Madame Guillotine

■ Maschineller Sproß im Stammbaum der Menschenfresser

Frank Schüre Eine Maschine zum Wohl

der Menschheit

Am 1.Dezember 1789 hält der Arzt und Volksvertreter Joseph Ignace Guillotin eine Rede vor der Nationalversammlung in Paris, in der er sich aus „philosophischen“ Gründen für eine Humanisierung des vom Ancien regime übernommenen Strafrechts einsetzt. Unter der Devise „Menschlichkeit, Gleichheit und Vernunft“ fordert Guillotin in sechs Artikeln eine Reform der Justiz. Die ersten fünf dieser Artikel werden relativ problemlos angenommen, nur der sechste Artikel stößt auf so zähen Widerstand in der Versammlung, daß er erst wieder im März 1792 auf die Tagesordnung kommt:

„Art.6: In allen Fällen, in denen das Gesetz die Todesstrafe für eine angeklagte Person vorsieht, soll die Strafart die gleiche sein, welches Verbrechens sie sich auch immer schuldig gemacht hat; der Verurteilte soll enthauptet werden; dies geschieht mit Hilfe einer einfachen Mechanik.“

Eine Maschine zum Wohle der Menschheit soll den „Nullpunkt der Marter“ (Michel Foucault) garantieren. Das über Jahrhunderte praktizierte „peinliche Strafsystem“ mit seinen physischen Martern paßt in seiner konsequenten Roheit nicht zum modernen Aufklärungsimpetus der revolutionären Selbstdarstellung. Nicht mehr die exemplarisch und terroristisch inszenierte Rache der königlichen Übermacht am Körper des Verbrechers soll der Öffentlichkeit schockartig vorgeführt werden, sondern die chirurgisch einwandfreie und komplikationslose Beseitigung gesellschaftlicher Schädlinge.

Bereits der Verfasser des Artikels Mort in der Encyclopedie empfindet nicht den Tod an sich als beunruhigend, sondern „die letzten Zuckungen der Maschine, die zum Stillstand kommt“. Die „Sichel der Parze“ durchschneide den Lebensfaden schließlich, „daß es kaum spürbar ist“. Gerade diese Eigenschaft des neuen Enthauptungsgeräts ist es dann, die Guillotin in seiner flammenden Rede für die Änderung des Strafvollzugs rühmt: „Die Maschine wirkt wie der Blitz, der Kopf rollt, das Blut sprudelt, der Mensch ist nicht mehr... Das Opfer leidet überhaupt nicht, es spürt lediglich ein kurzes, kaltes Gefühl im Nacken.“

Die Nationalversammlung vermag dem Enthusiasmus Guillotins in diesem Punkt jedoch nicht zu folgen. Erst am 1.Juni 1791 beschäftigt sie sich mit der grundsätzlichen Frage der Todesstrafe, weist Robespierres (!) Appell um deren Abschaffung zurück und bestimmt am 3.Juni 1791 die Enthauptung zur Vollstreckungsart, da der Galgen (als zweite „sanfte“ Methode) für die Familien der Verurteilten von alters her als entehrend gilt.

Weitere fünf Monate braucht Charles Henri Sanson, der Scharfrichter, für seine Stellungnahme zur Methode. Darin erscheinen sowohl das Schwert als Vollstreckungsinstrument als auch der „menschliche Faktor“ des ausführenden Henkers dem sich drastisch vermehrenden, repetitiven Akt der Enthauptung nicht gewachsen. Sanson kann die geforderte Gleichbehandlung aller Verurteilten mit dem bisherigen Instrumentarium keinesfalls garantieren: „Wenn mehrere Personen nacheinander hinzurichten sind, ist es unbedingt notwendig, einen ausreichenden Vorrat an einsatzbereiten Schwertern zur Verfügung zu haben. Ferner ist zu bedenken, daß bei dieser Hinrichtungsform schon oft Schwerter zerbrochen sind... Man sollte der Tatsache Rechnung tragen, daß bei der aufeinanderfolgenden Hinrichtung mehrerer Personen die Schrecklichkeit der Exekution - durch die ungeheure Menge verspritzten Blutes - selbst in den Unerschrockensten der auf ihre Hinrichtung Wartenden Furcht und Schrecken hervorrufen muß... All dies ist einer Exekution durch Abschlagen des Kopfes hinderlich... Um den humanitären Bestrebungen der Nationalversammlung zu entsprechen, ist es daher unerläßlich, ein Mittel zu finden, das den Verurteilten während der Hinrichtung in einer unbeweglichen Lage hält, damit jede Ungewißheit bei der Exekution ausgeschaltet und Verzögerungen vermieden werden.“

