: Wieviel Schweine braucht der Markt
In der LPG-Tierproduktion Brehna(DDR) ist Effektivität das neue Zauberwort / Mit der Massentierhaltung will man auch nach der Grenzöffnung über die Runden kommen / Pflanzen- und Tierproduktion soll wieder zusammengelegt werden ■ von Bettina Markmeyer
Lachend und fluchend zugleich zeigt der Schäfer der LPG -Tierproduktion in Brehna zuerst an die Decke und dann auf einen Haufen Futterstroh links vor dem Tor der Scheune, in der sich die Schafe drängen: „Hier, beim Ausmisten haben sie die Decke kaputtgemacht.“ Wie das? Die von großen Löchern verunzierte Decke in der aus Betonplatten zusammengefügten Halle hängt mindestens acht Meter hoch. „Mit Kränen, als sie den Mist rausgebracht haben.“ Und das Stroh? „Alles Gelumpe, kann man bestenfalls zum Einstreuen nehmen. Nichts als Mist haben sie wieder geliefert.“
Der Schäfer schimpft: „Sie“, das sind die ArbeiterInnen der Pflanzen- und Tierproduktion in Brehna, aber schuld an der Misere sind für ihn die Leiter, „alles Genossen“. Seine Augen blitzen kampfeslustig.
Die, inzwischen ehemaligen, Genossen, Produktionsleiter Wolfgang Henke und Herbert Meyer, stehen da und nehmen's gelassen. Sie wollen die Schafe abschaffen. 50 Stück hat der Schäfer heute selbst zum Schlachthof nach Dessau gefahren. „1.450 Schafe mußten wir halten, nach Plan“, sagt Henke. „Aber jetzt wollen wir das nicht mehr.“ Die Schafhaltung sei nicht effektiv, ständig fehle es an Futter, die abgeernteten Äcker und Böschungen reichten nicht aus, oft werde Gülle gefahren, bevor die Schafe geweidet werden konnten, Schafsfleisch finde in der DDR keine KäuferInnen. Der Schäfer soll in Rente gehen, an einen Nachfolger ist nicht gedacht.
„Effektivität“ ist das wichtigste Wort der Nach-Wendezeit in der Tier-LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) in Brehna, einem Städtchen zehn Kilometer südwestlich von der Chemie-Stadt Bitterfeld. Für die Ex-GenossInnen von der Leitung, die, entlassen aus Planvorgaben und den zahllosen Regelungen der realsozialistischen Landwirtschaft, in ein schwarzes Loch zu fallen drohen, umfaßt es Ängste und Hoffnungen gleichermaßen. „Wenn die EG kommt, können unsere Betriebe Konkurs anmelden“, meint Wolfgang Henke. Andererseits setzt der 36jährige auf Leistung und eine grundlegend erneuerte „materiell-technische Basis“. In der Größe seiner LPG sieht er eher einen Marktvorteil. Seiner Meinung nach ist „die Tierkonzentration noch nicht so hoch, daß irreparable Schäden entstehen. Mit Rationalisierung und modernen Maschinen wie in der Bundesrepublik, da ist er sicher, könne er die jetzigen Probleme, auch die ökologischen, „ohne weiteres in den Griff kriegen“.
In den Ställen arbeiten überwiegend Frauen im Schichtbetrieb. 57 Kühe melkt und füttert eine Melkerin zwischen fünf Uhr früh und ein Uhr mittags und mistet sie aus. Die Schweine werden zu zehnt in zwei mal vier Meter großen Boxen auf Spalten gehalten, 1.000 Stück in einem Stall: Massentierhaltung wie in westlichen Agrarfabriken. 2.500 Mastschweine, 660 Zuchtsauen, 500 Mastbullen und über 800 Milchkühe stehen in Brehna in langgezogenen, betongrauen Ställen. Die Lagerbehälter für die Gülle reichen nicht aus, „manche Äcker“, so der technische Leiter Herbert Meyer, „werden regelrecht totgegüllt“. Die 5.500 Hühner in Bodenhaltung will Henke abschaffen: zu uneffektiv.
Das Futter liefert die LPG Pflanzenproduktion, kurz „Pflanze“ genannt. Menge und Qualität - „meist zu wenig und zu schlecht“ - sind ständiger Streitpunkt zwischen der LPG Tier und der „Pflanze“. „Das ist wie ein kleiner Krieg“, sagt Meyer. Mitte der 70er Jahre wurden Tier- und Pflanzenproduktion in der DDR getrennt, bis dahin machte auch die Brehnaer LPG beides. Flächen hat die Tier-LPG keine, die „Pflanze“ versorgt mit 5.500 Hektar, die Durchschnittsgröße für Pflanzen-LPG in der DDR, drei Tier -LPG.
