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Die Normalisierung des Rechtsextremismus

■ „Hitlers Schatten verblaßt“: Sieben Aufsätze über die Entwicklung rechtsextremer Strömungen in den achtziger Jahren

Das Etikett „Neonazismus“ mag zur politischen Stigmatisierung der sogenannten „Republikaner“ (Reps) brauchbar sein, zu einer Analyse dieses Phänomens eines neuen Rechtsextremismus trägt es kaum bei. Im Gegenteil, es verhindert die Einsicht in die Tatsache, daß Neonazismus nur eine besondere Form des Rechtsextremismus ist und dieser sehr wohl auch im „bürgerlichen Gewand“ auftreten kann. Kurzum, der neue Rechtsextremismus ist „postfaschistisch“ (Leggewie).

Hitlers Schatten verblaßt: Über diesen Wandlungsprozeß, über „die Normalisierung des Rechtsextremismus“ hat der Politikwissenschaftler Gerhard Paul ein Buch veröffentlicht. Es enthält sieben Aufsätze von verschiedenen Autoren, die Themen behandeln, die mehr oder minder im Zusammenhang mit dem angedeuteten Prozeß stehen sollen. Sie „versuchen in einem ersten Zugriff, die Entwicklung des Rechtsextremismus in den 80er Jahren zu bilanzieren und seine neue Qualität zu bestimmen“.

Gerhard Paul beschreibt die qualitativen und quantitativen Veränderungen, die zur Normalisierung des Rechtsextremismus in den 80er Jahren führten; Klaus-Henning Rosen skizziert die Gruppen, Täter und Hintergründe des Rechtsterrorismus; nach der Anfälligkeit von Hooligans und Skinheads für neonazistische Ideologie-Elemente fragen Gunther A. Pilz und Klaus Sengebusch; die rechtsextremen Orientierungen bei Jugendlichen behandelt Wilhelm Heitmeyer, indem er den Weg ökonomisch-sozialer Alltagserfahrungen zur entsprechend politisch motivierten Gewalteskalation nachzeichnet; ein weiterer Beitrag von Gerhard Paul beschäftigt sich mit den „Republikanern“, deren Parteientwicklung, politischer Standort, Agitationstaktik und Wählerbasis behandelt werden; Hans-Gerd Jaschke skizziert einige Grundmuster des staatlichen Umgangs mit Rechtsextremismus im Spannungsfeld von „innerer Sicherheit“ und „streitbarer Demokratie„; die Geschichte der pädagogischen Reaktionsmuster gegen den Rechtsextremismus und die Lehren daraus behandelt Benno Hafeneger; als Anhang enthält das Buch eine kommentierte Auswahlbibliographie zum Rechtsextremismus in den 80er Jahren.

Die materialreichen Beiträge sind nicht nur inhaltlich, sondern auch analytisch und methodisch unterschiedlich ausgerichtet. Insofern können sie auch nicht gemeinsam besprochen werden. Besondere Beachtung verdienen jedoch jene Beiträge, die über eine primär beschreibende Darstellung ihres Themas hinausgehen. Hierzu gehört vor allem Heitmeyers Analyse zum Verhältnis von Jugend und Rechtsextremismus.

Zur Erklärung der Zunahme rechtsextremer Orientierungen und entsprechendem Wahlverhalten bei Jugendlichen verweist der Bielefelder Pädagoge auf eine Kombination von sozialen Kontinuitätsbrüchen (wie sie sich vor allem in Individualisierungsschüben zeigen) und historisch -politischen Kontinuitätsbezügen (die etwa in autoritär -nationalisierenden Orientierungsmustern zum Ausdruck kommen). Rechtsextremismus wird hier nicht als politisches Problem gesehen, das vom Rand der Gesellschaft aus entsteht, vielmehr gilt es dem Autor zurecht als Phänomen, das in zentralen Bereichen der hochindustrialisierten Gesellschaft seine Quellen hat. Ein weiterer beachtenswerter Beitrag ist Jaschkes Kritik an den weitbverbreiteten Vorstellungen über die Behandlung des Rechtsextremismus durch staatliche Stellen. Der Frankfurter Politikwissenschaftler belegt, daß die bundesdeutsche Justiz keinesfalls so einfach als auf dem rechten Auge blind bezeichnet werden kann. Auch warnt er vor der bornierten antifaschistischen „radikalen Moral“ und ihren bedenklichen politischen Versäumnissen. Es sei allzu leichtfertig, auf die repressive Kraft staatlicher Institutionen zu setzen, wenn es gelte, die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen zu führen.

So interessant und informativ die einzelnen Beiträge in Pauls Buch sein mögen, sie können nicht verleugnen, daß sie nicht das enthalten, was der Titel der Publikation verspricht. Lediglich der von Paul selbst verfaßte Aufsatz „Hitlers Schatten verblaßt“ behandelt das eigentliche Thema des Buches, die Entwicklung des Rechtsextremismus zu einer neuen Qualität. Dargestellt werden dabei die quantitative Ausweitung verbunden mit der Überwindung der Stagnation, die Verjüngung und gestiegene Gewaltbereitschaft, das rechtsextreme Meinungspotential und die Ausländerfeindlichkeit sowie die Scharnierfunktion der „Neuen Rechten“ und der „Republikaner“. Da Paul undifferenziert die verschiedenen Formen des Rechtsextremismus behandelt, verliert sein Beitrag die analytische Schärfe, die notwendig gewesen wäre, um den Normalisierungsprozeß und seine Folgen konkreter zu fassen. Entsprechend wird auch die Auseinandersetzung mit der Programmatik der Reps in einem weiteren Beitrag weitgehend reduziert auf das Feststellen von Gemeinsamkeiten zu NS -Positionen.

Der Vorwurf des Neonazismus an die Reps verkennt durch seine einseitige Fixierung die Möglichkeit des Rechtsextremismus in anderer Form. In der Schönhuber-Partei hat man die historische Niederlage des Nationalsozialismus durchaus registriert und weiß, daß man in der bundesdeutschen politischen Kultur alles vermeiden muß, was die „Republikaner“ in die braune Ecke manövrieren könnte. Man gibt sich moderat und seriös, um mit rechtsextremen Inhalten im „bürgerlichen Gewand“ Agitation betreiben zu können.

Diese Veränderung der Agitationsinhalte und -formen sind ein Ausdruck für die Modernisierung des Rechtsextremismus, wie er uns in Gestalt der „Republikaner“ begegnet. Eine Analyse und kritische Aufarbeitung der damit verbundenen Prozesse ist in der Tat dringend notwendig. Der Titel von Pauls Buch verspricht solches, ohne es inhaltlich einzulösen.

Armin Pfahl-Traughber

Gerhard Paul (Hrsg.): Hitlers Schatten verblaßt. Die Normalisierung des Rechtsextremismus. Bonn 1989, Dietz -Verlag, 232 S., 16,80 DM

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