Zum Anspruch auf Humanität und Gleichberechtigung tritt das Argument der Rationalität: Eine zusehends maschinell orientierte Weltsicht entwickelt einen besonderen Anspruch an die Effektivität und Präzision ihrer Arbeitsinstrumente. Ungeliebtes Kind der Aufklärung

Bedrängt von der wachsenden Zahl der Verurteilten, wendet sich der Nationalkonvent im März 1792 an Guillotin, der jetzt die Realisierung seiner „einfachen Mechanik“ ausführen soll. Dieser ist jedoch aufgrund der ersten ablehnenden Reaktion auf seinen Vorschlag verstimmt und weicht dem Ansinnen des Konvents aus, woraufhin der ständige Sekretär der chirurgischen Akademie, Dr. Louis, mit der Problemlösung betraut wird. Dieser entwirft ohne Zögern eine Enthauptungsmaschine, mit deren Konstruktion der deutsche Klavierbauer Tobias Schmidt am 10. April 1792 beginnt.

Am 17. April 1792 kommt es in einem Seitenhof der Anstalt von Bicetre - einer vor den Toren von Paris gelegenen Anlage mit Gefängnis, Krankenhaus und Altersheim - zum ersten Stapellauf des Fallbeils an Leichen. Es zerstört dabei jede Illusion von Humanität in Verbindung mit seiner Tätigkeit. Die Anwesenden erleben „eine Maschine, die die Menschheit nur mit Schaudern betrachten kann, die aber für die Gerechtigkeit und das Wohlergehen der Gesellschaft notwendig ist“.

Die Fertigstellung der Guillotine ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit von aufgeklärter Medizin (die sich damit in der Kunst des Tötens auszeichnet), deutschem Handwerks- und Geschäftssinn (Schmidt machte den günstigsten Kostenvoranschlag) und einer unter Vollstreckungszwang einmal erlassener Todesurteile stehenden Nationalversammlung. Als deren Produkt absolviert dies Wunderwerk der Tötungstechnik seine Reifeprüfung.

Niemand möchte nach derartigen Erfahrungen die Vaterschaft dieses ungeliebten Kindes der Aufklärung übernehmen. Ihr eigentlicher Erfinder, Dr. Louis, entgeht der unangenehmen Ehre einer Benennung der Enthauptungsmaschine nach ihm. Nur gelegentlich taucht die Bezeichnung Louison oder Louisette auf. Offensichtlich ist es die phonetische Griffigkeit, die zuerst den Volksmund und dann schnell die Allgemeinheit zum endgültigen Namen greifen läßt. Der Chevalier de Champcenetz, Mitglied der Academie fran?aise und selbst am 23.Juli 1794 guillotiniert, prägt im Dezember 1789 aufgrund der Rede Guillotins im Nationalkonvent den unsterblichen Neologismus: „Römer streng / Guillotin / ... / Seine Hand / Rasch erfand / Die Maschine / Die ganz leicht uns töten kann / Und die man nennt sodann / Guillotine.“ Guillotin verteilt in seinem Unglück über diesen „Volksentscheid“ aus „philantropischen Gründen“ selbsterfundene Pillen an Freunde, mit denen diese ihr Leben beenden könnten, falls eine Enthauptung drohen sollte.

Keinesfalls handelt es sich bei der Guillotine um ein allererstes Auftreten einer Enthauptungsmaschine, sondern lediglich um ihre modernisierte Einführung in Frankreich. Ihre Vorläufer waren im 15. und 16.Jahrhundert in Italien (unter dem Namen mannaia), England (Halifax gibet) und Schottland (maiden) und sogar schon im 12. und 13.Jahrhundert in Neapel, Deutschland und Holland im Einsatz. Allerdings war diese Behandlung - mit Ausnahme von Schottland - dem Adel reserviert, da die relative Schmerzfreiheit und die Tatsache, nicht von den entehrenden Händen des Henkers berührt zu werden, ein außerordentliches Privileg darstellten.

