: Die Rehabilitierung der Wünschelrute
In einer aufwendigen wissenschaftlichen Untersuchung haben Münchner Physiker die Existenz des Rutengängerphänomens nachgewiesen ■ Von Manfred Kriener
Der Proband ist blind und taub, seine Normalsensorik blockiert. Die Augen sind von einer geschwärzten Skibrille umschlossen und zusätzlich mit einem garantiert undurchsichtigen Tuch verhängt, die Ohren durch Schalldämpfer abgedichtet. Das Sprechen am Ort des Geschehens ist streng verboten, die Helfer dürfen sich nicht bewegen. Mitten auf der Wiese liegt ein roter Läufer ausgerollt, auf dem sich der Proband, nach „Störzonen“ suchend, langsam vortastet. In seinen Händen ruht, lang und dünn, aus Stahl, Messing oder Plastik, mit den Fingerspitzen behutsam geführt, das eigentliche Objekt der Begierde, jene Antenne des siebten Sinns, welche die Wissenschaft in einen „Erklärungsnotstand“ versetzt hat, von dem sie endlich befreit werden soll. Man könnte das Gerät in der Hand des Probanden auch als eine Art „Biodetektor“ bezeichnen oder einfach als Meßinstrument. Doch was da gemessen wird und vor allem wie, das weiß bis heute kein Mensch.
Esoterik oder Wissenschaft?
Das ominöse Ding ist eine Wünschelrute, der rote Läufer gehört einem Wissenschaftlerteam um die beiden arrivierten Münchner Physiker Betz und König, und das geheimnisvolle Geschehen mit blinden Probanden auf grüner Wiese ist ein öffentlich finanziertes, methodisch ausgeklügeltes Experiment zur Erforschung und Objektivierung des Rutengängerphänomens. Es geht um nicht weniger als um die Existenzfrage: Gibt es tatsächlich unbekannte ortsabhängige Umweltreize, sogenannte Erdstrahlen, die mittels Wünschelruten wahrgenommen werden können? Oder sind die vielen Berichte darüber nur Esoterik-Schnickschnack?
Das Bundesforschungsministerium hat sich die wissenschaftliche Klärung dieses Glaubensstreits eine schlappe halbe Million Mark kosten lassen. Das Ergebnis ist eindeutig: „Insgesamt gesehen zeigt die Analyse der Testergebnisse, daß die Existenz des Phänomens rutengängerischer Ortserkennung in statistischem Sinne mit hoher Signifikanz nachgewiesen werden konnte.“ Auf Deutsch: Wünschelruten sind kein Hokuspokus, sondern real existierende und funktionierende Meßinstrumente, die jetzt auch noch hochwissenschaftlich abgesegnet sind. Da staunt der Rationalist, aber mit Wundern hat das alles nichts zu tun.
Als die wissenschaftliche Erforschung des Wünschelrutenphänomens vor drei Jahren vorgestellt wurde, war die taz erstmal mißtrauisch und schlug sich instinktiv auf die Seite der Rutengänger. Fragestellung und Experiment seien so ausgelegt, daß doch nur ein Verriß der Wünschelrute herauskommen könne, hieß es mit Blick auf die aufwendigen Versuchsanordnungen.
Computer eingeschaltet
Den Rutengängern wurde in der Tat einiges zugemutet. Ihrer normalen Sinne beraubt, mußten einige Probanden denn auch wegen Schwindelanfällen ihren Detektor an den Nagel hängen und die Mitarbeit aufgeben. Argusäugig überwacht, wurde jeder Kontakt unter den Testkandidaten vermieden. Dann sollten die Rutengänger auch noch künstliche Wasserleitungen aufspüren. Aber der Reihe nach.
Der methodische Aufwand war immens. Schon im Vorfeld trafen sich ganze Rudel von Professoren aus verschiedensten Fachdisziplinen, um das Forschungsdesign für das Wünschelrutenexperiment zu diskutieren. Dann folgten Pilotstudien, Vorversuche und schließlich die eigentlichen Experimente. An den Versuchen mit insgesamt mehr als 500 Testpersonen wurden 20 Wissenschaftler beteiligt. Planung, Durchführung und Analyse der Versuche sollten auf viele Hände und Köpfe verteilt werden. Alle positiv verlaufenen Experimente wurden wiederholt, die Versuchsleiter dabei ausgewechselt. Protokollanten und externe Beobachter vervollständigten die Überwachung der Tests, Computer wurden eingeschaltet, um die Lage von künstlich gelegten Rohrleitungen nach dem Zufallsprinzip zu bestimmen.
