der Realität geht die Durchführung einer SAP-Politik oftmals mit der Restauration von ökonomischer und politischer Macht in Händen der traditionellen Oligarchien einher - so zur Zeit in El Salvador. Nicht zuletzt wird eine linke Politik nachhaltig die Demokratisierung von IWF und Weltbank einfordern müssen.

Ein Politikansatz, der das Schwergewicht auf präzise Reformforderungen legt, anstatt auf der abstrakten Notwendigkeit einer radikalen (wenig konkreten) Alternative zum gegenwärtigen Weltwirtschaftssystem zu beharren, hat den Vorteil, konkrete politische Interventionsmöglichkeiten zugunsten der Armen in der Dritten Welt aufzeigen zu können. Der „radikale“ Antiimperialismus läuft demgegenüber heute zunehmend Gefahr, zwischen den beiden Alternativen „Entlarvung“ und Rückzug aus der Politik leerzulaufen und damit erst recht zu einer Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse beizutragen.

Eine umfangreiche Diskussion über die Strukturanpassungspolitik mit Beiträgen von Thomas Fues, Roger Peltzer, Thomas Siebold und Peter Wolff wurde in den 'epd-Materialien‘ II/89 des Evangelischen Pressedienstes, Friedrichstraße 2, 6000 Frankfurt 1, veröffentlicht.

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