Bei der öffentlichen Voraufführung von „Madame Guillotin“ (Warum wird dieses männliche Tötungsinstrument, von Männern erfunden und von Männern mit Opfern versorgt, ausgerechnet mit einem weiblichen Namen belegt? Das ist der reinste Hohn! d.S.) kommt es zum typischen Ernüchterungseffekt moderner Erfindungen: Eine gewaltige Menschenmenge hat sich am 25.April 1792 erwartungsvoll um die unter umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen auf dem Place de Greve aufgebaute Hinrichtungsbühne versammelt. Die Jungfernfahrt des Fallbeils trennt um Punkt drei Uhr dreißig den Kopf Nicolas -Jaques Pelletiers vom Rumpf. Dieser Höhepunkt der Veranstaltung wird zur großen Enttäuschung des versammelten Volkes, da die blitzartige Geschwindigkeit des Enthauptungsvorgangs jeden optischen Genuß abschneidet: Die gespannt erwartete Klimax ist im Moment des Beginns auch schon vorbei und erzeugt damit die bis dato unbekannte Problematik der Profanierung öffentlichen Sterbens.

Daniel Arasse hat in seiner bemerkenswerten Untersuchung zur Guillotine dieses Paradox auf den Punkt gebracht: „An der Guillotine manifestiert sich ein Paradox, die 'Nichtigkeit der Entfernung‘. Der in der Zeit unteilbare Punkt, den man „Moment der Guillotine“ nennen könnte, mißt im Raum 14 Fuß Höhe. Auf seinen Pfeilern thronend, macht das Fallbeil die zeitlich nicht genauer vorstellbare Dimension des Augenblicks räumlich sichtbar, es ist gewissermaßen die räumliche Verkörperung des Augenblicks. Wahrscheinlich ist die Guillotine unter allen Maschinen die einzige, die in dieser Kraßheit das zerstörerische, zerreißende Potential jedes Augenblicks verdeutlicht. In ihren furchterregenden Aufbauten wird die ursprüngliche Bedeutung „instanter“ Macht manifest: instans, darüberstehend - bevorstehend drohend. Dabei erscheint die Maschine um so bedrohlicher, als sie gerade durch ihre absolute Zuverlässigkeit die Zielgerichtetheit der Zeit und die Unausweichlichkeit des Todes symbolisiert: Die Guillotine erweist sich als die mechanisierte und unfehlbare Nachfolgerin der „saturnischen Sichel„; eine Eigenschaft, die uns noch beschäftigen wird. „Ich denke, aber ich

bin nicht mehr“

Kritiker der Guillotine lösen mit der Behauptung, der abgetrennte Kopf lebe noch einige Zeit nach der Enthauptung, eine turbulente Diskussion aus. Demnach würde die Guillotine das Absurdum erlebten Totseins produzieren, gleichsam die Infragestellung des kartesianischen Cogito: „Ich denke, aber ich bin nicht mehr!“ Zuverlässig und wissenschaftlich abgesichert produziert die von den Aufklärern erdachte Maschine „ex machina“ eine neue Hölle. So ist die Guillotine selbst höllischer Natur: Im unsichtbaren Augenblick, dem Produkt ihrer unfaßbaren Schnelligkeit, schafft sie einen Moment, in dem sich die Hölle der Menschan bemächtigt, eine Zeitspanne, in der alles Licht der Aufklärung verlischt und die Dunkelheit triumphiert. Die Kontroverse um dieses Problem vom abgeschlagenen Kopf mit Bewußtsein seines Todes spiegelt drei Elemente des Problems: das politische, philosophische und medizinische. Robespierre und seinen Jakobinern ist daran gelegen, die einzigartige Position den (Königs-)Kopfes über dem (Volks-)Körper aufzulösen. Die philosophischen Mediziner der Aufklärung betreiben mit ihrer Überzeugung, daß dem menschlichen Bewußtsein kein bestimmter Sitz im Körper zuzuordnen ist, die Abwertung des bis dahin dafür reservierten Gehirns: „Das Laboratorium des Lebens befindet sich im ganzen Rumpf“ (so P.J.G. Cabanis im Vorwort zu seinem Werk Über die Verbindung des Physischen und Moralischen in den Menschen). Diese bis heute ungeklärte Debatte markiert die Aufbruchszeit der modernen Medizin, die den Körper als organisches Ganzes begreift und die alte medizinische Hierarchie zwischen Kopf und Korpus zusammen mit dem Schrecken des sterbenden Hauptes aufzulösen versucht.

