: Weder Herz noch Schnauze
■ Berghaus inszenierte die „Braut von Messina“ in West-Berlin
Wieder einmal war das Plakat das Beste an der ganzen Produktion: ein siamesischer Zwillingsbär - der Berliner Bär natürlich, janusköpfig mit, wie es sein soll, einmal Herz und zweimal Schnauze. Das Herz ist blutrot. Alles andere schwarzweiß. Aber das Herz ist nur der Zierverschluß an einem brutalen Zwingeisen, und die Schnauzen fletschen vergeblich reihenweise spitze Raubtierzähne: Die Bestie Berlin trägt gleich zweifach den Maulkorb. Falls es doch einmal ein Maskottchen braucht für die nächste reichshauptstädtische Olympiade - es wäre schier kein schöneres auszudenken.
An der Freien Volksbühne in Berlin aber ist augenblicklich wirklich der Bär los. Daß der Intendant Neuenfels zu viel Geld für die Kunst ausgibt und mit der Kultursenatorin Martiny nicht kann; daß die wiederum als Senatorin nicht viel kann und das dann noch nicht mal durchzusetzen weiß; daß sie sich außerdem eigentlich schon bei Amtsantritt vor Jahr und Tag nach dem öffentlichen Bekenntnis, Wohnungsbau sei für sie wichtiger als Kultur, selbst hätte fristlos entlassen müssen wg. Inkompetenz (einmal abgesehen davon, daß der soziale Wohnungsbau, gleichviel ob wendefördernd wie in Berlin-Marzahn oder republikanerfördernd wie in Berlin -Gropiusstadt, eine kulturpolitische Größe ist und sonst weiter nichts): das alles also ist ein echtes deutsches Trauerspiel. Mit antikem Einschlag. Denn die dramatische Klimax quasi im dritten Akt brachte nun der wenn auch nicht salomonische, so doch immerhin aus der Biographie des Sokrates abgeguckte Beschluß der Senatoren, Neuenfels den Schierlingsbecher zu reichen: Der Intendant (de jure unkündbar bis 91) möge sich doch bitte selbst kündigen (de facto bis März 90). So daß wir also in die Pause entlassen sind mit der spannenden Frage, ob er denn nun, und wenn ja, mit welchem Zitat auf den Lippen, den Abgang macht oder nicht. Wenn nicht, soll die Freie Volksbühne den Laden dichtmachen.
Vielleicht war ja die Premiere vom Wochenende die letzte: Man gab die Braut von Messina. Das Stück beginnt, wie es sich für ein Schillersches Drama gehört, mit einem allseits bekannten geflügelten Wort, worüber die Leute lachen mußten. Und es endet auch mit einem solchen. Aber da waren fast vier Stunden um, und niemand hatte mehr Lust zu lachen. Das ist zwar ganz recht so bei einer Tragödie - die nötige Katharsis freilich wollte sich auch nicht einstellen. Denn erstens inszenierte Ruth Berghaus, und zweitens ist diese Braut ein schwieriges Spätwerk. Sie gilt als ein Bastard mißraten, konstruiert und eigentlich unaufführbar. Den Stoff dazu hat sich Friedrich Schiller selbst ausgedacht, und er zog damit quasi die Summe seiner dramatischen Kunst. Es handelt sich nämlich um eine Art Kreuzung aus bürgerlichem Trauerspiel und antiker Tragödie: teuflisch intime Dialoge in jambischen Blankversen, dazu zwei kommentierende Chöre in gereimten Daktylen - ein bißchen christlicher Glaube und Schuldbewußtsein, ein bißchen griechische Götterwelt und Orakel.
Und darum geht's: Zwei feindliche Brüder, soeben versöhnt, verlieben sich in dieselbe Frau, die, was sie dummerweise nicht wissen, die eigne Schwester ist - am Ende bringen sie sich um. Der Fluch und ein Traum des toten Vaters haben das schreckliche Ende schon vorher gewußt, die Mutter wußte es auch und hätte es wohl verhindern können, wenn sie nicht so entsetzlich mütterlich wäre. Eine Story also voll deutsch -deutscher Symbolik möglicherweise - in jedem Falle aber eine ganz gewöhnliche Familiengeschichte mit inzestuösen Gelüsten und Freudschen Komplexen, nur veredelt eben zum aristokratischen Heldenspiel, was man im Jahre 1803 bei der Uraufführung wunderbar erhebend und rührend fand. Heute aber ist die Braut geradezu der klassisch-weimarische Ladenhüter und wird so gut wie nicht mehr aufgeführt. Höchstens noch hin und wieder zu Studienzwecken ausgegraben
-oder um eben einmal etwas anders zu machen als die anderen.