Im Gegensatz zu westlichen Bauern und Bäuerinnen haben LPG -Bauern geregelte Arbeitszeiten, Urlaub und alle Sozialversicherungen. Auf dem LPG-Gelände befinden sich Werkstätten und Aufenthaltsräume, eine eigene Großküche liefert das Mittagessen, die Genossenschaft baut und vermietet Wohnungen. Dennoch kommt vom Lande kein Nachwuchs. Aus den Städten verdingen sich Leute, die dort keine Arbeit finden. „Die bleiben zwei Jahre, und dann gehen sie wieder“, sagt Henke, „obwohl hier die Bezahlung teilweise besser ist als in der Industrie.“ Die Fluktuation ist hoch. Allgemein wird die mangelnde Verbundenheit mit Land und Tieren für die schlechte Arbeitsmoral und die massive Umweltzerstörung verantwortlich gemacht. Nicht nur ökonomisch, auch sozial und kulturell liegt das Landleben am Boden. Acht ArbeiterInnen der 188 Beschäftigten haben die Brehnaer Ställe nach Öffnung der Grenzen in Richtung Westen verlassen. Andere verschwinden wochenweise und jobben auf westdeutschen Obst- und Gemüsegroßmärkten.
Trotz des desolaten Zustands von Maschinen, Stallausstattungen und Geräten hat sich die Brehnaer Tier -LPG - eine Ausnahme im Kreis Bitterfeld - in den letzten Jahren in die schwarzen Zahlen gewirtschaftet und Guthaben gebildet. „Längst hätten wir das in Maschinen investiert“, sagt Herbert Meyer grimmig, „wenn es was zu kaufen gäbe.“ Die sieben neuen Kraftfuttersilos, auf denen weithin sichtbar der Schriftzug „LPG (T) Brehna“ prangt, die Futterhalle und ein Speicher entstanden unter den Bedingungen der Naturalienwirtschaft: „Da werden Schweine hingegeben, und dort werden Schweine hingegeben.“ Auch bei den Ersatzteilen gilt: Schweine gegen Schrauben. „Was wir in den letzten Jahren gemacht haben, das hatte mit sozialistischen Produktionsmethoden nichts zu tun. Das war reine Marktwirtschaft. Der Zweck heiligt die Mittel“, resümiert Wolfgang Henke.
Um den Schlaf gebracht ist er jedoch erst, seitdem die Misere offen diskutiert wird und die Suche nach neuen Wegen begonnen hat. Tier- und Pflanzenproduktion sollen wieder zusammengelegt werden. „Wie sollen wir das machen?“ Die Tier -LPG will nicht die Schulden der „Pflanze“ übernehmen und bei den eigenen Löhnen zurückstecken. Eine Einigung wäre aber nur mit Mehrheitsbeschluß aller LPG-Mitglieder zu erzielen. Und dann die Größe: wenn die drei Tier-LPG mit der „Pflanze“ zusammengelegt würden, prognostiziert Henke, „sind das Dimensionen, die niemand mehr überblicken kann“. Für kleinere Einheiten hat man noch keine Konzepte.
Überhaupt gebe es derzeit keine Agrarpolitik in der DDR, „denn die Regierung Modrow hat andere Sorgen und ist froh über jede Gruppe, die ruhig bleibt“. Aber auch bei den neuen Parteien hat Wolfgang Henke noch keine brauchbaren Aussagen zur Landwirtschaft gefunden. Eins ist jedoch für ihn klar: „Als Bauer wähle ich nie wieder eine Arbeiterpartei.“
„Alle hier warten auf den 18.März“, meinen die Brehnaer übereinstimmend. Die meisten Leute seien mürbe, „die ständige Diskussion über Vereinigung und das Geld macht depressiv“. Gearbeitet wird in der LPG mit halber Kraft, geplante Investitionen sind vorläufig zurückgestellt worden. Völlige Ungewißheit herrscht darüber, was geschieht, wenn die ehemaligen Landbesitzer wieder auftauchen und Ansprüche geltend machen. „Wir sind bodenständig und bleiben hier, da ist die unsichere Situation um so schwieriger. Deutschland einig Vaterland, das klingt ja ganz schön“, sinniert Wolfgang Henke, „aber wenn ich anfange nachzudenken, kann ich nachts nicht mehr schlafen.
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