: „Ich bin Anfang August informiert worden“
Die von der AL nominierte Berliner Umweltsenatorin Michaele Schreyer über das verseuchte Schering-Gelände ■ I N T E R V I E W
taz: Frau Schreyer, wie beurteilen Sie das Ausmaß der Grundwasserverseuchung beim Schering-Konzern?
Michaele Schreyer: Nach unseren Informationen handelt es sich um sehr beträchtliche Kontaminationen.
Wenn Sie von einem solch gravierenden Fall ausgehen, warum mußten die Bürger dieser Stadt aus der 'Wirtschaftswoche‘ von dem Skandal erfahren und wurden nicht von ihrer Umweltsenatorin früher informiert?
Die Kontaminationen wurden 1986 entdeckt. Die Auflagen, die Schering damals gemacht wurden, waren nach unseren Erkenntnissen aber völlig unzureichend. Wir haben den Konzern Anfang September aufgefordert, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen und die Fakten offenzulegen.
Eine sehr kulante Behandlung für einen Chemiekonzern, der eine derartige Verseuchung verursacht hat.
Es geht uns um Aktivitäten zugunsten der Umwelt. Es geht uns nicht darum, Skandale in die Schlagzeilen zu bringen, und dann geschieht nichts weiter.
Wie ist es denn möglich, daß dieser ganze Schlamassel dreieinhalb Jahre lang mehr oder weniger unter der Decke bleiben konnte?
Es fanden Gespräche über die Behebung der Kontaminationen statt, es wurden verschiedene Gutachten verfaßt, und Schering hat einzelne Maßnahmen ergriffen. Insofern gab es keine vollkommene Untätigkeit. Aber klar ist, daß von allen Seiten zuwenig unternommen worden ist.
Wann haben Sie von der Verseuchung bei Schering erfahren?
Ich bin Anfang August informiert worden.
Das war vor sechs Wochen. Und dann blieb der Skandal noch mal solange unter der Decke?
Wir haben zunächst Schering aufgefordert, uns ein Sanierungskonzept vorzulegen und uns zu sagen, welche Maßnahmen sie ergreifen wollen.
Von einem rot-grünen Senat erwartet die Bevölkerung ein besonders konsequentes und hartes Durchgreifen. Was wollen Sie konkret gegen Schering unternehmen?
Es muß jetzt geprüft werden, welche Sanierungsmaßnahmen gegen die Grundwasserkontamination getroffen werden können. Es müssen die Schadensquellen aufgespürt, und es muß verhindert werden, daß weitere Kontaminationen stattfinden. Dabei steht die Untersuchung des Kanalnetzes im Weddinger Werk von Schering im Mittelpunkt.
Wird dieses Kanalnetz ausgetauscht und neu verlegt?
Wir glauben, daß es sinnvoll und notwendig ist, dieses Kanalnetz oberirdisch zu verlegen. Eine chemische Anlage, die ständig mit grundwassergefährdenden Stoffen operiert, macht eine schnelle Kontrollierbarkeit und Reparierbarkeit des Kanalnetzes notwendig.
Schering behauptet, es handle sich bei den Giften überwiegend um Altlasten. Kann man wirklich ausschließen, daß durch die jetzige aktuelle Produktion bei dem Chemiekonzern Wasser und Boden weiter verseucht werden?
Es spricht vieles dafür, daß es sich nicht um historische Altlasten handelt. Die Stoffe, die gefunden wurden, sind in den früheren Jahren, auf die Schering verweist, noch gar nicht benutzt worden, und sie sind Input-Stoffe der Produktion.
Das heißt, es handelt sich auch um Rückstände aus der heutigen Produktion?
Das ist zu vermuten.
Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, ob Schering dann einfach weiterproduzieren darf, als ob nichts geschehen wäre, oder ob die Produktion einzuschränken ist?
Nach unseren Erkenntnissen ist das nicht erforderlich. Im Sinne des Vorsorgeprinzips muß aber auch die Verhinderung von weiteren Eintragungen Leitlinie der Sanierung sein.
Wie beurteilen Sie das Gefährdungspotential für die umliegende Bevölkerung?
Das Gelände von Schering ist kein Trinkwasser -Einzugsgebiet. Die Frage ist allerdings, ob durch das betroffene Gebiet Grundwasserströme fließen, die dann im Trinkwasser-Einzugsgebiet Gefährdungen darstellen können.
Noch mal nachgefragt: Können Sie eine Gefährdung der umliegenden Bevölkerung ausschließen?
Uns liegen keine Informationen vor, die eine aktuelle Gefährdung anzeigen.
Der AL-Abgeordnete Köppl hat am Wochenende in Sachen Schering von einem „Testfall für Rot-Grün“ gesprochen. Jetzt müsse sich zeigen, wie der neue Senat gegen einen Chemiekonzern vorgeht. Ist das ein Testfall?
Es geht nicht um einen Testfall für Rot-Grün, sondern um einen Testfall für den Umweltschutz. Und damit meinen wir es ernst.
Interview: Manfred Kriener
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