Zu Höhepunkt und eigentlicher Premiere der Guillotine wird der 21.Januar 1793, der als absolutes Novum in die Geschichte eingeht: Zum ersten Mal kommt es zur öffentlichen Hinrichtung eines Königs durch sein eigenes Volk. Die Reibung zwischen dem technischen „Massenartikel“ des prosaischen Hinrichtungsinstruments und der Sakralität des verurteilten Königs schafft die ungeheuere Symbolkraft der Guillotine, die zum „Star“ des Enthauptungsrituals wird: Eine Maschine verdrängt die alte Welt von König und Scharfrichter durch das „Schauspiel der Gesetz gewordenen Vernunft und Gerechtigkeit“ und wird damit zum „Emblem der Volksregierung“ (Arasse).

„Einen Augenblick aufgehalten, setzte sich der Zug wieder in Bewegung und rückte durch das Schweigen des regungslosen Volkes bis zur Mündung der Königsstraße in den Revolutionsplatz. Da sah man bei einem Strahle der Wintersonne, der den Nebel durchbrach, den Platz mit hunderttausend Köpfen bedeckt, das Schaffot von den Regimentern der Garnison von Paris umringt, die Henker, die auf das Opfer warteten, und das Werkzeug der Hinrichtung, das seine blutrothgefärbten Pfosten und Balken über die Menge emporreckte.

Dieses Werkzeug war die Guillotine... Dieses Beil... gleitete zwischen zwei Rinnen... hinab und trennte mit der Schnelligkeit des Blitzes den Kopf durch das Gewicht seines Falls vom Rumpfe“, so Lamartine zum Ereignis.

Die Guillotine ist die anonyme Protagonistin, welche die jahrhundertealte Partnerschaft von König und Henker auf ihrer öffentlichen Bühne zerschlägt. Der 21.Januar 1793 wird zur Tauffeier der „wahren Ordnung der Natur“, bei welcher der zur barbarischen und blutsaugenden Gottheit gewordene König geopfert und damit seine Sakralität der Guillotine übertragen wird: Ludwig XVI. tritt durch ihr „Tor“ ab, und die neuen Machthaber ziehen ein. Durch die Reduktion des heiligen Körpers auf das Normale und Rationale, seine Gleichstellung mit dem Volk, vereinnahmt die neue „Hoheit“ Guillotine im Augenblick der Königstötung dessen bisherige Rechte und vollzieht blitzartig den Transfer des Sakralen.

„Die Französische Revolution ist also eine politische, die in der Art einer religiösen Revolution zu Werke gegangen ist und gewissermaßen das Aussehen einer solchen angenommen hat“, sagt Tocquevilles in seiner Analyse.

Die Klarheit der Guillotineform aus Rechteck, Dreieck und Kreis betont dabei die „universelle Gültigkeit der Geometrie und Schwerkraft“ und unterstreicht den „Triumph zweier 'gerechter‘ und 'vernünftiger‘ Denksysteme“. In ihrer visuellen Botschaft wird somit eine „regelmäßige und regelgemäße Gesellschaftsordnung garantiert“ (D. Arasse).

Im „Fest“ der Königstötung zeigt sich die Ambivalenz der revolutionären Situation. Während einerseits das vergossene Königsblut zum Siegellack der Gründungsurkunde der Volksrepublik wird, entsteht unmittelbar nach der Vollstreckung am Schafott ein Blutrausch und Fetischkult, der das Volk für viele beobachtende Zeitgenossen zu Kannibalen macht. Kleidung, Haar und Blut des toten Bürgers Capet werden zu Waren eines Reliquienschwarzmarktes grotesken Ausmaßes. Darin kündigt sich die bluttriefende Phase des terreur an, die einen entsetzten Abbe zur zynischen Forderung eines „nationalen Schlachterladens“ für aristokratisches Fleisch veranlaßt, in dem unter Strafandrohung „ein Gesetz allen Bürgern vorschreibt, dort mindestens einmal in der Woche einzukaufen“. Im Gegensatz dazu preist Chaumette die Guillotine als „Sinai der Franzosen“, als „Vulkan, dessen Lava unsere Feinde verschlingt“, während Camille Desmoulins im Vieux Cordelier den religiösen Charakter des bald alltäglichen Guillotinenschauspiels ironisch kommentiert: „Ich glaube, es war gut, den Schrecken auf die Tagesordnung zu setzen und das Rezept des Heiligen Geistes anzuwenden, daß 'die Furcht vor dem Herrn der Anfang der Weisheit ist'; das Rezept des guten alten Sansculotten Jesus, der sagte: 'Halb aus freien Stücken, halb gezwungen, Hauptsache, sie werden bekehrt, compelle eos intrare.'“

Die große Faszination der Revolutionsmaschine verschafft ihr baldigen Zugang zu Salon und Kinderspiel: „In den Tagen der Revolution gab es Damen der Aristokratie, die Miniaturguillotinen auf die Tafel setzten; kleine Puppen mit den Gesichtszügen Fouquiers oder Robespierres wurden zu einer grotesken Hinrichtung zurechtgelegt; das Beil fiel und aus dem Nacken der Puppe ergoß sich ein scharlachroter Strahl, in den die Damen ihre Taschentüchlein tauchten. Ein blutiger Scherz, zu dem man ein kostbares Parfüm verwandte.

