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Gorbatschows Gastgeschenk an den Papst

Die unierte Kirche in der Ukraine wird wieder zugelassen / Der Metropolit der russisch-orthodoxen Kirche droht deswegen mit dem Abbruch der Beziehungen zum Heiligen Stuhl / Die Wurzeln dieses Kirchenkonflikts reichen bis ins 16.Jahrhundert zurück  ■  Von Erhard Stölting

Berlin (taz) - Die Zulassung der unierten Kirche, die ihren Schwerpunkt in der westlichen Ukraine um Lwowk, dem ehemaligen Lemberg, hat, ist ein Gastgeschenk Gorbatschows an den Papst. Eine Katastrophe hingegen ist diese Zulassung in den Augen der orthodoxen Kirche. Ihr Außenminister Kyrill, der Erzbischof von Wjasma und Smolensk, sieht Konflikte heraufziehen, die in einem Blutbad enden können. Der Metropolit von Kiew, Filaret, droht mit dem Abbruch der Beziehungen zum Vatikan. Dabei schien die orthodoxe Kirche im Vergleich zur Zarenzeit doch zahm geworden zu sein. Sie war zur friedlichen Koexistenz mit den Katholiken bereit und tolerierte sogar die einst mit Feuer und Schwert bekämpften Altgläubigen.

Sicherlich werden auch materielle Einbußen befürchtet. Von den noch 8.000 „arbeitenden“ orthodoxen Kirchen in der Sowjetunion befinden sich 5.000 in der Ukraine, und von diesen wiederum 3.000 in der Westukraine. Das allein aber kann die heftige Reaktion einer Kirche, die selbst eben erst von der Vormundschaft durch den Staat befreit wurde, nicht erklären.

Die Wurzeln des Konflikts reichen in die Zeiten des litauisch-polnischen Reiches zurück. 1569 hatte der Großfürst von Litauen, Zygmunt II, Podlachien, Wolhynien und Kiew an den König von Polen, also an sich selbst, abgetreten. Der Rest Litauens wurde mit Polen zu einer Konföderation zusammengeschlossen. Allerdings waren die orthodoxen Untertanen immer ein bedrohliches Potential. Denn ihre Kirche unterstand dem Moskauer Patriarchat, und dieses identifizierte sich mit dem Moskauer Reich.

Eine Antwort auf diese Bedrohung war die 1596 in Brest (Brzesc) vereinbarte Kirchenunion. Die meisten orthodoxen Bischöfe im polnisch-litauischen Reich erkannten die Oberherrschaft des Papstes an, aber sie behielten den orthodoxen slawischen Ritus bei. Das Moskauer Patriarchat seinerseits verdammte diese Union von Anfang an als Häresie. Überall dort, bis wohin die Moskauer Herrschwut vordrang, wurde sie rückgängig gemacht.

Im Zuge der Aufteilungen Polens Ende des 18.Jahrhunderts, kamen Wolhynien und Galizien, die heutige Westukraine, zu Österreich. Dort blieb mit der unierten Kirche auch die alte Sozialstruktur erhalten. Die städtische Bevölkerung war, soweit nicht jüdisch, überwiegend polnisch. Polnisch und katholisch waren auch die einheimischen Führungsschichten, vor allem der grundbesitzende Adel, geworden. Die Landbevölkerung jedoch blieb meist ukrainisch. Die Grenzen der Klassen stimmten so mit jenen der Religionen und jenen der Sprachen überein - eine Konstellation, die auf nationalistische Interpretationen geradezu wartete.

Ausgehend von Lemberg entwickelte sich seit 1848 spiegelbildlich zum polnischen Nationalismus auch der ukrainische. Die jeweiligen Kirchen wurden zum Identifikationspunkt und Organisator des Nationalismus. Eine Zuspitzung erfuhr dieser Konflikt nach der Gründung des polnischen Nationalstaats 1918. Der Kampf gegen den sprachlichen und religiösen Assimilationsdruck entsprach dem sozialen gegen den Großgrundbesitz.

Der polnische Staat ersparte der unierten Kirche allerdings auch die antireligiösen Kampagnen in der Sowjetunion, die nach 1917 und im Zuge der Kollektivierung nach 1929 die orthodoxe Kirche weitgehend ruinierten. Das erklärt die - im sowjetischen Maßstab - hohe Zahl „arbeitender“ Kirchen in der Westukraine.

Mit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 kam Galizien mit Lwow an die Sowjetunion. Die Kirchengüter wurden beschlagnahmt, die Priesterseminare geschlossen, die Klöster und Kirchen ausgeräumt. 1946, nach dem Großen Vaterländischen Krieg, wurde die unierte Kirche schließlich offiziell dem Moskauer Patriarchen unterstellt, also in die Orthodoxie zurückgeführt. Stalin belohnte so den patriotischen Einsatz der Orthodoxie im Kampf gegen die Invasoren und beseitigte ein Zentrum ukrainischen Selbständigkeitsstrebens.

Allerdings hielt sich eine unierte Untergrundkirche, deren Vertreter seit der Entstalinisierung ab 1956 zur sich bildenden Dissidenz gehörten und deren Vertreter ebenfalls die Lager und psychatrischen Anstalten bevölkerten. Die Zulassung der unierten Kirche beseitigt nun ein letztes Stück Unfreiheit. Für die orthodoxe Kirche bedeutet diese Zulassung einen Verrat an Rußland und eine ungeheure Demütigung durch den katholischen Erbfeind. Die politischen Finessen schlauer Kanzlisten und Kleriker des 16.Jahrhunderts wirken so noch heute als politischer Massenkonflikt fort.

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