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Thyssens Videos

Stahlkonzerns Imagepflege für den „richtigen Laden“  ■ Mit der CORPORATE IDENTITY auf du und du

Essen (taz) - Die Thyssen AG ist unter die Video-Avantgarde gegangen, um einen besseren Draht zum hauseigenen Proletariat zu kriegen. Viermal im Jahr läßt der Konzern von der Duisburger Panavox GmbH in Zukunft ein 90-minütiges „Video-Journal mit Unterhaltungsprogramm für die ganze Familie“ (Werbetext) produzieren, das „dazu beitragen soll, unseren Belegschaften das Gefühl zu vermitteln, beim richtigen Laden zu sein“, so der Vorstandsvorsitzende Dieter Spethmann.

„Thyssen Online“ heißt die neue filmische Konzern-Kosmetik. Die erste Kassette ist seit November betriebsintern auf dem Markt: 12 Mark müssen Beschäftigte für ihre Seelenbewirtschaftung hinlegen, was, so Panavox -Geschäftsführerin Gisela Meyer-Franck, „etwa dem Preis einer Marken-Leerkassette entspricht“. Aber auch die preisbewußten KundInnen würden sich „Thyssen Online“ vor dem Überspielen einmal ansehen.

Zu verlangen, sich das Konzernmagazinchen mehrmals zu Gemüte zu führen, würde allerdings auch den Tatbestand der seelischen Grausamkeit erfüllen. Denn weil „der Griff zur Online-Kassette mit der Vorstellung von Freizeit verbunden sein soll“ (Meyer-Franck), wird gnadenlos unterhalten. Da plaudern die ehemalige ZDF-Ansagerin Sibylle Nicolai und RTL -Unterhalter Michel Weber per „Konferenzschaltung“ mit „MitarbeiterInnen“ in sieben Thyssen-Betrieben darüber, wie schön und bunt die Thyssen-Arbeitswelt ist und wie Thyssen -Produkte die ganze Welt bereichern. Und von der Auszubildenden bis zum Meister sagen alle brav „wir“, wenn sie Thyssen meinen.

Elton John singt für Thyssen, Thyssen-Beschäftigte berichten über die Reproduktion ihrer Arbeitskraft durch Skilanglauf, für die Thyssen-Kinder gibt's den Zeichentrick -Albatross „Molly Mauk“, der Thyssen-Ehefrau wird gezeigt, wie „Entenbrust mit Papaya und Granatäpfeln“ gelingt (Kochrezept auf der Rückseite des Schutzumschlags der Cassette), und dann kommt auch noch eine Familienserie, „denn 'Thyssen Online‘ ist aufgebaut wie ein kleines Fernsehprogramm“ (Meyer-Franck). Und am Ende einen Audi 80 quatro für den Gewinner unter den ersten 1.000 „Online„ -AbonnentInnen.

Laut 'Spiegel‘ kostet Thyssen das Video allein in diesem Jahr über drei Millionen Mark (Meyer-Franck: „Die Zahl ist zu hoch“). 110.000 Beschäftigte in der BRD von 130.000 in 180 Betrieben weltweit sind potentielle GuckerInnen, geworben wird in Werkszeitungen und den Betrieben, 3.200 haben 'Online‘ bereits für das nächste Jahr abonniert. Auf den Antwortkarten, die der Erstausgabe des Thyssen-Magazins beilagen, haben viele jedoch „mehr Information“ angemahnt. „Damit“, so Gisela Meyer-Franck, „hatte niemand gerechnet“.

Bettina Markmeyer

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