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Wir werden sehr vorsichtig handeln

Mayumi Moriyama, die japanische „Kanzleramtsministerin“, über das Verhältnis Japans zu den alten Supermächten und die hausgemachte Kulturrevolution  ■ I N T E R V I E W

Seit dem Monat August bekleidet Mayumi Moriyama mit dem Rang eines Staatsministers das Amt des Kabinettssekretärs der Regierung von Premierminister Kaifu. Moriyamas Amt gilt als Schlüsselstellung innerhalb der japanischen Regierungshierarchie, ihr Rang ist nur dem des Finanz- oder Industrie- und Handelsministers vergleichbar. Mit Moriyama erlangte erstmals in der modernen japanischen Geschichte eine Frau eine solche Machtposition. Mayumi Moriyama ist Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei, die Japan seit vier Jahrzehnten regiert.

taz: Im Osten Europas ist Revolution. Die Beziehungen zwischen Ost und West nehmen dramatische Kehrtwendungen. Auf Malta wird von Jalta die Rede sein. In der neuen Dynamik zwischen Ost und West aber scheint die neue Großmacht Japan nur mißmutig mitzumischen. Immer noch verlangt Japan als Voraussetzung für bessere Beziehungen mit der Sowjetunion, daß die russische Siegermacht die 1945 annektierten Kurilen -Inseln im Norden Japans räumt. Glaubt die japanische Regierung weiterhin an die Gesetze des Kalten Krieges?

Mayumi Moriyama: Unsere Hoffnung ist es, die nördlichen Inseln zurückzubekommen, und zwar ohne jede Bedingung.

Erschöpft sich in dieser Maxime die japanische Ostpolitik? Ist das verantwortliche Weltpolitk?

Diese Inseln sind ein Symbol. In unseren Augen ist ihre Besetzung durch die Sowjetunion illegal. Das hat die Gespräche über einen sowjetisch-japanischen Friedensvertrag blockiert.

Gleichen die Inseln aus japanischer Sicht der Berliner Mauer?

Ja, das ist ähnlich.

Muß erst diese pazifische Mauer fallen, damit Japan die Veränderungen im kommunistischen Block erkennt?

Wenn diese Mauer fällt, gäbe es eine völig neue Situation. Ich hoffe darauf.

Eine sowjetisch-japanische Annäherung könnte das Gleichgewicht in der Weltpolitik entscheidend verändern?

Ohne Zweifel.

Glauben Sie mit Gorbatschow an das „Ende der Nachkriegszeit“?

Nach 50 Jahren sollte es soweit sein. Aber es handelt sich um eine kurze Periode in der langen Menschheitsgeschichte.

Das heißt, Japan kann warten, bis dann die Sowjetunion in Ihren Augen zu Eingeständnissen bereit ist?

Das haben Sie richtig verstanden.

Während die Beziehung Japans zur Sowjetunion stagniert, hat sich die Atmosphäre im US-japanischen Verhältnis in den letzten Jahren grundlegend geändert.

Grundlegend ist unser Verhältnis sehr gut. Da hat sich nichts geändert. Natürlich, wenn man sich sehr nahe steht, dann gibt es auch Reibereien, wie eben unter guten Freunden. Heute gibt es ein Problem im Handel mit den USA und in den ökonomischen Strukturen zwischen beiden Ländern. Aber das ist eher ein Familienstreit.

Erst kürzlich trugen Diskussionen im US-Repräsentantenhaus offen antijapanische Züge. Will die japanische Regierung die neuen Töne aus Washington weiter ignorieren?

Wir sind tatsächlich in Sorge. Das politische System ebenso wie das Regierungssystem der USA gleicht freilich nicht dem unseren. Politiker spielen dort oft mit ihrer Wählerschaft. Wir verstehen zwar, warum Politiker so handeln, aber trotzdem beunruhigen uns diese Dinge sehr. Denn schließlich können sich viele kleine Mißklänge zu einem großen Problem entwickeln.

Das Problem liegt also nicht in Japan, beispielsweise in den unfairen Handelspraktiken japanischer Unternehmen, sondern in den USA, wo man ängstlich ist und nicht konkurrenzfähig?

80 Prozent der Probleme liegen auf amerikanischer Seite, vielleicht 20 Prozent in Japan. Das liegt an der Einstellung der Amerikaner. Die Amerikaner wissen ja selbst, daß sie die Hauptschuld tragen. Beispielsweise mit ihren Staatsschulden. Natürlich gibt es auch Dinge, die wir tun können.

US-Amerikaner und Europäer bewegt die Angst, japanische Unternehmen können in den strategischen Bereichen der Spitzentechnologie, beim Computerbau, aber auch in der Computerchipherstellung das alleinige Weltmonopol erringen und damit die alten Industrieländer in Abhängigkeit bringen. Verstehen Sie solche Ängste?