Berghaus machte es völlig anders. Sie ist bekanntlich von Hause aus Ballerina und inszeniert normalerweise Opern. Um nun die Braut von Messina zeitgemäß über die Rampe zu bringen, hatte sie mit ihrem Team alle Register der Opernregie gezogen, was sich gerade deshalb so vielversprechend anließ, weil ja die Oper selbst eine halb bürgerliche, halb aristokratische - und außerdem durch und durch unzeitgemäße - Gattung ist. Ein Librettist dichtete also die Chortexte eigens für diese Aufführung etwas um, ein Komponist setzte das Stück teilweise in Töne: die Reime frei rhythmisiert, die Worte parlando und stakkato aus dem Halse gespuckt, dazu gelegentliche Grundierung mit vielfachem Schlagwerk, was dem Ganzen einen sauber-säuerlichen Orff -Sound verpaßte. Obgleich vieles mit Pathos sowie mehrfach gesagt wurde, wie es eben in der Oper üblich ist, und wiewohl der Komponist persönlich im Graben stand, um die zwei Schlagzeuger zu dirigieren, konnte man meistens vom Text nichts verstehen. Aber das Stück wurde dadurch doch um einiges länger.
Einen ersten Aufschwung ins Belcanto wagte die Fürstinmutter mit einem beherzten: „Sie siiinds! Oh meine Kiiinder“ - später jodelte dann auch die gebeutelte Braut. Dadurch wurde das Stück um einiges peinlicher. Langweilig wurde es nie, denn es gab unentwegt interessante Leibesübungen zu beobachten. Anfangs stand nur das Ballett bewundernswürdig ausdauernd auf den Spitzen, dann boten auch die Staatsschauspieler große Sprünge, schnelle Pirouetten, synchrone Schrittkombinationen und tolle Hebefiguren dar, wie man sie nicht alle Tage auf dem Theater sieht. Das ist ja auch eine Berghaussche Spezialität und das Geheimnis ihres Erfolges. Sie hat eine Schwäche für Eurythmie und ein Händchen fürs Design. Außerdem tut sie immer gerade so, als gebe es im Leben kein Problem, was nicht choreographisch das heißt mit Körperkultur, Hygiene, regelmäßiger Anwendung und der richtigen Diät - zu lösen sei. Weshalb so viele TV -Werbespots an Berghaus-Inszenierungen erinnern und umgekehrt so manche Berghaus-Inszenierung gleich vertraut ist wie der tägliche Blick ins Fernsehen, nur daß man am Ende leider nicht weiß, was man nun kaufen soll.
Genauso ging es auch mit der Braut von Messina. Nur ab und an, wenn die Musik einmal pausierte; wenn gerade nicht geturnt wurde, und die Schauspieler also sprechen konnten, wie sie es gelernt haben und fast sämtlich ganz vorzüglich können (allen voran Elisabeth Trissenaar als Mutter): dann war da ein paar Herzschläge lang das Gefühl von großem Theater. Eine Ahnung von der Poesie der Schillerschen Verse, von ihrer Schönheit und Wahrheit. Auch davon, daß sie uns doch wohl noch etwas angehen. Die bürgerliche Kleinfamilie ist ja längst nicht abgetan, im Gegenteil, sie hat seit ein paar Jahren wieder Konjunktur: omnipotente Mütter, in Abwesenheit wirkende Väter und überforderte Kinder - dazu ein intellektuelles Selbstverständnis, das alles im Griff zu haben glaubt und doch hilflos der Macht der Gefühle ausgeliefert ist. Das waren ja die familiären Markenzeichen der achtziger Jahre.
Und abgesehen davon haben die Verse Schillers sowieso ihre eigne Musikalität, die keiner Zutat weiter bedarf. Berghaus aber traut weder Schillers Stoff etwas zu noch seiner Sprache. Ihre Braut hat weder Herz noch Schnauze - nur einen flotten, teuren Fummel an.
Elisabeth Eleonore Bauer
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