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Eine Ahnung von Fernsehen

■ Ein Gespräch mit Kraft Wetzel, dem designierten Leiter des „Internationalen Fernseh-Festivals Frankfurt am Main“

Der Magistrat der

Stadt Frankfurt hat beschlossen, ab November 1990 ein Internationales Fernseh-Festival einzurichten. Wie wollt ihr einem großen Publikum Fernsehfilme präsentieren? Auf großen Leinwänden wie bei Filmfestivals oder auf Hunderten von Monitoren?

Kraft Wetzel: Manche meinen, Fernsehen dürfe man nur auf Bildschirmen zeigen, denn dafür seien die meisten Programme gemacht. Ich bin da weniger puristisch; die bereits existierenden internationalen Fernsehfestivals sind es auch nicht. In Montreux beispielsweise wird die große Halle unterteilt in zehn oder fünfzehn Segmente mit je einem Fernseher und davor vielleicht 30 Sitzplätzen. Da rotten sich hier die Briten zusammen und dort die Italiener, und da haben die Deutschen ihre Ecke; so sehen dann 400 bis 500 Leute denselben Film. Bei der INPUT - dem Treffpunkt der Progressiven im Öffentlich-rechtlichen System, und deshalb dem, was wir machen wollen, am nächsten -, werden die Filme per Video-Großprojektion gezeigt: eine Annäherung an das Kino-Erlebnis. In Frankfurt werden wir beides machen: in den großen Sälen Großprojektionen auf technisch höchstmöglichem Niveau und in den kleineren Räumen Bildschirme.

Was werdet ihr auf dem Festival präsentieren?

Das Feinste. Beim Fernsehen ist es doch nicht anders als beim Kino: 95 % ist Mist. Wir halten uns an die restlichen 5 %, in der Hoffnung, daß aus den 5 % vielleicht 6 % werden.

Wir wollen die kreativsten Fernsehmacher aufspüren und unterstützen, wie ja auch die internationalen Film-Festivals dazu beigetragen haben, daß Regisseure wie Tarkowsky oder Angelopoulos überhaupt überleben können. Die existierten und existieren doch vor allem vom Ruhm, den sie auf Festivals ernten und der sich umsetzt in Coproduktions-Beiträge von verschiedenen Fernsehanstalten.

Es wäre schön, wenn man bei Filmfestivals tatsächlich nur gute Filme zu sehen bekäme. Auch da sind doch 95 % Mist. Also wer wählt aus? Wie soll in Frankfurt verhindert werden, daß Parteienproporz und Klüngelei, wie man es kürzlich wieder von Venedig gehört hat, die Auswahl mitbestimmen?

Genau diesen schlechten Erfahrungen wollen wir entgegensteuern. Verantwortlich für die Auswahl bin ich. Wenn ich etwas nicht will, kommt es nicht ins Programm. Natürlich kann ich nicht alles selbst sehen, aber es gibt eine ganze Mannschaft von Leuten, die ich gut genug kenne, die mir ideologisch, politsch, ästhetisch so nahe stehen, daß ich weiß, die lassen genau so wenig Scheiß durch wie ich. Aber ich bin die letzte Instanz. Das Grundprinzip bei der Auswahl ist: Wir gehen hinaus in die Welt und suchen die Filme. Man kann uns durchaus etwas einschicken, wir gucken es uns auch an, aber in erster Linie suchen wir die Filme aus.

Wir stehen gerade dafür. Wer bei uns Filme auswählt, ist auch verantwortlich für die Präsentation. Das heißt, wir sind da, uns kann man während des Festivals zur Rechenschaft ziehen, wir halten die Köpfe hin.

Natürlich wird auch auf uns, schon allein weil diesem Festival als erstem dieser Art in der Bundesrepublik eine große Bedeutung zukommt, Druck ausgeübt werden. Wie bei den Filmfestivals: da gibt es nicht nur labbrige Figuren, die sich alles Mögliche aufschwatzen lassen, sondern auf der anderen Seite Leute mit einem dezidierten Interesse und mit Macht, Produzentenverbände, alte Herren, die schon seit 20 Jahren in der Branche tätig sind.

Ist diese Gefahr bei einem Fernsehfestival nicht noch größer, da man es ja nicht nur mit der Industrie, sondern mit öffentlich-rechtlichen Anstalten zu tun hat?

Nur im Negativen, im Verhindern. Wenn Dieter Stolte zum Beispiel wirklich stinksauer wäre auf dieses Festival, könnte er einen Generalerlass aussprechen: das ZDF beteiligt sich nicht.

Andererseits muß man bedenken, daß Fernsehmacher ein heftiges Bedürfnis nach Selbstdarstellung haben. Sie wollen wahrgenommen werden, außerhalb ihrer eigenen Redaktionswände, außerhalb der ziemlich stumpfsinnigen TV -Berichterstattung in den Programmzeitschriften. Das Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung, danach, so ernst genommen zu werden wie die Theaterleute oder die Literaten, ist enorm in den Anstalten.

Trotzdem, die Konflikte sind doch vermutlich vorprogrammiert. Das Festival, will ja gerade die „innovativen“ Filme fördern, das, was aus dem Rahmen fällt, also die linken, die kritischen Programme, wegen denen es Krach gibt im Rundfunkrat. Vorgesehen sind ja unter anderem öffentliche Vergleiche zwischen Fernsehbildern von Demonstrationen oder Ähnlichem und Amateur- und Videoaufnahmen vom selben Ereignis. Vergleiche, die häufig bestimmt nicht zugunsten der öffentlich-rechtlichen Bilder ausfallen. Wie werden die Intendanten darauf reagieren?

Das werden wir sehen. Es ist ein Tanz auf des Messers Schneide. Auf der einen Seite spekulieren wir ganz bewußt auf das heftige Interesse der Anstalten auf Anerkennung. Die möchten gern ins Feuilleton. Das ist der Knackpunkt. Dort wird Kultur gemacht, dort wird gesagt, was überhaupt wert ist, wahrgenommen zu werden. Auf den vorderen Seiten ist immer Theater, Musik, der Film hat's ja auch schon bis ins Feuilleton geschafft. Aber der Fernsehfuzzi in den Redaktionen ist der letzte Depp. Der möchte nichts lieber als möglichst schnell FilmRedakteur werden, denn er rangiert ganz am Ende der redaktionellen Hackordnung. Man nehme ein klassisches Feuilleton wie das der FAZ: die Fernsehbesrpechung steht auf der zweiten Seite, ganz innen, also auf dem schlechtesten Platz. Das kriegen diese hohen Herren in den Anstalten nun Tag für Tag zu sehen, und sie möchten gerne nach vorne. Das können und sollen sie auch, jedenfalls mit ihren guten Sachen, Diese Chance bieten wir ihnen.

Das ist unser Köder. Dafür wollen wir umgekehrt das Bewußtsein eben dieser hohen Herren schärfen für das, womit sie in den Kulturteil der Zeitungen aufgenommen werden können. Wir sagen ihnen gerne, was dazu taugt und was nicht. Filme wie etwa Edgar Reitz‘ Heimat oder Berlin, Alexanderplatz und Acht Stunden sind kein Tag, die beiden Fernsehserien von Rainer Werner Fassbinder, Kir Royal, geschrieben von Patrick Süßkind oder Mit meinen heißen Tränen von Fritz Lehner, das sind exemplarische Programme, die wir, wenn es uns in den letzten Jahren schon gegeben hätte, ausführlich und mit Genuß präsentiert hätten.

Diese Filme hatten doch genug Erfolg. Für die braucht man doch kein Fernsehfestival.

Sicher, in diesen Fällen sind die Hierarchen und wir uns einig. Wir wollen aber neben solchen Programmen auch andere aufspüren, von denen die hohen Herren nicht so überzeugt sind, wir aber meinen, daß es in die richtige Richtung geht. Warum kann etwa das Kleine Fernsehspiel nicht ab und zu aus seinem 22.30 Uhr-Ghetto rausgelassen werden?

Wir wollen aber noch ein Schritt weiter gehen, und damit sind wir bei den Videos aus der alternativen Szene und aus der internationalen Video-Avantgarde. Wir möchten gerne bei den Fernsehzuschauern, aber auch bei den Fernseh-Profis den Horizont weiten für das, was im Fernsehen möglich ist. Ganz einfach, indem wir auf dem gleichen Festival der gleichen Öffentlichkeit Anerkanntes zeigen und Unliebsames von dem aber immer noch akzeptiert wird, daß es Fernsehen ist - und daneben Sachen, von denen die Programmacher sagen: Das ist doch unmöglich, das geht doch nicht im Fernsehen. Also wir zeigen auch Programme, die bisher nicht im TV gelaufen sind, aber unserer Ansicht nach dort laufen sollten.

