: Medienarbeit als Beschäftigungstherapie
■ Die Videospielwiesen könnten auch zur Ablenkung von notwendigen Veränderungen dienen / Brecht wurde zitiert, aber falsch gelesen / Der Spaß am Zauberglanz der Videowelt braucht biedere Scheinheiligkeit zu seiner Rechtfertigung
„Die Demokratisierung der gesellschaftlichen Kommunikation“, „die Qualifizierung von Bürgerbeteiligung für das Eingreifen in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse“, „die Stärkung der Medienkompetenz von Bürgern“ und ähnliche, hochtrabend daherstolzierende Formulierungen wurden aus dem soziologischen Begriffsreservoir der siebziger Jahre hervorgekramt, um Investitionsinteressen aus dem CDU -Wirtschaftssenat für übrige Gelder einen fortschrittlichen Anstrich zu verleihen. Das Mißlingen des Modells Medienwerkstätten war bereits im Konzept enthalten, weil zuviele gegensätzliche Interessen nicht auf einen Nenner zu bringen waren.
Was schließlich als Qualifizierungsoffensive des Arbeitssenats durchgeführt wurde, sollte einerseits dazu dienen, Berlin dem erwünschten Image einer strahlenden Medienstadt näherzubringen, und gleichzeitig die vielzitierte Gegenöffentlichkeit mit emanzipatorischem Charakter fördern. Dieser Widerspruch bewirkte die Entscheidungslosigkeit in den Medienwerkstätten, ob eher produkt- oder mehr prozeßorientiert gearbeitet werden sollte, und für wen überhaupt? Die diffusen Vorgaben öffneten willkürlichen Einmischungen und unrealistischen Erwartungen von Trägerseite Tür und Tor.
Zum Teil inkompetente LeiterInnen verschleierten ihre eigene Ratlosigkeit oft durch unangemessenes Autoritätsgehabe gegenüber ihren MitarbeiterInnen. Diese erkannten schon bald, daß sie mit ihrer Halbqualifikation, ohne genaue Definition des Berufsbildes, gegenüber der enormen Konkurrenz von 'richtigen‘ Medienpädagogen und Journalisten auf dem Arbeitsmarkt überhaupt keine Chance hätten, und klammerten sich angesichts der unsicheren Zukunft um so mehr an die geschaffenen Einrichtungen. Einige haben es trotz aller Widrigkeiten geschafft, ihrer Tätigkeit einen gewissen Sinn zu verleihen. Die Sinnfrage der Medienwerkstätten als Ganzes ist aber nach wie vor ungeklärt.
Medien üben einen ungeheuren Sog aus. Alles, was durch die Medien geht, gewinnt scheinbar an Gewicht. Das ist nicht erst seit dem Fernsehzeitalter so, sondern bereits das 'schwarz auf weiß‘ Gedruckte galt als glaubhafter und wesentlicher als die Erzählung des Nachbarn.
Ob das angeknackste Selbstbewußtsein von Jugendlichen, die im elterlichen Wohnzimmer immer den Mund halten mußten, wenn der Fernseher lief, dadurch geheilt werden kann, daß sie nun selbst die Möglichkeit erhalten, auf der flimmernden Glotze zu erscheinen, ist zweifelhaft. Es gibt keinen Beweis, daß der Medienkonsum von Jugendlichen nachläßt, wenn sie selbst mit der Kamera hantieren. Die fertiggestellten Produkte unterscheiden sich kaum von den gewohnten, eingeprägten Strickmustern der Fernsehkultur. Das Lernen erschöpft sich in Nachahmung inklusive der Manipulationstechniken.
Medien gehören in unserem Kulturkreis inzwischen zum Alltag. Deshalb sollte auch jede/r das Recht haben, den aktiven Umgang damit zu erproben. Aber vielleicht wäre es besser, das Feigenblatt des alternativen Anspruchs wegzulassen. Die Arbeit der Medienwerkstätten hebt weder die Isolation auf noch ändert sie etwas an den sonstigen Berieselungsprogrammen.
Die Politisierungsansprüche scheinen gerade durch die, ganz ohne Medienhilfe zustandegekommenen, enormen Bewegungen im Nachbarland Lügen gestraft zu werden. Es drängt sich eher der boshafte Gedanke auf, daß engagierten Bürgerinitiativen mit dem Hinweis, ihr Anliegen doch in gut strukturierter Medienform auf Video darzustellen, mit dieser Art von Pseudobeschäftigung der Wind aus den Segeln genommen werden soll. Man hat 'etwas‘ getan und ist befriedigt (und befriedet). Das Video verstaubt dann in einem Schrank. Oder für Politiker, falls diese überhaupt davon erreicht werden, bietet sich die Möglichkeit, „dem Volk aufs Maul zu schauen“, ohne sich selbst auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Ein, allerdings tunlichst verschwiegener Aspekt, könnte auch die mögliche Förderung des Kaufanreizes für Videotechnik sein. Viele Nutzer kommen erst nach einem Wochenend-Workshop auf den Geschmack.
Für den 'ideologischen Überbau‘ des Modells wurde besonders Brechts Radiotheorie bemüht. Brecht kritisiert aber gerade die typisch bürgerliche Überschätzung aller Dinge und Einrichtungen, in denen 'Möglichkeiten‘ stecken. Kein Mensch kümmere sich um die Resultate. Zuerst würden Apparate produziert, für die dann irgend etwas veranstaltet werden müsse, um ihnen Stoff zu schaffen, um so die Existenz der Apparate zu rechtfertigen. Diese Kritik paßt gut auf die Medienwerkstätten. Sie zeigen Brechts Aktualität, allerdings anders als beabsichtigt.
Hannelore Müller
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