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Protokolle über eine alte Zeit II.

Kurt Hager vor dem Korruptions-Untersuchungsausschuß der Volkskammer  ■ D O K U M E N T A T I O N

Dr. Toepitz: ... Es ist eine Reihe von Schriftstellern in ihrem Schaffen beschränkt worden, und ein Teil von ihnen hat die DDR verlassen. Ich möchte einmal einige Namen nennen: Reiner Kunze, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Peter Huchel, Jurek Becker. Stefan Heym hat die DDR nicht verlassen, aber er hat auch Probleme gehabt mit seinem Schaffen. Was liegt dem Ihrer Meinung nach zugrunde? Wer hat das entschieden? Wer hat die Beschränkungen festgelegt, das Nichterscheinen der Bücher?

Prof. Hager: Zugrunde liegen sicherlich politische Differenzen, die zu bestimmten Zeiten bestanden, wobei ich die Liste, die Sie gerade genannt haben, etwas präzisieren möchte. Günter Kunert beispielsweise ist weiterhin Angehöriger der DDR. Er lebt mit einem Visum, das ihm ausgestellt wurde und das immer wieder erneuert worden ist, in den letzten Jahren in der Bundesrepublik. Jurek Becker lebt mit einem DDR-Visum in Berlin.

... Es geht darum, daß sie den Wunsch gehabt haben, außerhalb der DDR zu leben, weil sie in ihrem Schaffen beschränkt wurden. Wer war dafür verantwortlich?

Verantwortlich war z.B., um Kunert und dem damaligen Vertreter der Literaturwissenschaften, Prof. Hans Koch, stattfand. Hans Koch hat über Kunert geschrieben. Kunert hat eine Antwort erteilt, aber diese Antwort ist nicht veröffentlicht worden, und daraufhin ist Kunert zu dem Schluß gekommen, daß er hier nicht weiter arbeiten könnte, wobei ich mit ihm lange diskutiert habe, um ihn daran zu hindern, die DDR zu verlassen.

Der genannte - er lebt ja nicht mehr - Vertreter der Literaturwissenschaften, Koch, war Leiter des Lehrstuhls in der Akademie für Gesellschaftswissenschaften des ZK ... aber es gibt doch, Herr Hager, eine Linie, die eben, wie soll ich mal sagen, sich gegen die aufmüpfigen Schriftsteller richtete, daß man sie, sei es über Prof. Koch, der Parteiangestellter war, oder auf anderem Wege, attackierte, daß man ihnen das Leben schwer gemacht hat, daß bestimmte Publikationen von ihnen nicht mehr in der Deutschen Demokratischen Republik gedruckt wurden. Das ist nicht Ansiedlung von Zufälligkeiten.

Man kann nicht alle Fälle dieser Art über einen Leisten schlagen. Jeder hat seine besondere Eigenart und Geschichte.

Natürlich hängt das mit der gesamten politischen Orientierung zusammen, die besonders in den 60er Jahren herrschte. Dann kam das 6. Plenum des Zentralkomitees zu Fragen der Kultur, das sehr große positive Resonanz fand, und danach kam eine Reihe von Schwierigkeiten, Auseinandersetzungen mit Schriftstellern, Künstlern in ihren Verbänden und in der Öffentlichkeit, und einige haben die DDR dann endgültig verlassen. Andere wiederum, so wie ich vorhin sagte, sind DDR-Bürger geblieben. Wenn Sie nach den Ursachen fragen, so muß man sagen: Das war ein Ausdruck der

-wenn Sie so wollen - damaligen gesamtpolitischen und auch kulturpolitischen Orientierung...

Wer hat denn die Grenzen gezogen, was „gegen die Gesellschaftsordnung gerichtet“ war?

Die Grenze ist gezogen worden durch die gesamtpolitische Orientierung, durch die Beschlüsse, die gefaßt worden sind, z.B. in den Jahren seit dem VIII. Parteitag.

Es hat auch eine Reihe von Schauspielern die DDR verlassen: Hilmar Thate, Angelika Domröse, Manfred Krug. Können Sie sich erklären, warum eine solche Frustration bei diesen Künstlern aufgetreten ist?

Ich habe mir das selbst zu erklären versucht und habe unter anderem damals Hilmar Thate und Angelika Domröse zu mir eingeladen. Wir hatten ein langes Gespräch. Sie waren frustriert. Es hat ihnen das geistig-kulturelle Klima in ihrem Bereich nicht zugesagt oder vielleicht auch die Rollen, die sie bekamen. Thate hatte damals Richard III. gespielt, als letzte größere Aufgabe. Aber sie waren entschlossen, die DDR zu verlassen und im Westen zu arbeiten. Ich habe mit ihnen gesprochen und versucht, sie davon abzuhalten. Sie hatten prinzipielle Einwände gegen die politische und geistig-kulturelle Lage in der DDR zum damaligen Zeitpunkt.

