piwik no script img

Gesellschaften mit sehr beschränkter Haftung

Polens Firmengründungsboom ist volkswirtschaftlich äußerst ungesund / Eine GmbH kann man schon für drei Dollar gründen / Per Handelsgesetz leiten Fabrikdirektoren Preiserhöhungen in die eigene Tasche um / Schwarzhandel - ganz legal / Der Rechnungshof ermittelt, und manche Fabrikdirektoren kommen ins Schwitzen  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Der Bericht hat insgesamt nur 32 Seiten, aber einigen polnischen Fabrikdirektoren dürfte er dennoch den Schweiß auf die Stirn getrieben haben. Erstmals nämlich hat der polnische Rechnungshof in einer Studie dargelegt, von welch zweifelhaftem volkswirtschaftlichem Nutzen der Firmengründungsboom in Polen tatsächlich ist. Fast 7.000 Gesellschaften, meist mit begrenzter Haftung, wurden im letzten Jahr in Polen landesweit gegründet, doch der Untersuchung des Rechnungshofes zufolge war der Zweck des ganzen zumeist nur, inflationshemmende Steuer-, Lohn- und Preisvorgaben der Regierung zu umgehen. Daß der GmbH-Boom nicht auf besondere Investitionsfreude der Unternehmer schließen läßt, hängt mit den Bestimmungen des polnischen Wirtschaftsrechts zusammen: Eine GmbH läßt sich in Polen bereits mit 15.000 Zloty, umgerechnet gerade drei Dollar, gründen. Gesetzliche Mindesthöhe eines Anteils: 300 Zl, geringfügig mehr als eine Busfahrkarte.

Kein Wunder also, daß jeder, der irgendeine Form von wirtschaftlicher Tätigkeit plant, erst einmal eine GmbH gründet und damit seine Haftung praktisch auf Null begrenzt. Damit ist natürlich jeglicher Art von Schwindel und Betrügerei Tür und Tor geöffnet. Möglich ist das, weil der Handelskodex der zwanziger Jahre nach wie vor in Kraft ist, ohne daß man allerdings seine Paragraphen der Inflationsentwicklung angepaßt hätte. Jahrzehntelang kam niemand auf die Idee, sich auf seinen Wortlaut zu berufen: Wer etwa vorgehabt hätte, im Rahmen einer GmbH privat auch nur Eier zu verkaufen, wäre bereits wegen „Spekulation“ verhaftet worden, bevor er auch nur den Antrag auf Zulassung hätte unterschreiben können. Doch dann kam die Regierung Rakowski und erklärte ketzerisch, alles was nicht verboten sei, sei erlaubt. Und das Gründen von Billigst-GmbHs war nicht verboten.

So entstanden überall im Lande Gesellschaften mit sehr beschränkter Haftung und - das stellt sich nun heraus - auch mit sehr beschränktem Nutzen: zum Beispiel die „Mustergalerie GmbH“ in Opoczno, südlich von Warschau, die, laut Handelsregistereintrag eine PR-Firma, die Keramikfliesen der nahegelegenen Keramikfabrik „Opoczno“ vertreibt. So etwas mag in einer funktionierenden Volkswirtschaft einen Sinn haben. In einer Situation, in der Polens Bauherren wochenlang Schlange stehen, um wenigstens ein paar gesplitterte Ausschußkacheln zu ergattern, hat die Gründung einer PR-Agentur für „Opoczno“ nur einen Sinn: die Regierungsvorgaben für die Preisgestaltung zu umgehen.

„Opoczno“ liefert die Fliesen und Kacheln an die „Mustergalerie GmbH“, und die verkauft sie - ganz legal - zu Schwarzmarktpreisen weiter. Die kleinen Platten wurden einfach dadurch, daß die GmbH die Bestellungen von „Opoczno“ mit dem eigenen Stempel versah, sechsmal so teuer wie zuvor. Damit noch nicht genug. Mit fünf anderen Produzenten von Sanitäreinrichtungen und einigen Privatpersonen gründete „Opoczno“ noch eine andere GmbH, „Cerdom“, bei Tomaszow Mazowiecki, südlich von Warschau. In deren Hand befinden sich nun 90 Prozent der polnischen Sanitärgüterproduktion. Um „Cerdom“ und seine Wucherpreise kommt kein polnischer Häuslebauer mehr herum. Die Frage, warum „Opoczno“ nicht direkt verkauft und den Gewinn selbst einsteckt, beantworteten die Prüfer des Rechnungshofes in ihrem Bericht mit dem Hinweis, unter den Anteilseignern von „Cerdom“ seien allein sieben leitende Angestellte von „Opoczno“.

