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Schalck ist nicht zu fassen

■ Jetzt soll ausgerechnet die Stasi ran / 200 Millionen D-Mark nachweislich exportiert / Stellvertreter verhaftet / Dubiose Transaktionen in Schönefeld

Berlin/Basel/Tel Aviv (taz) - Vom Chef noch keine Spur also hält man sich an den Gehilfen: Gestern wurde Schalck -Golodkowskis Stellvertreter im Amt für Kommerzielle Koordinierung, Manfred Seidel, festgenommen. Es bestehe der Verdacht, Seidel habe auf Schalcks Veranlassung „Valutabeträge in einem bisher ermittelten Umfang von 200 Millionen D-Mark in das Ausland verbracht“, erklärter die Generalstaatsanwaltschaft.

Finanzministerin Uta Nickel versicherte, sie habe Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und Sicherung der Auslandskonten eingeleitet. In Bern wurde dies bis gestern nicht bestätigt. Da die bisher ermittelten Zusammenhänge, so Nickel, in hohem Maß die „nationale und staatliche Sicherheit der DDR gefährden“, würde die Affäre dem Amt für Nationale Sicherheit (vormals: Stasi) übergeben. Eine pikante Entscheidung angesichts des Rufs dieser Behörde.

Aufsehen erregte ein Bericht der DDR-Zeitung 'Junge Welt‘, wonach auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld während des Iran-Irak-Kriegs etwa 20 Großraumflugzeuge bei Nacht und Nebel mit Kisten beladen worden seien, in denen Waffen und Munition vermutet werden. Andere Maschinen seien mit gleicher Last nach Äthiopien, Indien, Laos und Mittelamerika geflogen.

Auch in der BRD wird nach Schalck gefahndet, die Kölner Staatsanwaltschaft stellte gestern den Haftbefehl aus.

Laut Statistik der Schweizerischen Nationalbank beliefen sich Guthaben und Treuhandanlagen offizieller DDR-Stellen Ende 1988 auf 389 Millionen Franken. Denen standen 983 Millionen Franken Kreditschulden gegenüber. Die offizielle DDR steht bei Schweizer Geldinstituten also mit 594 Millionen in der Kreide. Interessant ist, daß die DDR ihre Schulden bei den namhaften Großbanken gemacht hat, während die Guthaben auf zahlreiche kleinere Banken verstreut sind. Da die vermutlichen Fluchtgelder der SED-Bonzen wohl kaum über offizielle DDR-Stellen, sondern branchenüblich über Tarnfirmen, Strohmänner und kaum durchschaubare Stiftungskonstruktionen ins Ausland geflossen sein dürften, ist eine Lokalisierung der Gelder äußerst schwierig. Beamte in Bern meinen denn auch, daß sie - neben offiziellen Anträgen - für eventuelle Überprüfungen oder Beschlagnahmen genauere Angaben aus der DDR über Konten und Summen bräuchten. Erst dann könnten Verfahren eingeleitet werden. Dazu kommt, daß zwischen der DDR und der Schweiz kein Rechtshilfeabkommen besteht. Nach dem Prinzip des Gegenrechts werden Schweizer Behörden nur dann aktiv, wenn entsprechende Taten auch in der Schweiz strafbar wären. Und in der Alpenrepublik wird im Geldsektor eben einiges geduldet, was andernorts verboten ist. Ein Haftersuchen gegen den flüchtigen Ex-Devisenbeschaffer Alexander Schalck -Golodkowski traf am Dienstag nachmittag in Bern ein, wurde im dortigen Justizministerium aber gleich als „lückenhaft“ bewertet.

In Israel, wo Schalck ebenfalls vermutet wird, hält das Innenministerium es für denkbar, daß der Flüchtige mit falschen Papieren eingereist ist. Da Israel kein Auslieferungsabkommen mit der DDR hat, könnte Schalck um Asyl bitten, zumal er als Jude bei Einreise das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft erwerben kann. Polizeisprecherin Ruth Schlesinger erklärte, daß bisher keine Aufforderungen vorliegen, nach Schalck zu suchen.

Thomas Scheuer/Amos Wollin/smo

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