Man muß sich das klarmachen: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ein parteipolitisch gegängeltes Medium. Da sitzen diese ganzen Aufsichtsräte und haben im Lauf von zwanzig, dreißig Jahren die Grenzen eng gezogen. Diese Grenzen werden in der Alltagspraxis nicht mehr hinterfragt. Da gibt es vielleicht ein alternative Videogruppe, die wochenlang tolle Gespräche in Wackersdorf gemacht hat und viel dichter rankommt an die Leute. Und auf der anderen Seite ein BR-Team, das morgens im 11 in den Kleinbus steigt und um 16 Uhr wieder in München sein muß, weil der Beitrag um 18 Uhr, auf eineinhalb Minuten verschnipselt, über den Sender geht. Daß die Videogruppe die besseren Bilder liefert und die besseren Gespräche, liegt auf der Hand. Trotzdem findet das keinen Eingang in die Wackersdorf -Berichterstattung des BR. Daß dieser Zustand auch dem Medium schadet, das sich damit schlechter macht, als es sein könnte, das möchten wir mit unserm Festival deutlich machen.

Ihr wollt also das Diktat der Einschaltquoten brechen. Aber gibt es da wirklich ein Entrinnen? Egal wie sehr man den Apparat kritisiert, bedient man ihn nicht trotzdem? Ihr wollt Euch zum Beispiel im ersten Jahr die Lindenstraße vorknöpfen. Egal wie kritisch die Analyse ausfällt, steigert sie nicht in jedem Fall die Popularität der Serie?

Der Schlüsselbegriff der „Festivalphilosophie“ ist „Innovation im Populären“. Anhand der Lindenstraße läßt sich das exemplarisch zeigen. Hans W. Geissendörfer macht die Serie zwar nicht allein, aber er produziert sie immerhin zur Hälfte selbst. Trotzdem, er hat ein Gremium über sich, das ihn gängelt. Da sitzen die ARD-Vertreter drin und passen auf, daß er keine Dummheiten macht. Ein Beispiel: Da die Lindenstraße ja eine Straße in München ist, sollten vor der letzten Bundestagswahl dort natürlich auch Wahlplakate aufgestellt sein. Schließlich gibt es bei Wahlen in jeder Straße in der Bundesrepublik Wahlplakate. Und zusätzlich hat Geissendörfer, fein säuberlich politisch-paritätitsch ausgewogen, der Putzfrau (CDU), dem Schwulen (Grüne) und dazwischen noch zweien für SPD und FDP ein paar politische Sätze in den Mund gelegt. Was passierte? Die Folge landete im Papierkorb. Begründung: Politik - auch wenn sie noch so zurechtgestutzt wurde - darf nicht vorkommen. Die Episode mußte nochmal gedreht werden, trotz der Ausgewogenheit.

Das Leben ist aber nie ausgewogen. So etwas Unrealistisches dürfte in einer Familienserie eigentlich gar keinen Platz haben. „Innovation im Populären“ heißt in dem Fall: Die Annäherung an das wirkliche Leben sollte wesentlich weitergehen. Politik sollte nicht nur drin vorkommen können, sondern auch in in radikaler Unausgewogenheit. In Wirklichkeit ist es doch auch nicht so, daß wenn ein Rechter auftaucht, prompt ein Linker zur Stelle ist und die entsprechenden Gegen-Sätze sagt.

Anderes Beispiel: Wie die Leute essen in der Lindenstraße, so ißt kein Mensch. Nie gibt es da ein Essen zwischen Tür und Angel, die sitzen da alle gesittet, so wie ich früher am Sonntag dasitzen mußte. Überleg doch mal, wie du mittags ißt, wie Berufstätige sich zwischendurch schnell was reinschieben, rumkrümeln. Man macht doch selten nur das eine: Mit den Gedanken ist man noch bei der Fernsehserie, fängt aber schon an zu vögeln. In der Lindenstraße ist alles sorgfältig hygienisch voneinander getrennt.

Nun werden die Leute von der ARD aber sagen, daß die Zuschauer es doch genau so haben wollen. Beweis: die hohen Einschaltquoten.

Um gegen das Argument mit dem Publikum, das angeblich nichts anderes will, etwas ausrichten zu können, muß ich Beispiele auffahren, Beweise liefern dafür, daß man sehr wohl politisch viel schärfer ran kann, viel realistischer sein kann und die Leute immer noch mitmachen und eben nicht umschalten. Das genau ist der Sinn dieses Festival -Programmpunkts Lindenstraße: an Beispielen aus Großbritannien, nämlich East Enders von BBC und vor allem Brookside von Channel Four, soap operas wie die Lindenstraße, kann ich zeigen: die sind dreimal so verwegen und trotzdem populär!