Bei diesem Experiment mußten die Rutengänger eine zuvor entdeckte „Störzone“ wiedererkennen. Sie liefen dabei mit verbundenen Augen über ein zehn Meter langes Brett, das vor jedem Versuch neu positioniert wurde, so daß die „Störzone“ an jeweils anderer Stelle lag. Daß bei dieser Experimentreihe neben akustischen und optischen auch noch alle Wind-, Wärme- und Geruchseffekte ausgeschaltet wurden, soll für die hartnäckigen Skeptiker noch erwähnt werden. Jedenfalls brachten diese Versuche zunächst aus der Sicht der Rutengänger sehr schwache Ergebnisse. Das änderte sich erst in der letzten Testphase, als der Proband Nr.99, der ungekrönte König unter den Rutengängern, eine besonders kräftige „Störzone“ fand, die dann auch von vielen anderen Kollegen auf dem Prüfstand gut wiedererkannt wurde. Fazit der Wissenschaftler: „Dort gelangen mehrere extrem erfolgreiche Testserien.“ Genauer: Von den für diesen Versuchstyp ausgewerteten 40 Rutengängern erzielten 13 Personen signifikante und davon wieder acht Personen hochsignifikante Resultate.
Was ist aber nun signifikant? Die rechnerische Auswertung der Ergebnisse wurde von den Wissenschaftlern wiederum aus der Hand gegeben und Statistikern anvertraut. Anhand der Ergebnisse aller Laufbrettexperimente (auch der fehlgeschlagenen) errechneten sie eine Zahl von 1:100.000.000 für die Zurückweisung der Nullhypothese. Die Nullhypothese besagt: Alles Kokolores, Lug und Trug, das Phänomen existiert nicht.
Jetzt wird's übersichtlicher und einfacher. Die Rutengänger sollten bei diesem Test eine zehn Meter lange Strecke abgehen und eine künstliche, acht Zentimeter dünne Wasserleitung suchen, die sich ein Stockwerk tiefer befand. Das Fiese an der Rohrleitung war aber, daß sie vor jedem Test von einem Computer neu positioniert wurde.
Für die meisten Probanden war diese Anforderung zu hoch. Indes schlugen sich auch hier einige Kandidaten wacker und erzielten Ergebnisse, die Meister Zufall unmöglich zustande bringen könnte. Und nicht nur das. Proband Nr.99 war auch in der Scheune Herr seiner Sinne und erzielte bei zehn Durchläufen drei Voll- und zwei Beinahe-Treffer (siehe Abbildung). Ein solches Ergebnis kann zufällig, so die statistische Auswertung, „nur mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Promille erreicht werden“.
Und während sich die Wissenschaftler noch mit Promillen und Prozenten rumschlagen, hat der Giftkonzern Hoffmann-La Roche den Probanden Nr.99 längst eingekauft. Er wird dort - mit bemerkenswertem, aber unerklärlichem Erfolg, wie es heißt in der Wasserfindung eingesetzt.
Die Münchner Wissenschaftler notierten noch weitere Experimente mit signifikanten Resultaten, die hier nicht alle vorgestellt werden können. Aber die Wissenschaftler gingen auch in die Praxis. Kandidat 99 wurde von ihnen in ein zehn Kilometer langes Tal geschickt, um dort den optimalen Bohrpunkt für eine Wassergewinnung festzulegen. Unabhängig von ihm wurden dann zwei andere in den Vorabtests ebenfalls erfolgreiche Rutengänger losgeschickt. Alle drei fanden dieselbe Stelle. Der Abstand der gefundenen Bohrpunkte betrug 20 Meter. Und noch etwas fiel auf: Bei geophysikalischen Messungen des elektrischen Widerstands des Untergrunds und der seismischen Bodenunruhe wurde die Besonderheit des ermittelten Bohrpunktes gegenüber der Umgebung bestätigt.
Zum Ende noch ein Schmankerl. Bei ihren Untersuchungen haben die Münchner Wissenschaftler auch die bisherige Literatur zum Rutengängerphänomen ausgewertet. Dabei zeigte sich Erstaunliches. Ausgerechnet einer der Kronzeugen gegen die Rutengänger lieferte gutes Beweismaterial dafür. Der Amerikaner Randi hatte zehn Rohre vergraben und ließ nur durch eines Wasser laufen. Wer in acht von zehn Fällen das richtige Rohr herausfinden sollte, dem wollte Randi 1.000 Dollar zahlen. Der Mann behielt sein Geld und ließ die „erfolglosen“ Rutengänger verhöhnen. Diese hatten „nur“ in 22 Prozent der Fälle das richtige Wasserrohr erkannt - ein hochsignifikantes Ergebnis.
Der Wünschelruten-Report, Eigenverlag König und Betz, Mai 1989, 270 Seiten, 19,80 DM.
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