Eine beliebte Masche: Statt einen Staatsbetrieb kassieren zu lassen, leiten viele Direktoren polnischer Staatsfirmen den Erlös aus Preiserhöhungen so in die eigene Tasche um. Und nicht nur sie. Die Kontrolle des Rechnungshofes umfaßte unter anderem auch die Praktiken der Stadtverwaltung von Wesola bei Warschau. Die hatte ihr Planungs- und Bauamt kurzerhand privatisiert. In den bisherigen Amtsräumen richtete sich die „Wespol-GmbH“ häuslich ein, benutzte, ohne vertragliche Vereinbarung, Material, Beschäftigte und Telefon der Stadtverwaltung und führte damit die Aufträge der Stadt aus - nicht wesentlich besser oder schneller als zuvor, aber dafür um so teurer. Gründer der GmbH waren erwartungsgemäß die vorherigen früheren Architekten und Planer.

108 der fast 7.000 „spolki“, wie polnische GmbHs heißen, wurden von den Prüfern des Rechnungshofes untersucht. Bei zwei Dritteln der Fälle konnten die Beamten nur „überflüssige Vermittlung“ zwecks Hochschrauben der Preise entdecken, ebenso häufig waren es Leiter von Staatsbetrieben gewesen, die die entsprechenden GmbHs gegründet hatten oder leiteten. 40 Prozent der GmbHs waren nur zur Umgehung von Steuervorschriften gegründet worden, bei über 60 Prozent war der Anteil der Staatsfirma an der jeweiligen GmbH weit unter Wert ausgewiesen. Grund: Da der GmbH-Gewinn proportional zur Einlage verteilt wird, sollte der Gewinnanteil der Staatsbetriebe so gedrückt werden. Zugleich verringert sich so auch ein eventueller Pachtzins für von Staatsbetrieben gemietete Anlagen. Buchhalterisch ein Kinderspiel: Man lege einfach den veralteten Buchwert zugrunde, der zumeist ohnehin nicht der Inflation angepaßt worden ist. Nur in einem einzigen Fall, so der Rechnungshofbericht, sei der Wert der GmbH-Beteiligung einer Staatsfirma korrekt angegeben gewesen.

Im Finanzministerium überlegt man sich indessen, wie man die „GmbH-Pathologie“ (so eine polnische Wochenzeitung) zumindest begrenzen kann. Denn daß das Zwischenhändlerunwesen Blüten treibt, läßt sich in der jetzigen Übergangsphase des Systemwandels nicht wirklich verhindern. Im Zweifelsfall verkaufen die Angestellten von „Opoczno“ ihre Kacheln dann eben wie eh und je auf dem Schwarzmarkt, illegal zwar, aber dafür mit noch höherem Gewinn.

Jetzt überlegt man im Finanzministerium, ob man nicht zumindest die Mindesteinlagen zur Gründung von Betrieben anheben könnte. Eile tut not, denn das „Spolka-Syndrom“ ist ansteckend. Schon hat der Rechnungshof den ersten Fall eines Joint-venture entdeckt, das sich die Lage zunutze machte: Ein westdeutscher Mittelständler gründete mit dem Sportklub der Kohlegrube „Jastrzebie“ bei Katowitz die „Diamond GmbH“, der die Kohlegrube anschließend ein in zehnjähriger Arbeit erbautes Luxushotel zu einem Spottpreis vermietet. Zwar beträgt die Mindestsumme zur Gründung eines Joint-venture zur Zeit 100.000 DM, doch dafür bekam „Diamond“, so der Rechnungshof, ein Hotel, das ca. 150mal soviel wert war. Für die Hintergründe dieses Geschäfts interessiert sich inzwischen auch die Katowitzer Staatsanwaltschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen