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Nippons Computopia

■ Der Traum vom computergesteuerten Alltag bleibt auch in Japan eine Utopie. Zwar wird nirgendwo sonst auf diesem Gebiet so viel geforscht, aber im Alltag spielt, schon aus kulturellen Gründen, der Computer nur eine untergeordnete Rolle.

Von

GEORG BLUME

n Tokio gibt es ein Haus, das angeblich der Zukunft gehört. Es soll eine Antwort „auf die Rolle des Menschen in der computerisierten Gesellschaft“ geben, wie sein Architekt, Ken Sakamura von der berühmten Todai-Universität, verspricht. In dem unscheinbaren, grauen Gebäude in der Tokioter Innenstadt steuern Computer je nach Wetterbedingungen die Fensteröffnungen und das Ventilationssystem. Was in den Schränken lagert, weiß der Hauscomputer und zeigt es auf Wunsch auf Videofilm. Sogar die Küche ist „intelligent“. Hier kontrolliert der Koch -Computer Ofen und Herd, während der Koch oder die Köchin den Anweisungen des Bildschirms folgt. Sakamura besteht darauf: „Alle Pläne und Designs des intelligenten Hauses dienen vor allem den Bedürfnissen des Bewohners.“ Natürlich denkt der Architekt, daß seinem Haus die „nahe Zukunft“ gehört.

Nippon - das Land der Computopia? Es gibt in Japan Interessenten, die diesen Glauben erwecken wollen. Achtzehn namhafte japanische Firmen haben Ken Sakamuras Architektentraum bezahlt. Zumal sich Träume schnell bezahlt machen, wenn das Publikum ihnen vertraut. Das Besuchsprogramm im „Haus der Zukunft“ ist bereits bis zum Juni ausgebucht.

Ein Traumkollege Sakamuras sitzt im japanischen Bauministerium. Kotaro Kitamura, Leiter der Stadtentwicklungsabteilung, ersinnt die „intelligente Stadt“: „Wir wollen im urbanen Design weltweit führend sein“, meint der Beamte. „In der Zukunft wird es unsere Aufgabe sein, die konventionelle Infrastruktur durch ein 'Gehirnsystem‘ zu ergänzen.“ Das neue „Stadtgehirn“ soll den Verkehr besser koordinieren, dem Autofahrer rechtzeitig Informationen über freie Parkplätze und weniger befahrene Straßen zukommen lassen. Über den Buscomputer sollen wartende Fahrgäste an der Haltestelle über die Verspätungszeit informiert werden. Ist das schon Computopia?

Japanische Soziologen hegen eine andere Utopie. Sie hoffen, daß der Computer die festgefahrenen sozialen Beziehungen in Japan auflockert. „Das 'networking'-Phänomen könnte ein Vorspiel bei der Schaffung eines neuen Japans sein“, träumt Ikuyo Kaneko von der Tokioter Hitotsubashi-Universität. „Networks“ sind meist inoffizielle Computergemeinschaften, zu denen sich kleine und große Unternehmen, Einzelhändler oder Bürgerinitiativen zusammenschließen. Das erleichtert den Informationsaustausch über Lagerbestände bei den einen und Gruppenaktivitäten bei den anderen und leistet zugleich der Interessenvertretung gegenüber zentralen Organisationen Vorschub. Für die Soziologen an der Hitotsubashi-Universität fördern die Networks dezentrale Strukturen und Informationsoffenheit, was dem zentralistischen, nach außen hin geschlossenen japanischen Gesellschaftssystem gar nicht entspricht.

Die Zahl der während der letzten fünf Jahre in Japan neu entstandenen Networks beziffert Ikuyo Kaneko auf „mehrere hundert, wenn nicht gar tausend“. Der Soziologe ist deshalb guter Dinge: „Viele Leute, die heute die 'networking'-Idee fördern, sind um die vierzig Jahre alt und waren früher in der Studentenbewegung aktiv. Sie sind Teil einer neuen Generation in Japan, die offener und unabhängiger ist.“ Tatsächlich fehlt heute in keinem Tokioter Bioladen der PC auf dem Ladentisch. Der gibt nicht nur die Bestellungen auf, sondern schreibt dem Kunden auch die Rechnung. Hat der Computer im Bioladen damit schon den japanischen Alltag erobert?

s sind zwei Geräte, die seit kurzem in Japan das tägliche Miteinander verändern: Der Fernkopierer und der Wortprozessor. Wenngleich es in Europa noch zum teuren Büroinventar zählt, kostet das einfache Fax-Gerät in Japan inzwischen nicht mehr als der Telefonanschluß (etwa 1.000 DM). In jedem Cafe steht ein Fax nicht nur für die Geschäftsführung, sondern auch für den Kunden bereit. Kein Gemüseladen mehr ohne Fax. Das schreibt zu jeder Tageszeit, erspart lange Telefongespräche und erhöht oft die Verbindlichkeit. Es erleichtert auch die Kontaktaufnahme. In Japan, wo der gegenseitigen Vorstellung stets große Bedeutung zukommt, hat es nie gereicht, ein paar Worte am Telefon über die eigene Person zu sagen, um dann gleich ein Anliegen vorzutragen. Heute faxen Geschäftsleute Lebensläufe und Firmenbeschreibungen und greifen dann erst zum Telefonhörer.