Und welch unvergleichliches Spielzeug für Kinder stellte die grausige Erfindung dar! Im September 1794 stellte der Conseil general von Arras fest, daß die Kinder des Bezirks einem merkwürdigen Vergnügen nachgingen. Sie pflegten Mäuse und Vögel mit Hilfe einer kleinen, etwa 60 Zentimeter hohen Guillotine zu enthaupten“, so berichtet Alister Kershaw in seiner Geschichte des modernen Fallbeils.

„Sacram Sanctam Guillotinam“

Um die „rote Messe“ der Guillotinierungen entwickelt sich ein religiöser Kult, bei der die Maschine durch die rituelle Wiederholung des Enthauptungsvollzugs zu Mahnmal und Altar der neuen Religion wird: „Sie kamen am Fuß des schrecklichen Blutgerüstes an... Der Redner kniete nieder, erhob sich wieder und lobpries, ja verherrlichte zu uns gewandt die Guillotine im Namen der Freiheit, in Formulierungen so erschreckender Anakreontik, daß mir ein kalter Schweiß über die Stirne lief und sich wie ein Schleier über meine Augen legte“, ist der grausig-faszinierte Kommentar eines J.C.E. Nodier in seinen Souvenirs et portraits de la Revolution.

Auch Victor Hugo kennzeichnet in seinem großen Roman Die Elenden die Guillotine als Exempel der Aufladung der Vernunft mit Grauenhaftem und sozial Fragwürdigem: „Die Guillotine ist die Verhärtung des Gesetzes... Sie ist nicht unparteiisch und erlaubt einem nicht, unparteiisch zu bleiben. Wer sie erblickt, erschauert in geheimnisvollsten Schauern. Um dieses Beil herum setzen alle sozialen Fragen ihre Fragezeichen.“

Als „sacram sanctam Guillotinam“ geht die Enthauptungsmaschine in die jakobinische Verwaltungssprache ein und wird deren Hauptinstrument. Sie garantiert im Dienst des Schreckens das reibungslose Funktionieren der Machtmaschine.

Die von J.J.Rousseau inspirierten jakobinischen Installateure des „Volkskörpers“ erhalten mit der Guillotine einen chirurgischen Apparat, dessen Effektivität den für notwendig erachteten Operationen an diesem Körper angemessen ist. Wie wir schon gesehen haben, sind Schwert und Scharfrichter dem reinigenden Aderlaß der Terreur-Zeit nicht gewachsen. Der sich stetig beschleunigende Rhythmus der Guillotineautomatik reiht die Ergebnisse ihrer Produktivität zur endlosen Gebetsmühle des Jakobinismus.

Keineswegs kann man dem wachsenden Appetit der Enthauptungsmaschine ein unkontrolliertes „Fressen“ unterstellen: Die „Heilige Guillotine“ arbeitet immer schön der Reihe nach und negiert durch den regelmäßigen technischen Zerstörungsprozeß mit dem immergleichen Sterbevorgang die Individualität der Verurteilten. Eine bereits fertiggestellte „sechsmaulige“ Schwester kommt nicht zum Einsatz, da ihre Funktion sich auf eine effektivere Beseitigung der „Volksschädlinge“ reduzieren würde. Der Demonstrationseffekt des Ritus strenger Vollzugsreihenfolge, der in seiner betonten Ordnung die Herrschaft von Vernunft und Gesetz symbolisieren soll, wäre damit hinfällig.