Deshalb muß das Fernseh-Festival auch international sein: um vergleichen zu können, um denen hier zu zeigen, den Machern, dem Publikum und der Fachkritik, was möglich ist in diesem geschmähten Medium. Das politische Ziel ist dabei immer die Veränderung innerhalb der bundesdeutschen Fernsehanstalten: die Türen für Innovation ein kleines bißchen weiter aufkriegen.

Wieso eigentlich setzt das Festival so auf das Innovative, prämiert jährlich die „innovativste“ Produktion beziehungsweise den, der die kreative Leistung erbracht hat, mit 30.000 DM? Ist das Neue automatisch immer das Bessere? Die Filmgeschichte lehrt einen doch eher das Gegenteil.

Solche Begriffe haben immer etwas Vages und Willkürliches. Natürlich geht es erst einmal um Qualität. Aber dieser Begriff ist in unserem Fall schon besetzt, vom Marler Adolf -Grimme-Institut, das jährlich seine Preise vergibt für die qualitativ besten Filme. Ich wollte das nicht einfach wiederholen und außerdem ein bißchen drive reinkriegen, der dem ganzen einen Sog nach vorne gibt. Was genau „innovativ“ bedeuten kann, wird sich zeigen. Wir werden jede Woche einen Fernsehkritiker oder eine Fernsehkritikerin beauftragen, in den deutschsprachigen Fernsehprogrammen nach den innovativsten Produktionen zu suchen. Was innovativ ist, müssen sich die Kritiker jeweils selbst und erneut überlegen. Sie müssen ihre Entscheidung für ein Programm schriftlich begründen, am Ende hat man also 52 Programme in der näheren Auswahl und zugleich 52 Anläufe, Definitionsversuche. Diese Texte sollen als „Jahrbuch Fernsehen“ veröffentlicht werden, man hat dann eine Art Querschnitt durchs medienkritische Bewußtsein in Sachen Fernsehen.

Wer wählt aus diesen 52 den Sieger aus?

Es gibt eine Vorjury, die 12 aus 52 wählt. Wie die besetzt sein soll, ist noch offen. Und schließlich eine Endjury, die besetzt sein wird mit Leuten, die nicht aus der Branche kommen, Leuten aus anliegenden Bereichen. Ich wünsche mir eine Jury mit Barbara Sichtermann, Hans Magnus Enzensberger, Frank Göhre, Peter Zadek, Dieter Dorn ...

Es hat ja, gerade, was den Preis angeht, bereits Auseinandersetzungen gegeben. Wolfram Schütte hat in der Frankfurter Rundschau eine wüste Polemik gegen das Festival losgelassen, in der er Euch unter anderem vorwirft, ihr würdet dem Marler Institut das Wasser abgraben. Außerdem regt er sich über dein Honorar auf: 180.000 DM im Jahr. Ist die Zahl richtig?

Ja, das stimmt. Diese 180.000 DM Brutto-Honorar entsprechen in etwa dem Gehalt eines Dezernenten in Frankfurt.

Aber zurück zu Marl. Die Sorge, daß durch diesen neuen Preis auf so einem breitenwirksam angelegten Festival dieser traditionsreiche Preis entwertet wird, ist natürlich berechtigt. Egal, ob man Qualität prämiert oder Innovation, letztlich ragen nicht besonders viele Produktionen im Jahresrückblick heraus. Die Marler prämieren vielleicht eher das solid Gemachte, wir honorieren vielleicht eher den Versuch in die richtige Richtung, auch wenn er gescheitert ist. Trotzdem, der Überschneidungsbereich ist groß.

Deshalb schlagen uns die Marler und auch mächtige Leute in den Anstalten vor, wir sollten lieber einen Preis der Preise stiften: Wir sollten die Grimme-Preisträger, die Goldene Rose von Montreux und die anderen Gewinner der wichtigsten ausländischen Fernseh-Festivals präsentieren und einem von denen einen Super-Cup verleihen.

Diese Preisträger sind doch nicht automatisch auch Eure Favoriten.

Das ist genau unser Einwand. Wir würden uns den anderen Festivals vollkomen ausliefern. Wir würden Festivals prämieren und nicht Fernseh-Macher. Aber den möglichen Schaden für das Marler Institut sehen wir schon. Deshalb diskutieren wir auch mit den Marlern, da wird eine Lösung gefunden werden.