Ebenso wie das Fax-Gerät dient der heute in Japan allgegenwärtige Wortprozessor im wesentlichen der Beschleunigung der Kommunikation. Dabei kam der kleine Schreibcomputer erst vor zwei Jahren fast zufällig, als Nebenprodukt der LCD-Forschung, in großen Mengen auf den Markt. Heute ist er der japanische Publikumsrenner schlechthin. Oft verfügen die Geräte nur über ein einziges, festprogrammiertes Textverarbeitungsprogramm und sind für annähernd 2.000 DM in der üblichen Ausführung erhältlich. Viele Büroangestellte und Studenten benutzen das Gerät zu einfachen Schreibzwecken - allerdings in einem Land, wo das Schreiben ohnehin nie einfach war.

rößtes kulturelles Hindernis auf dem japanischen Weg ins Computerland bleibt bis heute die Zeichenschrift. Nippons 5.000 gängige Schriftzeichen lassen sich nicht direkt in den Computer tippen, die Tastatur wäre wenig benutzerfreundlich. Statt dessen müssen die Wörter zunächst in der vereinfachenden Silbenschrift oder im lateinischen Wortlaut eingegeben werden, worauf der Computer sie in das original japanische Schriftzeichen umwandelt.

Um die neue Schreibweise, die erst seit fünf Jahren größere Verbreitung findet, ist indessen ein heftiger Streit entbrannt. Traditionalisten bezweifeln grundsätzlich, daß die Bedeutung der ursprünglich mit dem Pinsel schwungvoll gemalten Schriftzeichen heute vom Computer erfaßt werden kann. Kazuaki Okabe freilich, dessen Bewegungsbestseller „PC -Citizen-Network“ der japanischen Anti-AKW- und Umweltschutzbewegung die Gepflogenheiten moderner Kommunikation beibrachte, weint dem Pinsel nicht nach. Der alternative Computerspezialist weiß jedoch: „Nicht der Computer schreckt die meisten Japaner ab, sondern das Tippen.“ Okabe, obwohl zuvor fließend im Englischen und büroschnell an der westlichen Schreibmaschine, brauchte drei bis vier Jahre, um sich in der japanischen Schrift am Computer voll einzuüben. „Gerade die Popularität der Fax -Geräte weist darauf hin, wie gerne die Japaner immer noch malen“, bemerkt Okabe. Seine These: „In Japan bleibt der Computer Handwerkszeug für Spezialisten.“

Dafür spricht, daß bis heute nur die einfachen Geräte, Fernkopierer und Wortprozessor, breiten Anklang gefunden haben. Die Konzernpolitik hat diese Entwicklung begünstigt. Nicht etwa in neuen, innovativen Kleinunternehmen ist der japanische Computer „von der Basis aus“ (Okabe) groß geworden. Allein auf den Forschungsbefehl der vier Elektronikriesen Fujitsu, NEC, Hitachi und Toshiba hin hat Japan in der Zukunftsindustrie die Führung übernommen. Denen aber war es wichtig, Exporterfolge zu erzielen und die Spitzentechnologie zu beherrschen. Der japanische Alltag interessierte sie weniger. Zudem erschweren die großen Vier ihren heimischen Kunden die Benutzerfreuden, weil sie alle mit unterschiedlichen, nicht-kompatiblen Schriftsystemen arbeiten. Was sie freilich nicht davon abhält, in ihren allgegenwärtigen Werbekampagnen in Funk und Fernsehen von einer computergesteuerten Zauberwelt zu erzählen.

och dieses Computopia gibt es im Japan von heute nicht. Die meisten Bewohner dieses Landes wohnen in unansehnlichen Holzhütten oder kleinen Beton-Appartements; sie fahren zwar ein Auto, jedoch meistens im Stau. Weder das „intelligente Haus“ von Ken Sakamura noch die „intelligente Stadt“ von Kotaro Kitamura sind für sie ein Stück denkbare Zukunft. Im Firmenalltag sind dem Computer zudem besondere Grenzen gesetzt, denn nirgendwo sind persönliche Beziehungen und Gespräche im Geschäft unerläßlicher als im gruppenorientierten Japan, wo der Außenstehende sich lange müht, bis er Vertrauen erwirbt.

„Schaut man dorthin, wo die Macht ist, findet man in Japan keine Computer“, meint Kazuaki Okabe. Er denkt an die Tokioter Ministerien, wo Beamte nicht etwa in neuen Großraumbüros an spiegelblanken Schreibtischen mit Disketten klimpern, sondern in winzigen Zimmern hinter Papierbergen hocken. Sie arbeiten ohne zentrales Betriebssystem, eine Weltmacht regieren sie trotzdem. Was durchaus für das kluge Empfinden der Regierenden spricht. Der Computer ist ihr Herrschaftsmittel - noch mehr in der Utopie als in der Wirklichkeit.

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