Dieser seriellen Verfahrensweise wird mit einer spezialisierten Berichterstattung Rechnung getragen, deren berühmteste Tisset verfaßt hat. Ihr Titel lautet: „Bericht an die Sansculotten der Französischen Republik, von seiten der sehr mächtigen und sehr tüchtigen Madame Guillotine, Herrin der Place du Carrousel, des Revolutionsplatzes, der Place de Greve und weiteren Terrains; enthaltend den Namen, Vornamen und Beruf, Geburtsort, Alter und Tag des Urteilsspruchs all derer und derjenigen, denen sie seit ihrem Amtsantritt im Monat Juli des Jahres 1792 bis heute den Paß ins Jenseits ausgestellt hat...“

In der komprimierenden Eigenschaft der Guillotine bezüglich Zeit und Raum zeigt sich ihre Analogie zum revolutionären Geschehen: Die Blitzartigkeit und Effektivität ihrer Arbeitsweise spiegelt die Rhetorik der Jakobiner, welche die Revolution als Beschleunigung geschichtlicher Bewegung beschreibt und damit den Einsatz des Fallbeils rechtfertigen. Mechanischer Star des tödlichen Revolutionstheaters

Die Funktion der Guillotine als Theatermaschine erweist sich in ihren Auftritten, die zu den bestbesuchten Festen der Revolution führen und damit zu ihrer Selbstfeier avancieren.

Zeit und Ort des eigentlichen Dramas ist der Umzug der Verurteilten vom Gefängnis zum Schafott, bei dem Sansons Karren den mittelalterlichen Schinderkarren symbolisiert und die Beziehung von Opfer und Volk ihren Höhepunkt erreicht. Der erniedrigende Charakter dieses Zeremoniells kulminiert in der liegenden Position des Verurteilten auf dem „Streckbett zum ewigen Schlaf“, wie der Kippmechanismus des Brettes genannt wird, auf den der Körper des Opfers gebunden wird.

Die Guillotine ist der „Star“ und die erste Maschine auf der Bühne, während dem Henker eine dauernde Statistenrolle zufällt. Das Hinrichtungstheater inszeniert den echten Tod mit zwangsläufig einzigartiger Besetzung und löst in seinem Ritual der richtenden Vernunft das religiöse Ritual des Ancien regime ab. Immanuel Kant und Edward Burke analysieren den Schrecken als „Quelle des Erhabenen“ (Heil Dir, oh Kali! d.S.), dessen höchste Wirkung das „Erschauern“ ist. Dieser Effekt des Revolutionstheaters wird jedoch durch die heftigen Eingriffe des Volks gestört, das sich in der Rolle des glücklichen Voyeurs nicht immer begnügen will.

„Das Tragische läßt in der Übertreibung kalt“, meint schon C.Demoulins und prophezeit damit die kontraproduktive Wirkung der Guillotinenauftritte durch ihre eskalierende Produktion von Toten (von fünf auf 38 zwischen März 1794 (Germinal) und Juli 1794 (Thermidor)). Die anfallenden Leichenhaufen und Blutströme führen zu einer Verrohung des Volks; der Aderlaß der Nation verhilft nicht zu Vernunft und Gerechtigkeit, sondern läßt Aberglaube und alte Schreckgespenster wieder aufleben: „Das Blut der Hingerichteten bildet auf dem Platz, wo es vergossen wurde, große Lachen... Hunde gehen hin und trinken es... und eine Menschenmenge weidet sich an diesem Schauspiel, welches zur Roheit verleitet... Ein Bürger erzählte gestern einer Gruppe von Zuschauern, daß er seinen Freund nie dazu hätte bewegen können, sich der Stelle zu nähern, wo das Schafott aufgestellt wird, weil man ihm gesagt hatte, daß mehrere der Hingerichteten den Ort heimsuchten“, so H.Fleischmann in La Guillotine en 1793.

Auch der Henker gewinnt seine ungeheuerliche Aura zurück. 1790 ist das bis zur Französischen Revolution unvorstellbare Wesen des Scharfrichters zusammen mit Juden und Schauspielern in volle Bürgerrechte gesetzt und damit auch als Volksvertreter wählbar geworden. Im Laufe seiner Tätigkeit kollabiert die Indifferenz dieses Funktionärs und „sorgfältigen Mechanikers“ (M.Foucault) des Todes an der Ungeheuerlichkeit seiner Tat: Im Zeigen des abgeschlagenen Kopfes als Abschluß der Enthauptung scheint die Geste des Griechen Perseus auf, der den Tyrannen Polydektes mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa versteinert. Der Bannstrahl des bluttriefenden Kopfes in der hochgehaltenen Hand des Henkers ist gefächert in ein Lichtspektrum, das bis in die tiefsten Schatten menschlicher Vorstellungskraft reicht. Neben der voyeuristischen Solidaritätswirkung auf das Volk angesichts des vernichteten Schädlings löst die Banalität des Guillotinentodes genau die irrationalen Reaktionen der Vergangenheit aus, die von der „einfachen Mechanik“ endgültig überwunden werden sollten: Das moralische Theater der Guillotine ist dem unfaßbaren Anblick des Todes nicht gewachsen. Abschiebung des Unerträglichen durch das Bürgertum