Ich glaube nicht, daß die japanische Wirtschaft so erdrückend ist. Vielleicht erscheint Japan heute als ökonomischer Riese, aber wir wissen auch, welche Probleme und Ängste dann entstehen. Dabei sind gute Beziehungen zu anderen Ländern für uns überlebenswichtig. Wir sind auch abhängig. Deswegen werden wir sehr vorsichtig handeln.

Kaifu ist bereits der dritte japanische Regierungschef in diesem Jahr, nachdem seine beiden Vorgänger Takeshita und Uno über Skandale stolperten. Hat Japan überhaupt noch eine politische Führung?

Die japanische Politik war in den vergangenen zwölf Monaten sehr verwirrend. Selbst Japaner verstanden nicht mehr, wer das Land führte. Viele überraschende Dinge passierten. Premierminister Takeshita trat sehr plätzlich im Mai aufgrund des Recruit-Skandals von seinem Amt zurück, und sein Nachfolger Uno sah sich wenig später ebenfalls zum Rücktritt gezwungen. Unsere Partei mußte bei den Oberhauswahlen eine verheerende Niederlage einstecken, und damals ging ein tiefer Schock durch die Partei. Die LDP mußte etwas unternehmen, das dem Volk deutlich die Bereitschaft der Regierung zur Veränderung zeigte. Niemand hatte erwartet, daß Kaifu Premierminister werden würde.

Als Symbol der Veränderung aber gelten eher Sie als Premierminster Kaifu?

Auch Kaifu mußte dem Volk seinen Veränderungswillen unter Beweis stellen, und deswegen berief er zum ersten Mal in unserer Geschichte zwei Frauen ins Kabinett. Das steht der bisherigen japanischen Tradition diametral entgegen.

Ist das Ergebnis der Skandalpolitik der letzten Jahre damit positiv zu bewerten?

Es sind sehr unglückliche Dinge passiert. Die Bürger haben das Vertrauen in die Politik verloren. Inzwischen haben wir ein bißchen Kulturrevolution erlebt. Es herrschte Notstand. Zur Flucht nach vorn mußten neue Methoden gefunden werden, koste es, was es wolle. Eine dieser Methoden war eben, mehr Frauen in die Regierung zu holen. Mich hat das auch sehr überrascht. Es gehörte nicht zu meinem Plan, hier zu sein.

Bei den Oberhauswahlen im Juli fehlten Ihrer Partei vor allem die Frauenstimmen. Wird sich das mit Ihnen in der Regierung bei den entscheidenden Unterhauswahlen im nächsten Jahr ändern? Ihre wichtigste politische Gegnerin, Takako Doi, die Chefin der Soziaistischen Partei, ist ja auch eine Frau.

Ich betrachte Frau Doi nicht als politische Gegnerin. Sie ist eine sehr erfahrene Politikerin mit einer sehr viel längeren Karriere, als ich sie aufweise. Sie ist die Führerin einer Partei, und dafür bewundere ich sie.

Takako Doi ist heute die populärste Figur auf Japans politischer Bühne. Worin liegt ihr Erfolg begründet?

Sie spricht von Dingen, an die die LDP bisher nicht dachte. Zum Beispiel schlägt sie vor, so viele Frauen wie möglich zu Kandidatinnen zu machen. Viele Kandidatinnen gewannen die Wahl im Sommer gegen alte LDP-Politiker.

Verbirgt sich dahinger ein grundlegender Bewußtseinswandel in der japanischen Gesellschaft, mit dem Frauen in Zukunft eine wichtigere politische Rolle zufallen würde?

Japanische Frauen haben seit 1947 gleiche Rechte wie Männer. Sie haben das Wahlrecht, das Recht auf gleiche Erziehung, das Recht auf gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Doch damals fehlte den Familien noch das Geld, auch den Töchtern eine gute Ausbildung zu verschaffen. Von Frauen wurde weiterhin erwartet, daß sie heiraten und Mütter werden. Erst Mitte der sechziger Jahre konnten mehr Mädchen die Oberschule besuchen, als die Familien kleiner und der Wohlstand größer wurde. Heute gehen viele Frauen zur Universität, und Unternehmer erkennen mehr und mehr, wie sinnvoll es ist, nicht nur Männer, sondern auch Frauen im Betrieb zu befördern. Die Politik war die letzte Festung der japanischen Männer, nun aber bricht auch sie endlich zusammen. Mich überrascht das nicht. Ich hatte darauf gewartet.

Das Gespräch führten Chikako Yamamoto und Georg Blume

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