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Polnischen Genossenschaften geht's an den Kragen

Bürokratische Molochs unkontrollierbar und für Preisexplosion verantwortlich / Neues Gesetz soll alte Verbände auflösen und Besitztümer den Belegschaften anbieten / Genossenschaftbewegung heute als Abstellkammer für abgehalfterte Parteifunktionäre / KP-Zeitung protestiert gegen die Reformen: Hungersnot drohe  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Die Regierung Mazowiecki hat Monopolstrukturen in der Wirtschaft Polens den Kampf angesagt, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen nach der Freigabe der Lebensmittelpreise. Nach dieser auch von Solidarnosc-Experten geforderter Maßnahme der Regierung Rakowski waren nämlich die Lebensmittelpreise zum Teil bis auf das Fünffache gestiegen, doch die Erzeuger, die von der Maßnahme zu mehr Produktion stimuliert werden sollten, bekamen davon fast nichts ab. Sie haben, so zeigte sich, auf die Preise in den Läden so gut wie keinen Einfluß - die riesige Differenz zwischen dem Verkaufspreis der Bauern und dem Einzelhandelspreis steckt vor allem der Groß- und Zwischenhandel ein, und der ist konkurrenzlos. Die Abnahmepreise verhandeln die Bauern mit den Landwirtschaftsgenossenschaften. Alle zusammen sind auf Wojewodschaftsebene und noch einmal auf Landesebene unter einer gemeinsamen Verwaltungskappe.

Tatsächlich haben sich die Genossenschaften in vierzig Jahren Volksrepublik in gigantische Molochs verwandelt, die von einer überbordenden Bürokratie gelenkt werden. Zwar hat Polens Genossenschaftsbewegung insgesamt 15 Millionen Mitglieder, doch die meisten davon wissen gar nichts von ihrer Mitgliedschaft. Wie abgehoben die Genossenschaftsbürokratie von ihrer Basis ist, zeigte sich, als Polens Verbraucher auf die überhöhten Milchpreise mit Enthaltsamkeit reagierten: Statt die Preise zu senken, ließ die „Spolem„-Genossenschaft die Milch in den Läden versauern. Erst als manche Bauern begannen, den Zwischen und Einzelhandel mit selbständigen Milchtransporten und Verkauf vom Lastwagen herunter zu umgehen, kam etwas Leben ins Preisgefüge.

Die Regierung Mazowiecki hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Übel an der Wurzel packt: Er sieht die schlichte Abschaffung der Genossenschaftsverbände vor. Das Vermögen der Genossenschaftsbetriebe soll anschließend zu erniedrigtem Preis von deren Belegschaften oder anderen, neu zu gründenden Genossenschaften übernommen werden. Ein Antimonopolgesetz soll verhindern, daß sich die neu entstehenden Genossenschaften zu neuen Monopolen zusammenschließen können. Da voraussichtlich nicht alle Belegschaften und Genossenschaften über genug Kapital verfügen, um das Vermögen liquidierter Genossenschaften übernehmen zu können, ist zugleich vorgesehen, in solchen Fällen das betreffende Vermögen zu privatisieren.

Eine Provokation der Genossenschaftsbewegung“, titelt die kommunistische Parteizeitung 'Trybuna Ludu‘. Mit der Auflösung der bisherigen Genossenschaftszusammenschlüsse und ihrer Aufspaltung in konkurrierende Organisationen wird nämlich auch der bisherigen leitenden Bürokratie der Boden entzogen. Und die besteht zu über zwei Dritteln aus Parteimitgliedern. Die Genossenschaftsbewegung, so denn von einer solchen überhaupt die Rede sein könne, sei in der Vergangenheit geradezu als Abstellkammer für abgehalfterte Parteifunktionäre benutzt worden, schrieb als Antwort auf die Kampagne der 'Trybuna Ludu‘ Dariusz Fikus, neuernannter Chefredakteur der Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘. Kazimierz Barcikowski, Vorsitzender des „Obersten Genossenschaftsrats“ (OGR), ist inzwischen aus Protest gegen das Projekt zurückgetreten. Noch vor wenigen Monaten war Ex -Staatsratsmitglied Barcikowski Mitglied des PVAP -Politbüros, bis das Zentralkomitee seiner Partei ihn in die Wüste schickte. Da wurde er Vorsitzender des OGR. Seit seinem Rücktritt füllen die Protestbriefe erboster Genossenschafter, zumeist der leitenden Ebene, die Spalten der 'Trybuna Ludu‘. Selbst das Politbüro der PVAP hat bereits seine Schützlinge in den Genossenschaftsverwaltungen öffentlich in Schutz genommen. Aus gutem Grund: Die PVAP finanzierte in der Vergangenheit ihre Parteiarbeit zu einem beträchtlichen Teil über den Gewinn der „Arbeiterverlagsgenossenschaft“, die fast die gesamte polnische Presse kontrolliert und auf dem Zeitungsdruck- und Vertriebswesen Monopolist ist. Ein Gutteil jenes Gewinnanteils der PVAP kam durch ungewöhnlich hohe Steuernachlässe und Subventionen der Staatskasse zustande.

Damit soll jetzt Schluß sein, hat das Finanzministerium erklärt.

Seit das Projekt bekannt ist, malt die 'Trybuna Ludu‘ eine Schreckensvision nach der anderen an die Wand: Hungersnot auf den Dörfern werde ausbrechen, wenn niemand mehr das Brot ausfahre, private Spekulanten würden die Genossenschaften aufkaufen, die Regierung entscheide über die Köpfe der Eigentümer, soll heißen jener anonymen Genossenschafter hinweg. Während sich die Regierung der Presseattacken der Partei erwehrt, bauen die bedrohten Genossenschaftsbürokraten vor. Marek Dabrowski, Staatssekretär im Finanzministerium: „Wir beobachten zunehmend, daß sich Genossenschaftsverbände von sich aus vor Inkrafttreten des Gesetzes in Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit begrenzter Haftung verwandeln, um so der Auflösung nach Inkrafttreten des Gesetzes zu entgehen.“ Als GmbH unterliegen die neuen Gesellschaften dem novellierten Genossenschaftsgesetz nicht mehr. Gegen die Umwandlung ist bei derzeitiger Rechtslage kein Kraut gewachsen, es sei denn es kommt dabei zu Rechtsverstößen. Drei außerordentliche Revisionen, die das Justizministerium inzwischen angeordnet hat, sind denn auch mehr eine hilflose Drohgebärde der Regierung.

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