Die Veränderungen von Veranstaltungsort und optischer Gestaltung der Guillotine tragen den beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen ihrer Auftritte Rechnung: Gewöhnliche Verbrecher werden bis zum Mai 1793 auf dem Place de Greve, politische auf dem Place du Carrousel guillotiniert. Ausnahme ist der König, dessen Enthauptung auf dem Revolutionsplatz (ehemaliger Place Louis XVI.) stattfindet. Auf den Revolutionsplatz wird die Guillotine vom Mai 1793 bis zum Juni 1794 verlegt, und zwar, weil sich die in den Tuillerien tagenden Konventsabgeordneten durch den Anblick gestört fühlen. Ab 1794 kommt es zur schrittweisen Auslagerung des Schafotts: 1832 wird der Weg der Verurteilten verkürzt; ab 1851 wird die Guillotine vor den Gefängnismauern aufgebaut; 1872 schafft man die Schafottbühne ab; von 1899 an finden die Hinrichtungen nur noch innerhalb der Gefängnismauern statt, und ab 1939 ist die Öffentlichkeit endgültig ausgeschlossen.

Die Gestalt der Guillotine verändert sich ebenfalls: Aus dem hochbeinigen „Blutrachen“ auf dem Schafott wird die kleine, kompakte Form, die jüngst in der Berliner Kunsthalle zu besichtigen war. Die „Porträtmaschine“

Der Charakter der Guillotine als „Porträtmaschine“ und „Staffelei des Todes“ entsteht in ihrer Produktion einer Momentaufnahme des Verräters: Nach der Positionierung des Leibes durch den „photographeur“ genannten Gehilfen des Henkers passiert der Kopf das „Fenster“ und ist isoliert vor der „Leinwand“ der Guillotine zu sehen, die von ihrer Chassis gerahmt wird. Dabei verwirklicht die Schnelligkeit der Köpfungsmaschine gewissermaßen das Ideal des klassischen Porträts. „Indem die Guillotine den allerletzten Gesichtsausdruck einfängt, zeigt sie die gesamte Lebensgeschichte und ihren zur Maske verdichteten Sinn“ (D. Arasse).

Anknüpfend an diese Verschlußmechanik bezeichnet der Terminus „guillotine“ im 19. Jahrhundert den Verschluß eines Photoapparats, der sich besonders für Porträtaufnahmen eignet. Man kann hier unschwer den Stammbaum der verfeinerten Kontrollinstrumente des modernen Überwachungsstaats erkennen. Außerdem läßt die Photographie wiederum „das Faszinierende des sterbenden, gleichzeitig noch lebendigen und bereits toten Kopfes wiederaufleben“, meint Arasse in bezug auf Roland Barthes: “...man photographiere einen Leichnam (...); wenn die Photographie dann entsetzlich wird, so deshalb, weil sie gewissermaßen bestätigt, daß der Leichnam als Leichnam lenbendig ist.“

Daniel Arasse beschreibt die Photographie als Schwester der Guillotine und in dieser Verwandtschaft den Übergang der ästhetischen Wissenschaft der Proportionen zur kriminologischen Wissenschaft der Identifikationen (ein Zusammenhang, den Michel Foucault in seiner Darstellung der Geburt des Gefängnisses „Überwachen und Strafen“ ebenfalls ausführt). Der Mensch wird vom Darstellungsziel zum Identifikationsobjekt, das der Aufsicht der Kontrolle der Vernunft und ihrer Instanzen bedarf. Auftritte

Georg Büchner erfaßt in seinem Revolutionsstück Dantons Tod auf geniale Weise die latente Dominanz der Guillotine. Die gesamte räumliche Struktur des Dramas ist geprägt von einer eskalierenden Klaustrophobie, die unweigerlich auf den Eisenzahn der Enthauptungsmaschine zusteuert. Die einzelnen Szenen stellen subjektive Zeitfetzen dar, um die der objektive „Lavastrom“ der Revolution fließt. In den Gassen herrscht der rasende Hunger des Volkes, dessen Wut durch die menschenfressende Tätigkeit der Guillotine gekühlt werden soll. Die Gassen funktionieren hier als Kanalisationssystem einer sich verselbständigten Gewalt, die alles vom Konformitätsdogma Abweichende auf den Revolutionsplatz in das unersättliche Maul der Guillotine spült.

