: Ernüchterndes Programm für Polens Bevölkerung
Preise werden steigen, Löhne nicht / Arbeitslosengeld unter Existenzminimum / Regierung: „keine Alternative“ / US-Hilfe ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
In Warschau hat der polnische Vizepremier und Finanzminister Liszek Balcerowicz am Wochenende das Wirtschaftsprogramm der Regierung Mazowiecki in Umrissen vorgestellt. Als Hauptziele gab er dabei die Inflationsbekämpfung und den Übergang zur Marktwirtschaft an. Das Programm bestehe aus zwei Teilen: In einer ersten Phase, die bis Anfang nächsten Jahres abgeschlossen sein soll, gehe es vor allem um die Vorbereitung grundlegender Reformen, die dann in der zweiten Phase bis Ende 1990 durchgeführt werden sollen. Als zunächst vordringlich bezeichnete Balcerowicz dabei die Schaffung rechtlicher Voraussetzungen für umfassende Privatisierungen der Staatsindustrie, die Auflösung der Monopole, die Errichtung eines funktionierenden, auf Konkurrenz fußenden Bankensystems. Zugleich werde die Regierung zu drastischen Maßnahmen bei der Beseitigung des 4,9 Billionen hohen Budgetdefizits gezwungen sein. Da damit zu rechnen sei, daß die in der zweiten Phase vorgesehenen Maßnahmen zu einer möglicherweise zweistelligen Prozentzahl an Arbeitslosen führen werden, plane die Regierung auch ein entsprechendes Sozialversicherungssystem mit ein. Arbeitslosengeld werde aber so niedrig sein, daß die Bezieher gezwungen seien, sich nach der Arbeit umzusehen.
In der zweiten Phase, für die ein Jahr vorgesehen ist, sei neben weiterer Inflationsbekämpfung auch die Streichung der Subventionen vorgesehen, zugleich müsse damit gerechnet werden, daß die Preise weiter steigen würden, die Löhne jedoch nicht mit der Preisentwicklung Schritt halten können. Zugleich würden dann die Maßnahmen durchgeführt, für die man in der ersten Phase die rechtlichen Voraussetzungen schaffen wolle.
Die Bedingungen für sein Gesundheitsprogramm schätzte Balcerowicz eher skeptisch ein. Mit konkreten Verbesserungen für die Bevölkerung sei insbesondere in der ersten Phase nicht zu rechnen, erklärte er. „Die Fleischproduktion bricht zusammen, es wird von den Fleischfabriken zur Zeit sieben bis zehn Prozent weniger angekauft als noch im Vergleichsmonat des letztes Jahres, ebenso verzeichnen wir bei steigender Inflation einen Rückgang der Industrieproduktion“, zählte Balcerowicz auf. Grund dafür sei die Tatsache, daß es aufgrund von Devisenmangel nicht möglich sei, im erforderlichen Maße Rohstoffe und Investitionsgüter aus dem Ausland einzuführen. Im vierten Quartal dieses Jahres kämen außerdem noch gravierende Energieengpässe hinzu: „Aufgrund der Abschaffung der Samstagsarbeit im Bergbau und zusätzlicher drei arbeitsfreier Tage werden wir sieben Millionen Tonnen weniger Kohle fördern als im Vorjahr.“
Dennoch gebe es zu dem vorgestellten Gesundungsprogramm keine Alternative. „Würden wir so weitermachen wie bisher, stünden wir in spätestens einem Jahr vor der gleichen Situation wie jetzt, nur unter noch schlechteren Bedingungen. Er sei sich bewußt, daß sein Programm von der Bereitschaft der Bevölkerung, Härten auf sich zu nehmen, abhänge. Doch nur unter den von ihm vorgeschlagenen Bedingungen sei eine Hilfe aus dem Ausland realistisch und erreichbar.
Balcerowicz kündigte auch an, daß Polen bald die volle Konvertibilität seiner Währung einführen werde. Als Voraussetzung dafür nannte er zusätzlichen Zufluß von Devisen und eine restriktivere Geldmengenpolitik. Von seiten der USA sei bereits eine erste Rate von 200 Millionen Dollar als Stabilisierungskredit bei der Einführung der Konvertibilität zugesagt worden. Insgesamt solle diese Hilfe eine Milliarde US-Dollar betragen.
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