Abgeordneter Knöfler: Herr Hager, Sie versuchen, verschiedene Sachen damit zu entschuldigen, daß sich das aus der konkreten historischen Situation ergeben habe. Nun entsteht ja eine konkrete historische Situation nicht von selbst, sondern sie wird ja von Menschen geschaffen...

Erstens habe ich gar nicht die Absicht, irgend etwas zu verkleinern oder zu entschuldigen. Natürlich hat es auch von meiner Seite im Verlaufe der Jahrzehnte, in denen ich verantwortliche Arbeit durchführte, Fehler gegeben, Fehlentscheidungen gegeben. Die zweite Seite allerdings ist die: Wenn ich von der konkret-historischen Situation spreche, so meine ich, daß eben alle Entscheidungen in einem bestimmten Zusammenhang mit der Lage in der DDR standen, mit der Lage um die DDR herum, mit dem damals sehr starken kalten Krieg usw. und vieles sich daraus erklären läßt. Ich war verantwortlich für das, was von unserer Partei beschlossen worden war, getragen ganz offensichtlich auch in hohem Maße vom Block der Demokratischen Parteien und Massenorganisationen, von der Politik der Regierung. Ich werde irgendwelche Fehler, die ich gemacht habe, nicht verkleinern oder entschuldigen. Aber ich werde zu gleicher Zeit auch sagen: Auf der anderen Seite steht aber auch im Konto ein Haben von beachtlicher Größe in bezug auf die Entwicklung der Kultur in der DDR in diesen Jahren und Jahrzehnten. Man kann nicht einfach Jahrzehnte auslöschen, als ob sie nicht gewesen wären und als ob es in dieser Zeit keine kulturellen Leistungen gegeben hätte.

Dr. Toepitz: ... Was hat Sie bewogen, sich im Grunde gegen die Erneuerung in der UdSSR auszusprechen? Das ist in den hundertmal zitierten Dokumenten enthalten gewesen. Dort zeichnete sich doch auch eine Chance für uns ab.

Erstens war ich Gastdelegierter auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU, auf dem in der Sowjetunion die Umgestaltung begonnen wurde. Nach der Rückkehr aus der Sowjetunion habe ich in der 'Einheit‘ einen Artikel veröffentlicht, unmittelbar danach, unter der Überschrift „Eine historische Wende“ und habe dargelegt, daß ich die Ereignisse in der Sowjetunion als Ereignisse betrachte, die von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung des Sozialismus und für den Frieden in der Welt sind. Selbstverständlich gibt es keine meiner Reden oder Äußerungen seitdem, in denen ich nicht ausdrücklich das Einverständnis und die Unterstützung für die Prozesse in der Sowjetunion unterstrichen hätte. Niemand kann mir das nachweisen. Der Ausspruch, auf den Sie sich beziehen, ist im Rahmen eines Interviews mit der westdeutschen Zeitschrift 'Stern‘ getroffen. Bevor dieser Ausspruch überhaupt getan wurde, werden Ausführungen über die große Bedeutung der Umgestaltung in der Sowjetunion gemacht. Wir haben Ausführungen gemacht über unsere Verbundenheit mit der Sowjetunion, und dann wird gesagt, daß wir natürlich nicht kopieren, was in der Sowjetunion geschieht, weil es nicht möglich ist, daß ein anderes Land einfach schematisch übernimmt, was in einem bestimmten Land geschieht. Das ist eine alte marxistisch-leninistische theoretische Erkenntnis, die ich mit einem unglückseligen Beispiel zum Ausdruck gebracht habe...

... Für mich hat sich der Standpunkt der Parteiführung, der SED, etwas als vereinfachte Formulierung ausgedrückt: Wir verfolgen die Entwicklung in der Sowjetunion mit Sympathie, aber wir haben nicht nötig, nennenswerte Veränderungen durchzuführen.

Es gab Überheblichkeit gegenüber der Sowjetunion, die ja zum Teil damals, man darf nicht vergessen, die Perestroika wurde eingeleitet mit der Analyse des Zustandes der Stagnation in der Sowjetunion, einer Vorkrisensituation, und gleichzeitig wurde gesagt, die DDR hat keine solche Stagnation und Vorkrisensituation. Sie hat einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt, sie hat rechtzeitig die strategische Orientierung eingeschlagen, die notwendig war für die Schlüsseltechnologien. Daraus entstanden überhebliche Auffassungen gegenüber der Sowjetunion...es gab dann das Versäumnis, zu prüfen, was in der politischen Struktur der DDR im Sinne der Mitwirkung der Bürger zu ändern ist.(Auszüge)

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