Einen prägnanten Eindruck ihrer molochartigen Skulptur gibt die Danton-Verfilmung von Andrej Wajda, in der die Guillotine eine visuelle und akustische Hauptrolle spielt. Schon in den ersten Szenen tritt sie auf als Sinnbild des „Schwarzen Mannes“: Gehüllt in einen schwarzen Überzug steht die Guillotine hochaufgerichtet im Zentrum des nächtlichen Paris und funkelt durch einen Spalt im Mantel den vorübereilenden Danton mit ihrem Eisenzahn an.

Die Filmmusik besteht aus einem dumpf-metallenen Klangteppich, der untergründig permanent an Aufbau und Aktion der „Madame Guillotine“ erinnert. Höhepunkt schließlich ist die Enthauptung der Dantonisten, die Wajda mittels Zeitlupe und Wiederholung zu einem grausig -faszinierenden Blutspektakel dehnt: Das optisch verlangsamte Niedersausen der Riesenklinge markiert in seiner präzisen Unaufhaltsamkeit die Macht und Ohnmacht einer technisierten Welt. Die Menschenfressermaschine

Das schon von Thomas Carlyle beschriebene „ungeheure, zyklopenhafte Beil“ kennzeichnet den Schneidepunkt der menschlichen Entwicklung; in ihr konzentriert sich der unheimliche Mythos der Maschine. Die „sacram sanctam Guillotinam“ erscheint als die technische Wiederauferstehung einer menschenfressenden Gottheit.

Die visuell und akustisch exemplarische Funktionalität der Guillotine in Form von Rechteck, Kreis, Dreieck und Schlag weist ihr einen besonderen Standpunkt auf dem Stammbaum der Horror- und Schreckenssymbole der alten bis in die heutige Zeit: neben Saturn, der seine Kinder verschlingt, und dem Zyklopen Polyphem, deren Riesen- und Hexengefolge im Mittelalter und schließlich den Horrorfiguren moderner Märchen, dem Weißen Hai, den Gremlins und Aliens unserer Zeit, in deren Angriffsverhalten sich das erbarmungslose und blitzartige Zuschlagen des Eisenzahns wiederfindet.

Es ist eine Kette der Menschenfresser, die in ihrer Gestaltung eine Urangst des Menschen spiegeln und in jeder Kindheit bis weit ins Erwachsenenalter eine unheimliche Rolle spielen. Als Verkörperung des Fremden und Bösen belauern sie den angespannt ausgeleuchteten heutigen Lebensraum und beherrschen im Symbol des „Schwarzen Mannes“ dessen zwangsläufig produzierte Dunkelzonen.

Auf der unsichtbaren, weil verdrängten Grenze dieser zwei Welten steht die Guillotine als Menschenfressermaschine, die ihre mechanische Apparatur ins Licht reckt und deren Ursprung und Kraftpotentiale sich tief im „Reich der Schatten“ und der Unterwelt verzweigen.

Gerade die zugespitzte Gewalt des Schneidezahns verstärkt die Bannwirkung der „Heiligen Guillotine“: absolut blind und absolut immobil potenziert sich der Schrecken der installierten Zyklopenmacht im Niedersausen des Fallbeils. Das Zuschnappen dieses Rachens erklingt wie der geknebelte Wutschrei des zur Maschine ernüchterten Polyphem. Die Perfektion ihrer Skulptur verkündet die verdrängten irrationalen Potentiale menschlicher Angst.

Der historische Werdegang der Guillotine ist typisch für den der von Menschen konstruierten Monstren: Geburt im „Labor“ der Medizin, getestet im Zwielicht randstädtischer „Anstalten“, sensationeller Auftritt in der Öffentlichkeit, Verbannung zurück ins Zwielicht (Gefängnishof) und schließlich die reale Abschaffung und das ästhetische Überleben im Bereich der Fiktion und Phantasie.

Es ist bezeichnend, daß die entfesselten Energien dieser Revolution die Auferstehung und rasante Karriere einer solchen Maschine produzieren. „Das auffälligste Instrument der Macht, das der Mensch und auch sehr viele Tiere an sich tragen, sind die Zähne. (...) Man möchte sie als erste Ordnung überhaupt bezeichnen... Es ist wahrscheinlich, daß dem Menschen bei der Verbesserung der Werkzeuge die Zähne als Vorbild dienten“ (Elias Canetti).