Im übrigen ist Marl kein Festival, sondern ein medienwissenschaftliches Institut. Wir sind also keineswegs, wie Herr Schütte behauptet, ein Konkurrenzunternehmen zu Marl. Im Gegenteil: Ich bin mit Lutz Hachmeister, dem neuen Leiter des Instituts, im ständigen Gespräch. Und egal, ob wir uns für den Preis der Preise entscheiden oder nicht, wir werden den Grimme-Preisträgern in jedem Fall in Frankfurt eine breite Bühne schaffen.

Du wechselst ja die Barrikade, wirst vom Kritiker zum Macher. Wird man da nicht automatisch Teil von dem, wogegen man antritt?

Das mit dem Wechsel stimmt nicht ganz. Veranstalter war ich schon öfter, zum Beispiel des Channel-Four-Festivals 1986 in der Berliner Akademie der Künste.

Angefangen als Kritiker habe ich aus einer Aversion gegen den uns allen umgebenden Dreck. Wie viele Anfänger habe auch ich erstmal Polemiken geschrieben. Mein erster Text war ein gnadenloser Verriß von Bertoluccis Der letze Tango in Paris. Für mich war das damals der Inbegriff von Ausverkauf eines Linksintellektuellen, der plötzlich einen Porno dreht und damit ein internationaler Mega-Super-Extra -Star wird.

Diese Lust am Zerdeppern aber, so denke ich inzwischen, hat auch etwas Infantiles, Vielleicht liegt es am Alter, daß ich mich nun eher frage, wie man das Gute fördern kann. So gut meine Kritiken auch sein mögen, so anerkannt ich auch sein mag, ich bleibe als Kritiker immer Teil des allgemeinen Gesumms, des Raunens um etwas herum. Jemand macht einen Film, es gibt ein Gemurmel drumherum; das stirbt ab mit der Zeit, aber der Film bleibt.

Der Schritt, den Leuten von etwas Gutem nicht nur zu erzählen, sondern es ihnen tatsächlich zu zeigen, ist gar nicht so groß. Jahrelang habe ich zum Beispiel aus Großbritannien berichtet, von der Renaissance des neuen britischen Films in den frühen achtziger Jahren, die wesentlich auf einen Fernsehsender, auf Channel Four, zurückgeht. Ich habe zum erstenmal begriffen, was eine Fernseh-Anstalt für den Film tatsächlich tun kann. Da lag es nahe, den Leuten diese Programme tatsächlich einmal zu zeigen: Deshalb habe ich in der Berliner Akademie der Künste ein Channel-Four-Festival veranstaltet.

Wenn man Kritiken schreibt, kommt nur ab und zu mal jemand und sagt, daß er sie gelesen hat. Als Veranstalter mache ich die Saaltür auf, und da sitzen tatsächlich 550 Leute: Die haben's mir geglaubt, die sind wirklich gekommen! Dieser Erfolg war für mich ein Schlüsselerlebnis.

Deine Veranstaltertätigkeit und dieses Festival im Besonderen stehen in der Tradition von dem, was Alexander Kluge mit dem Satelliten-Fernsehen gemacht hat.

Das ist nach wie vor die medienpolitische Perspektive. Alexander Kluge hat sich vor Jahren dafür stark gemacht, daß man die Neuen Medien nicht den Konzernen und den Öffentlich -Rechtlichen überlassen darf. Und er hat es nicht nur gesagt, sondern auch getan und als erster bundesdeutscher Filmemacher Programmplätze bei den privaten Fernsehanstalten erobert, zum Beispiel für sein Kulturmagazin „10 vor 11“ auf RTL Plus.

Seit dem Erfolg mit dem Channel-Four-Festival bin ich davon überzeugt, daß es eine Menge Leute gibt, die sich für Fernsehen, für innovatives, nenn es wie du willst, für tolles, geiles Fernsehen interessieren. Daß es eine Fantasie gibt bei jedem, der so einen Apparat daheim stehen hat, was für tolle Sachen aus dieser Kiste rauskommen könnten, wenn nur die Verhältnisse anders wären. An diese mit Sicherheit massenhafte Utopie, an diese Ahnung, was Fernsehen sein könnte, möchte ich anknüpfen.

Festival-Leitung also als die Fortsetzung der Filmkritik mit anderen Mitteln?

Genau. Und keine Zeit mehr verschwenden auf das, was schlecht ist. Den Dreck gibt es so oder so, egal wie sehr ich dagegen anschreibe. Auf Dauer ist es die wichtigere Aufgabe des Kritikers, die Leute zum Guten, Wahren und Schönen zu verführen.

Das Gespräch führte Christiane Peitz

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